Kommentar: Israel soll am deutschen Wesen genesen

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Jerusalem, 3. Juli 2010 – Der einstimmig von allen Bundestagsfraktionen angenommene Beschluss zu den Ereignissen um die „Gaza-Flottille“ enthält gefährliche Ratschläge und ist teilweise weltfremd.
Wenn die Abgeordneten schon im Eingangssatz feststellen, dass auch israelische Soldaten verletzt wurden, liegt eigentlich auf der Hand, dass nicht nur die Soldaten mit Gewalt vorgingen. „Es bestehen starke Hinweise, dass beim Einsatz von Gewalt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde.“ Das mag natürlich sein. Wahrscheinlich meinen die Abgeordneten, dass dieser Grundsatz gewahrt geblieben wäre, wenn es auch ein paar Tote unter den israelischen Soldaten gegeben hätte. Nicht zum ersten Mal wird Israelis vorgeworfen, sich nicht abschlachten zu lassen oder im Vergleich zu ihren Feinden weniger Verluste zu erleiden. Doch wenn ein einziger Selbstmordattentäter Dutzende Israelis tötete, wurde noch nie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zitiert.
Weiter heißt es in der Resolution: „Die Blockade Gazas ist aber kontraproduktiv und dient den politischen und Sicherheitsinteressen Israels letztlich nicht. Das erklärte Ziel der Freilassung des von Kräften der Hamas widerrechtlich festgehaltenen Angehörigen der israelischen Streitkräfte Gilad Shalit ist bislang nicht erreicht. Die islamistische Hamas ist nicht geschwächt, sondern profitiert politisch und wirtschaftlich … von der Blockade.“
Wie Stammtischstrategen empfehlen die Abgeordneten den Israelis, am deutschen Wesen zu genesen. Haben die Damen und Herren in Berlin wirklich alles in Betracht gezogen, was den Sicherheitsinteressen Israels dient? Besteht die Blockade wirklich nur wegen dem seit vier Jahren „von Kräften der Hamas“ in Geiselhaft festgehaltenen Soldaten Gilad Shalit? Warum vermeiden es die deutschen Parlamentarier, die Hamas direkt verantwortlich zu machen? Sind die im sicheren Berlin sitzenden Abgeordneten aller Fraktionen bereit, die Verantwortung zu übernehmen, falls die gewählte israelische Regierung deren Vorstellungen von „Sicherheitsinteressen“ übernimmt, die Blockade aufhebt, die Grenzen für den Personenverkehr (wohl auch für Selbstmordattentäter der Hamas) öffnet und die Lieferung von Zement für den Bau von Abschussrampen von Raketen akzeptiert? Die Unterstellungen der deutschen Abgeordneten sind eine Anmaßung, die sich im umgekehrten Fall keine deutsche Regierung gefallen ließe.
Interessant wäre es, zu erfahren, wie man im Berliner Reichstag gemessen hat, dass die islamistische Hamas nicht geschwächt wurde, sondern profitiere. Vor Ort gibt es da ganz andere Ansichten. Wenn die im Gazastreifen regierende Hamas nun schon zweimal Banken überfallen und ausrauben musste, weil sie pleite ist, scheint es mit ihrem politischen wie wirtschaftlichen Profit nicht mehr so weit her zu sein. Man hört auch zunehmend Stimmen von Menschen im Gazastreifen, die unter dem diktatorischen Regime der Hamas leiden. Vielleicht ist die gemeinsame von Ägypten (!) und Israel verhängte, und von der Autonomiebehörde in Ramallah geduldete Blockade effektiver, als man es in Berlin wahrhaben möchte.
Geradezu weltfremd und von Unwissen geschlagen ist der Vorschlag, bei Ägypten auf einen kontrollierten Grenzverkehr hinzuwirken und Israel sowie der Palästinensischen Autonomiebehörde das Angebot zu machen, „durch die Ausbildung von palästinensischen Grenzschutzkräften ein konstruktives internationales Grenzmanagement aufzubauen“. Offenbar haben die deutschen Abgeordneten keine Zeitung gelesen, als die Hamas im Juli 2007 im Gazastreifen geputscht hat. Bei der Gelegenheit haben die Islamisten nicht nur die Vertreter der Autonomiebehörde entmachtet, vertrieben, ermordet oder mit Schüssen in die Knie gehunfähig gemacht. Offenbar weiß man im Bundestag nicht einmal, dass damals auch Zöllner der EU (darunter Deutsche) am Grenzübergang zu Ägypten die Flucht ergriffen haben. Alle Abmachungen zwischen Israel, der Autonomiebehörde, der EU und Ägypten wurden damals von der Hamas eigenhändig zerstört. Das jetzt gewünschte „konstruktive internationale Grenzmanagement“ gab es längst. Und wie sollen die von der EU ausgebildeten palästinensischen Zöllner zu ihren Posten entlang der Grenze gelangen, wenn die Hamas sie nicht in den Gazastreifen herein lässt?
Dieser Vorschlag zeugt von Naivität und einem gefährlichen Unwissen. Der Staat Israel, dessen Existenzrecht erst noch anerkannt werden muss, sollte vorsichtig sein, sich von deutschen Parlamentariern seine eigenen „Sicherheitsinteressen“ vorschreiben zu lassen, wenn ihnen nicht einmal elementare Fakten bekannt sind. 

  • Deutscher Bundestag Drucksache 17/2328
    17. Wahlperiode 30.06.2010
    Antrag
    der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären — Lage der Menschen in Gaza verbessern — Nahost-Friedensprozess unterstützen Der Bundestag wolle beschließen:
    I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
    1. Die Militäraktion israelischer Streitkräfte gegen die großenteils unter türkischer Flagge fahrende „Gaza-Solidaritätsflotte“ in internationalen Gewässern, circa 130 Kilometer vor der Küste Gazas, am 31. Mai 2010 hat in der ganzen Welt starke Reaktionen ausgelöst. Die tragischen Ereignisse haben neun Menschenleben gefordert. Darüber hinaus wurden etwa 30 Menschen, darunter auch israelische Soldaten, verletzt.
    2. Die Schiffe der „Solidaritätsflotte“ mit etwa 680 Aktivisten an Bord transportierten Hilfsgüter und Baumaterialien für die Menschen in Gaza.
    Sie hatten nach eigener Aussage Beteiligter aber vor allem das Ziel, die bestehende Seeblockade, die Israel über Gaza verhängt hat, zu durchbrechen. Es gibt Hinweise, dass manche der Organisatoren der Flotte über Verbindungen zur radikalislamistischen Hamas und anderen radikalen islamistischen Organisationen verfügen.
    3. Die israelischen Soldaten sind mit Gewalt unter Einsatz von Schusswaffen vorgegangen, als sie nach Aussagen der israelischen Regierung von Aktivisten angegriffen wurden. Das Völkerrecht zieht für die Anwendung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber Schiffen auf hoher See Grenzen. Es bestehen starke Hinweise, dass beim Einsatz von Gewalt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde.
    4. Das israelische Kabinett hat am 14. Juni 2010 eine Untersuchung des Einsatzes gegen die „Solidaritätsflotte“ unter internationaler Beteiligung beschlossen. Die Vorgänge sollten im Rahmen der Untersuchung umfassend aufgeklärt werden, wobei auch die Beteiligung von Vertretern des Nahost-Quartetts, dem die EU, die Vereinten Nationen, Russland und die USA angehören, sinnvoll wäre.
    5. Israel macht das Selbstverteidigungsrecht geltend, um die Seeblockade und deren Durchsetzung zu rechtfertigen. Daher wurde das Begehren der Vertreter der „Solidaritätsflotte“, die Ladung im Hafen von Gaza zu löschen, abgelehnt. Die israelische Regierung hat das Angebot gemacht, die Einfuhr der auf der Solidaritätsflotte transportierten Hilfsgüter nach einer Inspektion über den Landweg nach Gaza zuzulassen. Hamas hat aber die Einfuhr von Hilfsgütern, die die israelischen Streitkräfte auf Lastwagen bereit gestellt hatten, auf diesemWeg abgelehnt.
    6. Durch die Ereignisse vom 31. Mai 2010 richtet sich die Aufmerksamkeit der Welt auch auf die Situation der Menschen in Gaza. Die Lebenslage der Zivilbevölkerung in Gaza muss dringend verbessert werden. Dazu hat die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik am 31. Mai 2010 erklärt: „Die humanitäre Lage in Gaza bleibt ein Anlass zu großer Sorge.“ Die EU fordert, zuletzt in den Schlussfolgerungen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten vom 14.
    Juni 2010, die unmittelbare, bedingungslose und dauerhafte Öffnung von Zugängen zu Gaza für den Verkehr von humanitärer Hilfe, kommerziellen Gütern und Personen nach und aus Gaza. Die Ankündigung der israelischen Regierung vom 20. Juni 2010, die Positivliste von Gütern, deren Einfuhr möglich ist, in eine Negativliste verbotener Güter wie Waffen und waffenfähiges Material zu verwandeln, ist eine richtige Änderung, die rasch umgesetzt werden sollte.
    7. Israels legitime Sicherheitsinteressen müssen gewahrt bleiben. Das setzt voraus, dass der Raketenbeschuss aus Gaza sofort aufhört und dass durch ein Grenzkontrollregime Waffenlieferungen nach Gaza unterbunden werden, wie es der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 1860 (2009) gefordert hat. Das Existenzrecht Israels muss allgemein anerkannt werden, insbesondere durch die Hamas.
    8. Die Blockade Gazas ist aber kontraproduktiv und dient den politischen und Sicherheitsinteressen Israels letztlich nicht. Das erklärte Ziel der Freilassung des von Kräften der Hamas widerrechtlich festgehaltenen Angehörigen der israelischen Streitkräfte Gilad Shalit ist bislang nicht erreicht. Die islamistische Hamas ist nicht geschwächt, sondern profitiert politisch und wirtschaftlich, vor allem durch die „Tunnelwirtschaft“, von der Blockade. Die Versorgung funktioniert unter der Aufsicht und zum Vorteil von Hamas, die Abgaben auf die Waren erhebt, die über die geschätzt rund 600 Tunnel aus Ägypten eingeführt werden. Daher hat Hamas selbst kein Interesse daran, dass legale Übergänge nach Gaza geöffnet werden.
    9. Bis zu 80 Prozent der Bevölkerung sind auf Lebensmittelhilfe und Transferleistungen angewiesen. Zwar herrscht in Gaza kein Mangel an Grundnahrungsmitteln und grundlegender medizinischer Versorgung, aber wirtschaftliche Entwicklung als Grundlage für ein Leben in Würde ist nicht möglich.
    10. Nach Angaben des Leiters der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA), John Ging, erschwert die Blockade die Arbeit der UNRWA.
    So kann die UNRWA die Grundversorgung im Bildungsbereich nicht sicher stellen, weil kaum Baumaterial eingeführt werden kann und es so nicht möglich ist, Schulgebäude zu bauen. Hamas kann diese Situation ausnutzen und die fehlenden Schulangebote machen, um die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, in ihrem Sinne zu beeinflussen.
    11. Deutschland spielt als Partner und Freund Israels und im Rahmen der Europäischen Union eine wichtige Rolle im Nahostfriedensprozess. Es liegt im Interesse der Handlungsfähigkeit europäischer Politik im Nahostkonflikt, die so genannten „Proximity Talks“ zu unterstützen und Möglichkeiten für Beiträge zu pragmatischen Fortschritten auszuloten.
    12. Nur ein umfassender politischer Prozess, der auf der Roadmap, dem Annapolis-Prozess und weiteren Friedensinitiativen wie denen des Nahost-Quartetts und insbesondere der Arab Peace Initiative aufbaut, in dem die offenen Statusfragen geklärt werden und der in einer Zwei- Staaten-Lösung mündet, wird zu einem tragfähigen Frieden im Nahen Osten beitragen.
    II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, 1. die Forderung nach einer internationalen Untersuchung des Einsatzes gegen die „Solidaritätsflotte“, wie sie der Generalsekretär der Vereinten Nationen erneut gefordert hat, zu unterstützen, die das Vorgehen beider Seiten, einschließlich möglicher Verbindungen von Organisatoren zur radikalislamistischen Hamas und anderen radikalen islamistischen Organisationen, in den Blick nehmen sollte, wobei die Beteiligung von Vertretern des Nahost-Quartetts sinnvoll wäre; 2. deutlich zu machen, dass legitime Sicherheitsinteressen Israels voll gewahrt werden müssen, wozu insbesondere der Raketenbeschuss aus Gaza sofort beendet werden und der Waffenschmuggel nach Gaza unterbunden werden muss, wie es der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 1860 (2009) und der Rat für Auswärtige Angelegenheiten der Europäischen Union in seinen Schlussfolgerungen vom 14. Juni 2010 gefordert haben; 3. die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik bei ihren Initiativen zur Verbesserung der humanitären Lage in Gaza mit allem Nachdruck zu unterstützen und sich innerhalb der Europäischen Union insbesondere dafür einzusetzen, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen damit beauftragt wird, mit Israel über den Zugang nach Gaza auch auf dem Seeweg und die Schaffung entsprechender technischer Voraussetzungen mit dem Ziel zu verhandeln, dass unter Wahrung der Sicherheitsinteressen Israels von den Vereinten Nationen benötigte Güter nach Gaza eingeführt werden können; 4. die Forderung der Europäischen Union nach einer sofortigen Aufhebung der Gaza-Blockade mit Nachdruck zu unterstützen und darauf hinzuwirken, dass Israel die Positivliste von Gütern, deren Einfuhr möglich ist, in eine Negativliste verbotener Güter wieWaffen und waffenfähiges Material umwandelt; 5. gegenüber Ägypten gleichfalls darauf hinzuwirken, dass ein regelmäßiger und im Interesse der Sicherheit der israelischen Bevölkerung kontrollierter Grenzverkehr ermöglicht wird; 6. im Rahmen der Europäischen Union Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde das Angebot zu machen, auch durch die Ausbildung von palästinensischen Grenzschutzkräften ein konstruktives internationales Grenzmanagement aufzubauen, das die Überwachung der Einfuhr von Lieferungen nach Gaza unterstützt, um sicherzustellen, dass kein Waffenschmuggel nach Gaza stattfindet;

    7. die von den Vereinigten Staaten initiierten so genannten „Proximity Talks“ wie bisher zu unterstützen und sich darüber hinaus gegenüber Israel und den Palästinensern weiter dafür einzusetzen, dass beide Seiten sie konstruktiv führen, damit eine rasche Aufnahme direkter Friedensgespräche mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung möglich wird.
    Berlin, den 30. Juni 2010
    Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und Fraktion Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion Birgit Homburger und Fraktion Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

    * Wird nach Vorliegen der lektorierten Druckfassung durch diese ersetzt.


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