Jerusalem, 16. Februar 2010 – Nicht nur Siedlungen und Grenzfragen stehen einem Frieden in Nahost im Weg. Entscheidender ist die gegenseitige Wahrnehmung von Israelis und Palästinensern, mangelndes Wissen übereinander und eine Weigerung, die Traumata und Empfindungen der jeweils anderen Seite zu sehen und zu respektieren.
Henning Niederhoff kam 1996 als Leiter der frisch gegründeten Filiale der Adenauer Stiftung in den palästinensischen Autonomiegebieten nach Ramallah. Er erkannte, dass eine Völkerverständigung nicht funktionieren könne, solange die Palästinenser vom Holocaust nichts hören wollen, und die Israelis die palästinensische Tragödie der Flucht und Vertreibung 1948 für propagandistische Übertreibung halten.
Niederhoff, dessen Familie nach dem Krieg aus Mecklenburg nach Lüneburg in Niedersachsen geflüchtet ist, beschreibt offen, wie seine eigene Familie und die Stadt Lüneburg (nahe dem ehemaligen KZ Bergen-Belsen) mit der eigenen Vergangenheit umgingen. Die Zerstörung eines Lüneburger Museums durch britische Bomben wurde betrauert, der Tod von 400 KZ-Häftlingen, in Güterwagen zusammengepfercht auf einem Gleis des Bahnhofs, wurde ausgeblendet. „Wenn wir unsere Flüchtlinge so behandelt hätten, wie die arabische Welt die Palästinenser, würdest Du heute noch im Flüchtlingslager leben”, zitiert Niederhoff seinen Vater.
In Ramallah angekommen, fasste das Kind deutscher Flüchtlinge, aufgewachsen nahe einem ehemaligen Konzentrationslager, den delikaten Beschluss, Palästinenser gemeinsam mit Israelis zur Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem zu bringen. Er tat das heimlich und auf eigene Initiative.
Für seine palästinensischen Freunde war das eine ungeheuerliche Zumutung: Nicht wegen der vermeintlichen israelischen Instrumentalisierung des Holocaust, sich als Opfer eines Völkermordes darzustellen, obgleich es den doch in Wirklichkeit gar nicht in dem Ausmaß gegeben hat… Sondern weil manche der von Niederhoff angesprochenen Palästinenser glaubten, dass jene weltberühmte israelische Gedenkstätte über den Ruinen des Dorfes Deir Jassin errichtet worden sei, wo die Israelis 1948 ein Massaker an mindestens 200 Arabern verübt hatten. Sie wussten nicht, dass Deir Jassin fünf Kilometer weit entfernt liegt. In den verlassenen arabischen Häusern ist heute eine psychiatrische Klinik untergebracht, wo Patienten behandelt werden, die dem „Jerusalem-Syndrom” verfallen sind.
Bei einem Mittagessen, nach einem Besuch in Yad Vaschem, entstand die Idee, auch verlassene und teilweise zerstörte arabische Dörfer gemeinsam zu besuchen.
Mit viel Fingerspitzengefühl und im Wortlaut wiedergegebenen Gedanken, Vorbehalten, Verständnislosigkeit und gutem Willen seiner israelischen wie palästinensischen Freunde, gelang es ausgerechnet einem Deutschen, eine faszinierende Brücke für die Zukunft zu schlagen. In seinem Buch „Trialog in Yad Vaschem” lässt Niederhoff seine Freunde zu Wort kommen, nicht separat in getrennten Interviews, sondern nebeneinander, jeweils zu den Themen, die dem ehemaligen Chefredakteur der Jerusalem Post, Ari Radt, dem ehemaligen Sprecher der palästinensischen Bir Zeit Universität Albert Aghazarian, dem frommen israelischen Terrorexperten Schlomo Shpiro, dem palästinensischen Journalisten Sami Kamal und anderen Teilnehmern am Herzen lagen. Selbst deren Biografien sind unzertrennlich verwoben, wie es Niederhoff mit stilistischen Mitteln meisterhaft darstellte. Der Autor hat einen fundamentalen Aspekt des Nahostkonflikts angerührt, der meistens ausgeblendet wird, doch ohne den Israelis und Palästinenser, Juden und Araber einander nicht näher kommen können.
Henning Niederhoff: Trialog in Yad Vashem. Palästinenser, Israelis, und Deutsche im Gespräch, Lit Verlag Berlin, 2. Auflage 2010, 224 Seiten, 14,90 Euro.
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