Grenzenlose Dummheit – Wie israelische Grenzbeamte Weltgeschichte machen

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Jerusalem, 22. Mai 2010, Vier Stunden lang soll der 81-jährige amerikanische Linguistik-Professor Noam Chomsky an der Allenby-Brücke, an der Grenze zwischen Jordanien und Israel, festgehalten, verhört und schließlich ohne Begründung zurückgewiesen worden sein. Das zuständige Militär habe vom Innenministerium ein Veto gegen Chomskys Einreise erhalten. Der Zwischenfall machte weltweite Schlagzeilen, auch in deutschen Medien.
Chomsky ist freilich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch einer der schärfsten Kritiker Israels und in pro-palästinensischen Kreisen eine „Ikone“. Er wollte gar nicht nach Israel, sondern zur palästinensischen Bir Zeit Universität nahe Ramallah, um einen Vortrag zu halten. Nach Angaben Chomskys sollen die israelischen Grenzbeamten erklärt haben, dass Israel seine „Ansichten nicht mag“. Er sei auch gefragt worden, warum er keinen Vortrag in Tel Aviv halten wolle. Im israelischen Rundfunk kritisierte kopfschüttelnd ein Reporter, dass „Chomsky ein derart schlechter Redner“ sei, dass von ihm „keine echte Gefahr für den Bestand Israels“ ausgehe.
Die Basler Zeitung titelte: „Israel hat Angst vor einem 81-Jährigen.“ Der Informationsdienst heise.de stellte fest: „Israels rechte Regierung liebt Kritiker nicht, auch wenn es sich um Juden handelt.“ In der tiefschürfenden Analyse dieses Vorfalls wird die israelische Zeitung Haaretz zitiert: „Israel hat den letzten Rest von Toleranz gegenüber solchen aufgegeben, die nicht einstimmen in den Chor seiner Unterstützer“ Carlo Strenger, ein Tel Aviver Professor für Psychologie, schrieb: «Wenn Israel meint, freie Rede nicht überleben zu können, dann ist es einen weiteren Schritt näher am Flirt mit dem Totalitarismus.“
Und selbst der stellvertretende Chefredakteur einer großen Zeitung im Süddeutschen Raum empörte sich in einem nicht veröffentlichten, aber im Internet verbreiteten Briefwechsel mit einer Leserin: „Es ist wohl sehr wohl von unterschiedlichem Nachrichtenwert, ob ein zweifelhaftes Regime ein paar Hamas-Terroristen nicht ins Land lässt oder ob eine anerkannte Demokratie einen weltweit bekannten Wissenschaftler jüdischen Glaubens an der Anreise hindert und dies hinterher – weil es sehr wohl Wirbel verursacht hat – zum Missverständnis erklärt. Darüber zu berichten, hat nichts mit Israelfeindlichkeit zu tun, eher mit kritischer Solidarität.“ Er empört sich also darüber, dass eine „anerkannte Demokratie“ (Israel) ausgerechnet einen „Wissenschaftler jüdischen Glaubens“ nicht einreisen lässt. Offenbar unterstellt er Israel antisemitische Motive. Die Leserin hatte kritisiert, dass jene Zeitung mit keinem Wort eine ägyptische Einreiseverweigerung von Hamas-Offiziellen erwähnt habe und sogar eine deutsche Einreiseverweigerung für den „Gesundheitsminister“ der de-facto Hamas-Regierung im Gazastreifen, Bassem Naim, zu einer Tagung in der evangelischen Akademie in Bad Boll unterschlagen hätte. In dem Satz mit dreimaliger Verwendung des Wortes „wohl“ bezeichnete der stellvertretende Chefredakteur auch Deutschland als „zweifelhaftes Regime“.
Im Rahmen ihrer „kritischen Solidarität“ mit Israel hätten die Medien gut getan, einen anderen Fall grenzenloser Dummheit israelischer Grenzbeamte aufzugreifen. Der „pro-israelische“ tschechische Außenminister Jan Kohout hatte gerade Israel einen offiziellen Besuch absolviert und wollte nach Prag heim fliegen. Im Flughafen bestand eine Grenzbeamtin darauf, alle 44 Pässe der offiziellen Delegation zu prüfen. In Kohouts Pass fand sie keinen Einreisestempel. Der Minister könne deshalb nicht ausreisen, erklärte die junge Frau. Im Laufe der ausgebrochenen Diskussion redete sie (wie in Israel üblich) den Staatsgast sogar mit seinem Vornamen „Jan“ an. Weil Geschenke von Palästinensern mit Sprengstoff gefüllt sein könnten, bestanden die Beamten darauf, ein offizielles Geschenk des palästinensischen Premierministers Salam Fayad an den tschechischen Außenminister zu durchleuchten. Die Tschechen beklagten sich über die israelische Bürokratie, die Grenzpolizei beschwerte sich über das Außenministerium und dieses war gezwungen, sich förmlich bei den Tschechen für die „diplomatischen Panne“ zu entschuldigen.
Einreiseverweigerungen treffen nicht nur einen 81 Jahre alten Professor „jüdischen Glaubens“, wenn der nach Israel will. Das Neue Deutschland schrieb in einem Artikel über eine Kunstausstellung: „Seit 1995 (haben) bereits mehr Menschen an der europäischen Außengrenze im Mittelmeer ihr Leben verloren als zur Zeit des Kalten Krieges an der Ost-West-Grenze.“ Ein ehemaliger Ostdeutscher in Jerusalem kommentierte: „Das Neue Deutschland scheint verwechselt zu haben, dass es damals um verweigerte Ausreisen ging und heute um Einreisen.“
Der nächste Skandal steht schon an, weil Israel einer „Freundschaftsdelegation“ des europäischen Parlaments mit dem nach eigenen Angaben „sehr pro-israelischen“ ehemaligen Parlamentspräsidenten Hans-Gert Poettering die Ausreise in den Gazastreifen verweigert. Derartige Politikerreisen nach Gaza liefern der Hamas „moralische Unterstützung“ monierte ein israelischer Diplomat. Ebenso will Israel ein Einreise von 500 politischen Aktivisten auf einer Flotille von fünf voll beladenen Schiffen „um jeden Preis“ verhindern. Die Aktivisten wollen die israelische Blockade des Gazastreifens durchbrechen, um den eingesperrten Palästinensern zu helfen. Gleichwohl rollen täglich hunderte Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen und über 700 Palästinenser wurden zur ärztlichen Behandlungen allein in der vergangenen Woche nach Israel eingelassen.

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