Jerusalem, 9. August 2009 – Polizeiwagen mit Blaulicht vorweg, die Journalisten im gepanzerten Botschaftswagen und schwerbewaffnete Sicherheitsleute mit dem Schnellfeuergewehr im Anschlag. Vor nur einem Jahr herrschte noch eine düstere Stimmung in der palästinensisch autonomen Stadt Nablus im Westjordanland.
Das ist alles Geschichte. Heute schieben sich fröhliche Menschen durch üppige Auslagen im Basar, der einstigen Kampfzone. Von Waschmaschinen bis Kinderschuhen aus Plastik und bunten Tüchern aus Indien wird alles feilgeboten, was das Herz begehrt. Sogar frischen Fisch gibt es. Mangels Zugang des Westjordanlandes zum Meer wurde der aus Israel importiert. Nablus ist heute wieder das, was man sich unter Orient vorstellt: Gerüche und Farben wie in Tausend und einer Nacht. Durch die einst ausgestorbene Hauptstraße schiebt sich im Schritttempo eine Blechlawine mit auffällig vielen europäischen Luxuslimousinen. Die Polizei regelt den Verkehr, statt befehdete Kämpfer politischer Parteien zu bekämpfen. Wie in Dschenin, Ramallah und Bethlehem ist der auffällige Wohlstand, das Gefühl der Sicherheit und die Rückkehr zur „Normalität” das Resultat einer Kombination amerikanischer, europäischer, jordanischer und israelischer Maßnahmen. Voraussetzung war freilich der politische Beschluss von Präsident Mahmoud Abbas und des Premierministers Salam Fayad, nicht mehr auf Kampf, sondern auf Kooperation mit Israel setzten. Sonst wäre das Westjordanland längst an die islamistische Hamas gefallen, so wie der Gazastreifen im Juni 2007.
Nasser, Saddam Hussein, Arafat – Immer noch in der Vergangenheit gefangen
Ohne propagandistisches Getöse wurden Tausende Polizisten nach Jordanien oder Jericho zum Training durch Amerikaner, Briten und Deutsche geschickt. Israel stimmte deren Bewaffnung zu und genehmigte die Verstärkung der Polizei in Nablus um 5000 Mann.
Der Gouverneur von Nablus, Jamal Muhaisen, ein Fatah-Mann der alten Garde, schildert, wie er mit eiserner Hand „Ruhe und Ordnung” durchgesetzte und fast Opfer von Attentaten geworden sei. Die gewohnte Polemik gegen Israel hat er noch nicht abgelegt. Die meisten der von ihm beklagten 100 Straßensperren rund um Nablus gibt es nicht mehr.
“Für den Islam koscher” – Ein Blick in die moderne Börse
Unbefangener erklärt Börsenchef Achmad Aweidah, 39, den Erfolgskurs der kleinen aber feinen palästinensischen Börse. Aweidah ist Palästinenser aus Ostjerusalem und besitzt einen israelischen Ausweis. Der flotte Banker mit gutem Englisch und solider Ausbildung schildert am eigenen Beispiel den Aufschwung. „Auf dem Höhepunkt der Intifada durfte ich wegen dem Ausweis nicht nach Nablus. Mit Taxis fuhr ich über Schleichwege auf den Inbal-Berg, wo meine Mitarbeiter mich in Schlips und Anzug auf einem Esel durch die Wälder zur Börse reiten ließen.” Später fuhr er im eigenen Auto auf „Siedlerumgehungsstraßen” bis zur berüchtigten Hawara-Straßensperre und passierte sie zu Fuß. „Heute sind die meisten Sperren verschwunden. Bei Hawara winken mich die Soldaten in meinem Wagen unkontrolliert durch.”
Börsenchef – Ahmad Aweidah
Diese drastische Änderung war das Ergebnis der palästinensisch-israelischen Gespräche mit Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu. „Der Erfolg muss Abbas zugeschrieben werden, nur niemand dankt es ihm”, klagt Aweidah, ehe er händereibend über die einzige Börse erzählt, an der nur online gehandelt wird: „E-Marketing”. „Wir sind eine der wenigen Börsen, die von der Wirtschaftskrise unberührt blieben.” Im Januar verzeichneten die 38 registrierten Unternehmen ein Plus von 13 Prozent bei einem täglichen Umsatz von 5 Millionen Dollar. „Die Blockade des Gazastreifens hat uns nur genützt. Wer Geld hat, aber nicht produzieren kann, legt bei uns an. Die Barrieren sind kein Hindernis, weil hier alles elektronisch abläuft.”
15 Prozent der Investoren seien Ausländer. Ansonsten bediene die Börse nur palästinensische Unternehmen, allen Voran den Konzern Padico von Munib el Masri, dem reichsten aller Palästinenser, und die Kommunikationsfirma Paltel. Weil die Börse kein Geld mit Zinsen verleihe, sondern nur Handel treibe, entspreche sie den Regeln des Islam und sei völlig „koscher”, schmunzelt Aweidah. Weltweit verfügen Palästinenser über ein Vermögen von 7 Milliarden Dollar. „Hinzu kommt das menschliche Kapital”, sagt Aweidah, darunter 250.000 Palästinenser in den Golfstaaten. „Wir sind heute die Juden des Nahen Ostens”, meint Aweidah voller Stolz über den Erfindungsgeist seiner Volksgenossen und deren Fähigkeit zum Improvisieren. „Wir benötigen nicht das Geld der Geberländer”, behauptet der Banker, ehe er den Hochglanz Jahresbericht des Padico-Konzerns für 2008 überreicht. Darin wird die Kraft der palästinensischen Wirtschaft in schillernden Farben dargestellt. Bei Ausbruch der Intifada 2002 lag das Bruttosozialprodukt (BSP) bei 4,6 Milliarden Dollar. 2002 fiel es auf einen Tiefpunkt von 3,4 Mrd. 2008 ging es der palästinensischen Wirtschaft besser als 2000.
?Ulrich W. Sahm
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