Ahmadinedschad und die iranische Mittelschicht

  • 0

Ahmadinedschad und die iranische Mittelschicht

Wahied Wahdat-Hagh von Wahied Wahdat-Hagh, Kolumnist für WELT DEBATTE

 

Der Exiliraner Mohammadreza Nikfar liefert in der afghanischen Zeitung „8 Sobh“ eine Analyse zur Lage im Iran.

„8 Sobh“ ist der Name einer afghanischen Zeitung und heißt auf Deutsch „8 Uhr“ morgens. Diese Zeitung „8 Sobh“ unterstützt erklärtermaßen Hamid Karsai, dessen zweite Amtszeit als afghanischer Präsident am 19. November 2009 begann. Mohammadreza Nikfar ist Exiliraner, kann aber seine Texte wegen Zensur nicht im Iran veröffentlichen. In der persischsprachigen afghanischen Zeitung „8 Sobh“ analysiert Nikfar die gegenwärtige Lage im Iran.

Am 11. Juli 2009 schrieb Mohammadreza Nikfar einen Artikel in „8 Sobh“ und lieferte eine Analyse der Lage im Iran. Dieser Text ist heute noch aktuell.

Nikfar stellt fest, dass viele Journalisten im Iran von einem Putsch sprechen, wenn sie die Wiederwahl von Ahmadinedschad diskutieren. Ohnehin sei aber der Sieg von Ahmadinedschad verkündet worden, bevor die Wahlergebnissse überhaupt vorlagen. Die iranische Mittelschicht sei sich vor der „Wahl“ sicher gewesen, dass ein Wechsel erfolge, da Ahmadinedschad jeden „zivilen Verstand“ zerstöre. Nikfar ist der Meinung, dass die iranische Mittelklasse, Jugendliche, gebildete Frauen und Männer Ahmadinejad absetzen wollten. In ihren Augen sei Ahmadinedschad ein „unwichtiger Mann“, der gekommen sei, um zu zeigen, dass die iranische Mittelschicht „unwichtig“ sei.

„Populistisch faschistische Bewegung“

Alle Akteure seien bei der letzten Wahl loyal gewesen. Niemand habe in den Protesten nach der „Wahl“ des iranischen Präsidenten die „zu kritisierende Apartheidspolitik“ in Frage gestellt.
Die afghanische Zeitung schreibt, dass die iranischen Demonstranten gegen eine „populistisch faschistische Bewegung“ protestiert hatten. Aber die Bewegung habe nichts anzubieten gehabt außer den Protest und habe sich beispielsweise auch nicht für die Probleme der Arbeitslosigkeit im Iran interessiert. Diese neue soziale Bewegung im Iran habe große Mängel, beispielsweise habe sie versäumt Gewerkschaftsforderungen zu unterstützten.

Hexen und Atom, Wunder und Zentrifugen

Nikfar meint, Ahmadinedschad sei ein Iraner und ein Revolutionär, von der Kategorie eines Ayatollah Khomeini. Ahmadinedschad erscheine als ein fremdes Phänomen, dennoch sei seine Mentalität vielen Menschen im Iran bekannt. Ahmadinejad benehme sich wie ein bewaffneter junger Bassiji, der die iranischen Bürger erniedrigen will. Die Kultur der Iraner und ihr Privatleben würde von solchen Bassiji vergewaltigt werden, schreibt Nikfar.

Und doch verlange die „staatliche Propagandamaschine die Dankbarkeit der Iraner“, weil doch ein „Wunder im dritten Jahrtausend“ geschehen sei, die Wiederwahl von Ahmadinedschad.

Nikfar geht davon aus, dass zu Beginn der Revolution von 1979 die „Technik im Dienste des Glaubens“ gestanden habe, aber unter Ahmadinedschad sei der „Glaube selbst eine technische Frage“ geworden. Ahmadinedschad trage Züge eines Wahrsagers, der aber Ingenieur geworden sei.

Nikfar schreibt: „In Ahmadinedschads Phantasie haben Hexen und Atom, Wunder und Zentrifugen, das religiöse Verständnis von Himmelfahrt und eine Rakete alle nebeneinander denselben Platz.“

Ahmadinedschad sei selbst das „Ende aller Tage“. Er erteile sogar den Mullahs Religionsunterricht. Ein wenig Ahmadinedschad stecke in jedem Iraner: Ein Ahmadinedschad, der erniedrigt worden sei und selbst andere erniedrigen wolle.

Ahmadinejads Kontakte mit dem Jenseits

Ahmadinedschad sei ein Vertreter der Tradition, der aber einen Sprung in die Modernität unternommen habe. Nikfar schreibt über Ahmadinedschad: „Er ist die Manifestation unserer rückschrittlichen Moderne und gleichzeitig unsere moderne Rückschrittlichkeit. Er ist die Erklärung des kulturellen Bankrotts. Er ist das Zeichen des Mangels unserer Ernsthaftigkeit.“

Ahmadinedschad habe erklärt, er habe im „Heiligenschein“ gestanden, als Beweis dafür, dass er Kontakt mit dem Jenseits habe.

Nikfar wundert sich, dass die schiitische Geistlichkeit nicht adäquat auf solche Behauptungen geantwortet habe. Nikfar schreibt, die Geistlichen hätten ihren Turban niederlegen müssen, sie hätten die Kleider von Ahmadinedschad zerreissen müssen, um etwas von seiner Heiligkeit zu bekommen, als er wahrlich einen Heiligenschein bekam. Aber all das sei nicht geschehen.

Ahmadiendschad habe zudem behauptet, dass ein iranisches Genie in seiner privaten Küche Nuklearforschung betrieben habe, als Beweis für die Fortschrittlichkeit der Iraner. Auch zu diesem Zeitpunkt hätten alle iranischen Wissenschaftler zu Hause bleiben müssen und die Universitäten hätten schließen müssen. Wozu Wissenschaft, wenn Nuklearforschung in einer privaten Küche möglich sei?

Blödsinn und Ahmadinedschadismus

Nikfar zufolge unterscheidet sich Ahmadinejad noch nicht einmal von manchen Führern der Opposition. Unter iranischen Intellektuellen sei auch eine Art „Ahmadinedschadismus“ verbreitet. Besonders dann, wenn er und sie Blödsinn reden und dabei besonders ernst auftreten würden. Auch bei der extremistischen Linken des Iran habe Ahmadinedschad durchaus seinen Einfluss, minus der religiösen Haltung.

Populismus und Ahmadinedschad

Ahmadinejad sei die populistische Seite der Islamischen Republik Iran. Die meisten Kritiker würden nur die iranische Regierung und nicht die iranische Gesellschaft kritisieren. Gegenwärtig würde alles mit Vorwürfen wie „Fälschung und Putsch“ erklärt werden, meint Nikfar.
Es habe ein „(Wahl-) Betrug stattgefunden, dessen Dimensionen wir nicht kennen,“ würden die Kritiker ständig wiederholen.

Nikfar schreibt: „Um die populistisch faschistisch-religiöse Kraft nicht auszublenden, dürfen wir nicht alle Analysen auf Betrug und Putsch reduzieren. Wenn Ahmadinejad auch nur 1 Mio. Stimmen bekommen hätte, müssen die sozialen Wurzeln des religiösen Faschismus ernst genommen werden.“ Tatsächlich hatte Ahmadinedschad nach offizieller Statistik 24,5 Mio Stimmen erhalten.

Das Kräfteverhältnis

Es sei von vornherein eindeutig gewesen, dass das politische System des Iran Ahmadinejad an die Macht verhelfen wollte, meint Nikfar. Sogar Ali Khamenei, gegenwärtiger Revolutionsführer des Iran sei erst in der Amtsperiode von Ahmadinejad ein wirklicher „Führer“ geworden. Denn je kleiner die Rolle des Präsidenten Ahmadinedschad sei, desto größer erscheine der Führer Khamenei. Die Militärs seien in einem solchen System auch zufrieden und würden ihre Dienste gerne dem „Führer“ Khamenei zur Verfügung stellen, so dass auch ihre eigenen Machtpositionen gestärkt würden.

Geld und Macht

Vielleicht würden die Machthaber glauben, dass sie alle übrig gebliebenen Probleme mit Geld und Macht lösen können. Auch der Klerus habe seine Prüfung ganz gut bestanden, schreibt Nikfar ironisch. Zwei oder drei Kleriker hätten protestiert, der Rest aber habe geschwiegen. Sie haben dem „Führer, der ihnen Gnadengaben gibt, nicht den Rücken gekehrt.“

Nikfar polemisiert bewusst, wenn er schreibt, die „Kleriker behalten ihre Religion, machen den Menschen Versprechen zu vieldimensionalen Anreicherungsmechanismen, zur Bereicherung der klerikalen Herrschaft, zur Bereicherung der Armen und zur Anreicherung des Uran.“

Populistische Bereicherung oder Uran Anreicherung

Die Erhöhung der Ölpreise habe in der ersten Runde der Amtszeit von Ahmadinedschad dazu geführt, dass die iranische Wirtschaft nicht bankrott gegangen sei. Es könne sein, dass in der zweiten Phase alles anders verläuft, so dass am Ende statt einer Politik der „populistischen Bereicherung sich alles auf die Urananreicherung reduziert.“

Die iranische Führung sei ohnehin zu dem Ergebnis gekommen, dass wenn Saddam Hussein eine Atombombe gehabt hätte, er nicht gestürzt worden wäre.

Chauvinismus, Schwachsinn und religiöser Terrorismus

Gegenwärtig bestehe die gesamte iranische Ideologie aus „Anreicherung“.
Nikfar schreibt: „Chauvinismus, Schwachsinn, religiöser Terrorismus und religiöse Almosen für die Armen der Welt sind in dem Begriff Anreicherung zusammengefasst.“

Nikfar berichtet, er habe bei einer Reise nach Arak, wo ein Schwerwasserreaktor fertig gestellt werde, die Bewohner eines Dorfes, die in der Nähe der Anlage wohnen, gefragt, ob sie wüssten, was dort gebaut werde. Er habe die Antwort bekommen: Dort werde ein spezielles Wasser produziert, das für die Bewässerung der Landwirtschaft sehr gut sei, weil es dickflüssig sei.

Sogar unter den oppositionellen Exilanten sei das Atomprogramm nicht wirklich ein Problem. Die gesamte iranische Exilopposition könne noch nicht einmal 10 Seiten über die Gefahren der Atomtechnologie für Mensch und Natur schreiben.

Ein politisches System der geschlechtsspezifischen und der religiösen Apartheid

Die Idee, dass der politische Islam lediglich eine andere Form des Nationalismus sei, sei relevant. Die demagogische Politik Ahmadinedschads habe zwei Elemente: Nationalismus und Gerechtigkeit. Es sei aber falsch anzunehmen, dass Ahmadinejad solche Parolen ausgäbe, um die Bevölkerung zu überlisten. Die Parolen seien Säulen seiner religiös-politischen Vorstellungen.

Das Regime könne nicht einfach seine Ideologie aufgeben. Zumal es sich um ein politisches System der geschlechtsspezifischen und der religiösen Apartheid handle. Nikfar hebt hervor, dass eine Bewegung, die nach Freiheit schreie, sich von den Sprechern eines solchen Regimes lösen müsse. Bis heute habe das Regime noch eine starke gesellschaftliche Basis. Deswegen könne es seine Unterdrückungspolitik fortsetzen. Nikfar hat das Modell der Massenstreiks der islamischen Revolution von 1978/1979 vor Augen, wenn er heute feststellt, dass die Gesellschaft in Frieden leben wolle, aber das islamische Regime könne der Bevölkerung keinen Frieden geben. Daher würden die Massenproteste der neuen sozialen Bewegung im Iran weitergehen, so der exil-iranische Philosoph in einer afghanischen Zeitung.

 

 


Hinterlasse eine Antwort