Eichmanns Chefankläger

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Jerusalem, 26. Juli 2010 – Fast zeitgleich, während die ARD das Doku-Drama eines Interviews aus dem Jahr 1956 in Argentinien des faschistischen holländischen Journalisten Willem Sassen mit dem Verantwortlichen für die Ermordung aller Juden Europas unter den Nazis, Adolf Eichmann sendete, saß der ehemalige israelische Chefankläger gegen Eichmann, der frühere Oberrichter Gabriel Bach, in der Wohnung dieses Korrespondenten und erzählte einer Schülergruppe aus Bochum seine persönlichen Erlebnisse rund um diesen Prozess. Der Mitschnitt seiner zweistündigen Ausführungen ist hier wesentlich gekürzt, aber stilistisch kaum überarbeitet worden, um das frei gesprochene Wort möglichst authentisch wiederzugeben.
Gabriel Bach, 1927 in Halberstadt geboren, wuchs mit seiner Familie in Berlin auf. Ich ging in die Theodor Herzl Schule am Adolf Hitler Platz.
In Berlin spielten wir Fußball im Preußenpark. Da gab es herrliche Bänke, rote und grüne. Und es gab gelbe Bänke. Die waren nur für Juden. Für uns, in der zionistischen Schule, war das nicht so niederschmetternd.  Denn wir haben hebräische Lieder gesungen, um uns Mut zu machen. Aber für die andere jüdische Bevölkerung in Berlin war das grausig. Wir sind auf dem Wannsee am Wochenende mit Motorbooten gefahren. Wir sahen Kästen mit der Zeitung „Der Stürmer“, praktisch an jeder Straßenecke. Plötzlich sah ich ein Bild von uns auf einem dieser Motorboote.  „Juden fahren noch auf dem Wannsee spazieren“, hieß es unter dem Bild.
Unser Glück war es, dass wir Deutschland 1938 verlassen hatten, zwei Wochen vor der Kristallnacht. Wir fuhren nach Holland und verließen Holland einen Monat vor der deutschen Invasion. Wir gelangten auf dem Schiff Patria nach Palästina. Die wurde bei der nächsten Fahrt versenkt, mit 250 Todesopfern.
In Amsterdam ging ich in eine gemischte Schule. Da waren hunderte jüdische Schüler. Mein bester Freund, ein Nichtjude, war bis vor Kurzem der holländische Botschafter bei den Vereinten Nationen. Der sah mich 1961 im Fernsehen beim Eichmannprozess. Er rief mich an und erzählte, dass er nach dem Krieg festgestellt hat, dass von all den jüdischen Schülern in unserer Schule, ich der einzige sei, der am Leben geblieben ist. Alle anderen wurden getötet.
Einer meiner Onkels lebte in Bayern in einem kleinen Dorf. Jeder wusste, wer da jüdisch war, als die Leute abgeholt und in die Lager geschickt wurden. In der Kristallnacht haben Burschen meinen Onkel furchtbar zusammengeschlagen und ihm die Brille kaputt gemacht. Mit den Anderen, ging es im Autobus nach Buchenwald. Auf dem Weg hat der SS-Mann gesagt: „Es besteht kein Grund, dass wir für euch Schweine auch die Fahrt bezahlen.“ Am Tag darauf erhielt meine Tante, die zurückgeblieben war, eine Mitteilung von der Gestapo. Sie solle kommen. Erst dachte sie, unterzutauchen oder wegzulaufen. Sie wollte aber wissen, was mit ihrem Mann passiert ist. Also ist sie da hin gegangen. Der Beamte, ein Offizier sagte: „Frau Bach, Ihr Mann ist nach Buchenwald gefahren, in einem Autobus, in ein Arbeitslager und hat für die Fahrt bezahlen müssen, aber er hat einen 20 Mark Schein gegeben. Die Fahrt kostet aber nur 18,80 Mark. Diese 1,20 Mrk möchte ich Ihnen erstatten.“ Ich weiß nicht, warum mich das so besonders erschüttert hat. Der Beamte wusste nicht, wie er diese 1,20 Mark verbuchen sollte.
Bach studierte Jura in England, diente in der israelischen Armee, wurde Militärrichter, Staatsanwalt und Richter beim Obersten Gericht.
Zur Eichmann-Affäre möchte ich Euch Sachen mitteilen, die nicht veröffentlicht wurden, emotionale wie persönliche Erfahrungen. Ich erinnere mich, wie unser Ministerpräsident David Ben Gurion dem Parlament mitteilte: „Eichmann ist gefasst und in Israel.“ Zwei Tage fragte mich der Justizminister, ob ich bereit sei, juristische Berater des Polizeibüros zu werden, das die Untersuchung gegen Eichmann durchführte. Man hatte dafür das ganze Jagur Gefängnis bei Haifa geleert. Neun Monate war ich der einzige Kontakt, den Eichmann mit der Außenwelt hatte, bis seine Anwälte kamen.
Mein erstes Treffen mit ihm: Ich saß in meinem Büro und las die Autobiografie von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz. Ich las, wie sie an vielen Tagen 1000 jüdische Kinder getötet haben. Er schrieb, wie die Kinder manchmal auf Knien gebeten hatten, verschont zu bleiben. Höß schrieb: „Wenn ich die Kinder in die Gaskammern stoßen musste, bekam ich manchmal Kniezittern. Ich habe mich über diese Schwäche geschämt. Ich hatte mit Obersturmbannführer Eichmann gesprochen. Der erklärte erklärt, dass man die Kinder zuerst umbringen sollte. Denn wo ist die Logik, dass man eine Generation von älteren Menschen umbringt und eine Generation von möglichen Rächern am Leben lässt. Die könnten ja auch eine Keimzelle für die Wiedererrichtung dieser Rasse werden.“ Zehn Minuten, nachdem ich das gelesen hatte, wollte Eichmann mich sprechen. Er saß mir gegenüber wie Sie jetzt (sagt Bach zu den Schülern aus Bochum). Mir fiel es schwer, da ein Pokerface zu behalten, nachdem ich das gerade gelesen hatte.
Es war am Anfang schwer, Zeugen zu bekommen. Wir hatten Listen von Überlebenden. Aber viele weigern sich auszusagen. Sie wollten nicht daran erinnert werden. Ich habe einigen Leute gesagt, das ist doch eure Pflicht, der Geschichte gegenüber, dem jüdischen Volk und der Gerechtigkeit.
Wir haben aus aller Welt Informationen erhalten. Die deutsche Regierung war ungeheuer hilfsbereit. Die Information, dass Eichmann in Argentinien ist, haben wir von Hessens Generalstaatsanwalt Fritz Bauer bekommen.
Aus Polen, das damals sehr anti-israelisch war, erhielt anonyme Briefe und wichtiges Beweismaterial. Eines Tages kam ein Brief mit abgetippten Seiten. Da stand, wie viele Juden jeden Tag zwischen 1942 und 1943 nach Auschwitz kamen und welche Nummern sie auf den Arm tätowiert bekamen. Das war von ungeheurer Bedeutung für die Staatsanwaltschaft. Aber damit niemand die polnische Quelle erfährt, man das abgetippt, ohne Stempel und Unterschrift. Wir hatten keine Ahnung woher die Information kam. In einem Prozess kann man so was nicht einreichen, wenn man nicht beweisen kann, dass es richtig und echt ist.
Ich habe alle Polizeioffiziere zusammengerufen und denen die Papiere gezeigt. „Hat einer von euch eine Idee, wie man das doch als akzeptables Beweismaterial gebrauchen könnte?“ Da herrschte Stille. „Vielleicht machen wir es umgekehrt. Vielleicht zeigen wir, dass die Informationen stimmen. Einige hundert Israelis waren in Auschwitz, und wissen wann sie nach Auschwitz gekommen sind. Die haben noch immer die Nummer auf dem Arm. Wenn wir also alle Israelis, die 1942 nach Auschwitz kamen, zur Polizei bestellen, die Nummern untersuchen und fragen, wann seid ihr da hin gekommen, werden wir sehen, ob die abgetippten Dokumenten echt sind.“ Ich hatte das noch nicht ausgesprochen, da zog der für Polen verantwortliche Offizier, sein Hemd hoch, zeigt uns seine Nummer und sagt ich bin im September 43  nach Auschwitz gekommen. Das ist die Nummer und die stimmt genau überein mit dem, was da (auf der Liste) stand. Ich hatte keine Ahnung dass der Mann aus Polen und Auschwitz. Polizeioffiziere sind nicht als sehr weichliche Menschen bekannt. Aber wie er den Ärmel hochnahm, war drei-vier Minuten lang absolute Stille. Keiner der Offiziere sagte ein Wort. Das sind Momente, die man schwer vergessen kann.
Es gab immer mal versuche, irgend eine jüdische Familie zu retten. Ich hatte damals Träume, dass vielleicht einer gerettet oder von Eichmann ausgenommen wurde. Eines Tages kam ein Brief von einem General der Wehrmacht, Kommandant von Paris. Der hatte Eichmann mitgeteilt, dass es gibt einen jüdische Professor Weiß gebe, Experte für Radar, und besonders wichtig für die Wehrmacht. Die wolle diesen jüdischen Professor über seine Patente ausfragen. Deswegen verlangte der General, dass dieser Jude, Professor Weiß, nicht mit seiner Frau deportiert werde. Ich hatte wirklich das Gefühl, mitten im Krieg, dass Eichmann eine solche Bitte eines Generals nicht ablehnen könne. Nach einigen Tagen bringt man mir die Antwort von Eichmann: „Aus prinzipiellen Erwägungen kann ich unmöglich nachgeben.“ Der General rief bei Eichmann an: „Wie wagen Sie es, meine Instruktionen nicht zu befolgen. Ich bin General der Wehrmacht.“ Die Antwort Eichmanns: „Und ich bin Obersturmbannführer von der SS. Es interessiert mich nicht, welchen Rang Sie in der Wehrmacht haben.“ Einige Tage später schreibt Eichmann dem General. „Ich habe die Sache weiter untersucht und festgestellt, dass die Patente dieses Juden Weiß längst von der  Wehrmacht übernommen wurden. Deswegen sehe ich keinen Grund, seine Deportation nach Auschwitz um einen einzigen Tag zu verschieben.“ Tatsächlich wurden dieser Mann und seine Frau in Auschwitz getötet.
Zwei Tage späte kommt meine Sekretärin. Eine junge Frau wolle mich sprechen: Alisa Weiß. Kenne ich nicht, bring sie rein. Die Frau kam und sagte: „Ich bin die Tochter von Profesor Weiß. Ich war ein Baby, als man meine Eltern abholte. Meine Eltern haben mich zu Nachbarn geschickt. Die Nachbarn haben mich aufgehoben und nachher nach Amerika geschickt. Ich habe gelesen, dass sie diese Dokumente eingereicht haben. Ich habe meine Eltern nicht gekannt, ich habe auch kein Bild von ihnen. Könnten Sie mir vielleicht einen Ratschlag geben, wie ich ein Bild bekommen könnte.
Einige Tage darauf kommt der Verantwortliche für Holland. Da gab es eine faschistische Partei. Und der Leiter der Partei schrieb an Eichmann: „Es gibt 12 Juden, die gehören der faschistischen Partei an. Loyale Mitglieder der Partei. Es würde demoralisierend wirken auf die ganze faschistische Bewegung, wenn diese 12 Juden deportiert würden.“ Um es Eichmann attraktiv zu machen, schrieb er, dass diese 12 Juden Spitzeltätigkeiten ausüben könnten, innerhalb der jüdischen Gemeinde, und helfen könnten, jene Juden ausfindig zu machen, die sich noch verstecken.
Ich sagte mir: unter allen diesen Umständen kann er doch nicht ablehnen.
Dann die Antwort Eichmanns: „Aus prinzipiellem Grund kann ich da unmöglich einlenken. Wenn Sie sagen, dass das demoralisierend wirken könnte, warten wir vielleicht noch drei Wochen, bis die Leute sich so an diese Deportationen gewöhnt haben, dass das keinen besonderen Eindruck mehr macht.“
Die Richter waren ungeheuer scharf mit uns. Wir durften nur einreichen, was in direktem Zusammenhang mit Eichmann stand. Allgemeine Aussagen wurden nicht zugelassen.
Ihr wisst, bevor es die Gaskammern gab, hatte man Gasautos, Lastwagen, deren Auspuff statt nach außen nach innen führte. Die jüdischen Familien wurden da reingepfercht, und die Autos sind 30 bis 40 Kilometer gefahren. Das (Ab-)Gas ging da rein und die Leute sind langsam erstickt. Dann wurden die Leichen in Gräber gestoßen. Eines Tages stieß ich auf ein Dokument eines Ingenieurs. Der beschrieb seinen Vorgesetzten, wie diese Gasautos arbeiten. „Aus humanitären Gründen müssen wir etwas tun, um unsere armen SS-Chauffeure davor zu bewahren, dass sie diese Schreie hören müssen, die immer leiser werden. Und da habe ich eine schalldichte Wand erfunden, zwischen dem Chauffeursitz und dem hinteren Teil.“
Ich sah die ersten Worte, „aus humanitären Gründen“, irgendwas für die Menschen, nein, nur damit unsere armen SS-Chauffeure davor bewahrt werden, die Schreie zu hören.
Eine andere Sache werde ich nie vergessen. Da gab es ein Kind. Ein Zeuge hatte im Prozess ausgesagt. Er war einzige, der schon in einer abgeschlossenen Gaskammer war und davon erzählen konnte. Er war damals ein Kind, elf Jahre. Man hatte immer 200 Kinder zusammen in eine Gaskammer genommen. Da beschrieb er, wie sie in der Gaskammer waren, wie die verschlossen wurde und wie es dunkel war.  Die Kinder hätten Anfangs gesungen, m sich Mut zu machen. Aber als da nichts geschah, fingen die Kinder an zu weinen und zu schreien. Und dann öffnet sich die Tür. Da war ein Zug mit Kartoffeln in Auschwitz angekommen. Es gab nicht genug SS Leute, um die zu entladen. Da hatte ein Offizier die glorreiche Idee: Warum nicht einige dieser Kinder benützen, bevor sie getötet werden? Und da holte man die ersten zwanzig, die nahe der Tür waren. Unser Zeuge war einer von denen. Die anderen 180 wurden sofort getötet. Jene, die beim Entladen geholfen hatten, wurden dann auch gleich getötet. Aber unser Zeuge hätte Schaden an einem der Lastwagen angerichtet. Ein Offizier sagte, bevor der in die Gaskammer kommt, zusammen mit der nächsten Gruppe, soll er im Lager von einem SS-Mann gepeitscht werden. Und da hat man ihn rausgebracht. Doch der SS-Mann der ihn peitschen sollte empfand Zuneigung zu ihm und ließ ihn bei sich. So blieb er am Leben.
Der Zeuge beschrieb auch, wie er an dem Tag in die Gaskammer kam. Kinder, die noch arbeiten konnten, wurden dazu benutzt, aber wer zu klein oder schwach war, kam gleich in die Gaskammer. Die SS-Leute wollten nicht jedes Kind untersuchen. Da haben sie ein Tor gebaut, zwei vertikale Stäbe und einen horizontalen. Die Kinder mussten da durchgehen. Wer nicht groß genug war, kam gleich in die Gaskammer. Unser Zeuge war sehr klein und schwach. Aber er hatte einen älteren Bruder. Der hat Steine genommen und in die Schuhe seines Bruders getan, damit er ein bischen höher würde und hat ihn auch hoch gehalten. Aber der verantwortliche SS Mann hat das gesehen. Er hat den Bruder erschossen und so kam unser Zeuge in die Gaskammer.
Ich werde oft gefragt, ob Eichmann Reue gezeigt hat. Er hat vor Gericht gesagt, dass es das kapitalste Verbrechen der menschlichen Geschichte war. Da wurde ich gefragt, ob er das ernst gemeint hat. Es hätte für das Strafmaß von Bedeutung sein können. Ich meine, dass das nur ein Lippendienst war. Ich halte es nicht für unmöglich, dass er in der Zeit zwischen 1949 und 1961, als der Prozess begann, seine Meinung geändert hat, oder sich ihm die Augen geöffnet haben. Aber hier hatten wir Beweise, dass er 1956 in Argentinien Besuch von einem holländischen Journalisten und Faschisten bekam, Willem Sassen, Der nahm seine Geschichte auf Tonband auf. Er hat auch ein Transskript mit Eichmanns Korrekturen gemacht. Er sollte das nach Eichmanns Tod veröffentlichen. Aber als Eichmann von unseren Leuten gefasst wurde, hat er das Material an das Life-Magazin gegeben. Von dort haben wir es bekommen. Und Eichmann erzählte: „Ich war in Holland, Ich habe die Todeszüge gesehen, von Holland nach Auschwitz fuhren, das waren nur Frachtwagen. Und dann fragte dieser holländische Journalist: „ Sagen Sie Herr Eichmann, tut es Ihnen leid, was Sie getan haben?“ Da sagte Eichmann: „Ja, eines tut mir leid, dass ich nicht hart genug war, dass ich nicht scharf genug war, dass ich diese verdammten Interventionisten nicht genug bekämpft habe. Und jetzt sehen Sie das Resultat: die Entstehung des Staates Israel und die Wiedererrichtung dieser Rasse dort.“
Ich versuchte rauszufinden, welche Möglichkeiten der Verteidigung Eichmann hätte, zum Beispiel die Retroaktivität. Die Vergehen wurden in den dreißiger Jahren begangen. Der Staat Israel hatte damals nicht bestanden. Unser Gesetz gegen Naziverbrechen ist 1950 verfasst worden. Man muss kein Jurist sein: wenn man heute etwas tut, was absolut legal ist und nach sechs Monaten kommt ein Gesetz, um das illegal zu machen, wäre es Unrecht jemanden dafür bestrafen. Hier und auch bei den Nürnberger Prozessen waren das alles retroaktive Gesetze. Aber man hatte keine neuen Normen geschaffen, indem man sagte, dass es verboten sei, Männer Frauen und Kinder umzubringen. Das war auch nach deutschem und sogar nach SS-Gesetz so. Nur haben damals die Nazis ein Vakuum geschaffen: wenn das Opfer ein Jude war, kam der Mörder nicht vor Gericht. 
Dann haben Leute gesagt, Israel sei ein jüdischer Staat. Juden waren die Opfer. Gerechtigkeit muss auch nach Außen so aussehen. Leute meinten, dass es hier um Massenmord gehe, die Richter könnten Emotionen haben. Darauf erwiderte ich, dass jeder Richter in der Welt bei solchen Geschichten nicht wert wäre, Richter zu sein, wenn er keine Emotionen hätte. Natürlich muss er objektiv sein. Er muss dem Angeklagten jede Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Niemand behauptete, dass das hier in Israel nicht der Fall war.
Da war ein Professor aus einem europäischen Land, der das geltend machte. Er bat, die Anklageschrift zu sehen. Da sah er, dass wir Eichmann nicht nur wegen Mord an Juden angeklagt hatten, sondern auch wegen Mordes an Zigeunern, russischen Kommissaren, Tschechen, Polen und anderen. Er fragte, warum wir ihn wegen dieser anderen Sachen angeklagt hätten. „Warum habt ihr das nicht polnischen, russischen und anderen Gerichten überlassen?“ Ich antwortete: „Vor fünf Minuten haben Sie gesagt, dass es Unrecht sei, wenn ein Gericht einer Gesellschaft der Opfer Anklage erhebt. Sie scheinen keine Schwierigkeiten mit einem russischen oder tschechischen Gericht zu haben. Nur beim Gericht eines Judenstaates haben Sie auf einmal Probleme.“ Der Mann hatte die Anständigkeit, zu erröten. „Ehrlich gesagt weiß ich wirklich nicht, warum ich diesen Unterschied gemacht habe,“ sagte er immerhin.
Unvergessen ist mir auch der erste Augenblick des Prozesses, wie die Richter in den Saal kamen, mit dem israelischen Staatswappen hinter sich, und dann dieser Mann, dessen einziges Bestreben war, dieses Volk zu vernichten, aufstand und Haltung annahm. Die Bedeutung der Errichtung des Staates Israel war mir in dem Moment klarer  als in irgend einem anderen Moment.
Im Allgemeinen saß Eichmann in Berlin und hat dort die Fäden gezogen. Er hatte Assistenten in den verschiedenen Ländern. Ungarn hatte auf Seiten Deutschlands gekämpft. Der Führer von Ungarn, ein General Horty, hatte 43 oder 44 das Gefühl, dass der Krieg verloren sei. Er wollte einen Separatfrieden schließen. Hitler hat sich da mit ihm getroffen. Mit Drohungen und Versprechen hat er ihn dazu gebracht, weiter zu machen. Auch an der Depotration von Hunderttausenden Juden nach Osten sollte er dabei zu sein.  Himmler gab den Befehl, dass der Meister selbst, also Eichmann, nach Ungarn fahren sollte, um einen Massenaufstand oder eine Massenflucht von Juden zu verhindern.
Eichmann erzählte uns: Er gab die Anweisung aus, dass die ersten Juden aus Ungarn, die nach Auschwitz kamen, ehe sie in die Gaskammern gingen, gezwungen werden sollten Postkarten an ihre Freunde und Familien zu schreiben. Eichmann diktierte, was da stehen sollte: Wir sind in einem wunderschönen Ferienort, einem Waldsee, wunderschöne Ausflüge in die Gegend, nur leichte Arbeit, aber nicht viel Platz. Also kommt so rasch wie möglich. Um die Villen und Baracken zu fassen.
Und Eichmann erzählte uns doch: Da habe ich hinzugefügt, bringt gute Schuhe mit für die Ausflüge, damit die Wehrmacht die Schuhe bekommen könne. 
Nach vier Tagen erfuhr ich, dass ein Israeli eine solche Postkarte noch hatte. Ich bestellte ihm sofort nach Jerusalem. Er kam um 11 Uhr nachts. Ich hatte nie mehr als 3 Stunden Schlaf, während des ganzen Prozesses. Im Allgemeinen verhörte ich die Zeugen sehr sorgfältig vorher. Aber als der Mann dann kam, um 11 Uhr nachts, sagte ich ihm: „Zeig mir die Postkarte, übersetz sie mir vom Ungarischen ins Hebräische.“ Ich fragte ihn: „Was ist mit Deiner Familie passiert? Das erzähl mir morgen, wenn ich Dich als Zeuge rufe.“ Am nächsten Morgen, erzählte er von der Postkarte, er hatte keine Ahnung, was da war, im Osten und dann beschrieb er, wie er mit seiner Frau und seinem kleinen Töchterchen, zweieinhalb Jahre alt, und seinem Sohn, der dreizehn war, in den Zug gingen, und wie sie nach Birkenau kamen. Dann beschrieb er die Selektion. Also die Frau nach links – nach links war für Tod, nach rechts für Arbeit – das Töchterchen nach links. Man fragte ihn nach seinem Beruf, Techniker bei der Armee. Also ging er nach rechts. Wie alt ist der Junge? Dreizehn. Da sagte der  SS-Mann, das muss ich noch mit meinem Vorgesetzten besprechen. Nach einer Minute kam er zurück und sagte, renn zu Deiner Mutti. Dann sagte der Zeuge: „Wird mein Sohn meine Frau treffen?“ Da waren natürlich schon hunderte andere Menschen dazwischen gegangen. Meine Frau habe ich nicht mehr gesehen. Sie war in der Menge verschwunden. Meinen Sohn habe ich auch nicht mehr gesehen. Aber mein kleines Töchterchen hatte einen roten Mantel. Dieser rote Punkt wurde immer kleiner. So verschwand meine Familie aus meinem Leben.
Nun. Ich hatte eine Tochter, zweieinhalb Jahre alt, und ich habe ihr zwei Wochen vorher einen roten Mantel gekauft. Und am Tag vor dieser Aussage hatte meine Frau noch eine Aufnahme von mir, mit dem kleinen Töchterchen gemacht, die mit ihrem roten Mantel mit mir über die Straße ging. Und wie der Zeuge das plötzlich sagte, mit dem kleinen roten Punkt, der immer kleiner wurde, genauso alt wie meine Tochter, da verschlug es mir die Stimme. Ich konnte keinen Ton mehr rausbringen. Der Zeuge hatte sich erholt. Er wartete auf die nächste Frage. Die Richter gaben mir ein Zeichen, ich solle weitermachen, das Fernsehen war da. Ich wühlte in meinen Dokumenten. Ich konnte plötzlich keinen Ton mehr sagen. Es dauerte vielleicht nur drei Minuten, bis ich irgendwie weiter machen konnte. Ich kann Euch sagen, wenn ich in einem Fußballstadion sitze oder auf der Straße gehe und ich sehe plötzlich ein kleines Mädchen mit einem roten Mantel, kriege ich Herzklopfen. Es ist vielleicht eine kleine banale Geschichte, aber für mich besagt diese kleine Geschichte mehr zum Prozess, als was ich sonst mitbekommen habe.
1944 war klar, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, da sagte Eichmann zu seinen Freunden: „ich werde meinen Krieg noch gewinnen“. Er fuhr nach Auschwitz, um die Zahl der Tötungen von 10.000 pro Tag auf 12.000 zu erhöhen. Wir haben Aussagen dazu. Dann forderte er mit List und Tücke Eisenbahnen für die Todeszüge, obgleich die Generale der Wehrmacht sie dringend brauchten. Eichmann war es egal, dem Krieg zu schaden. Dann forderte er, alle Vierteljuden in der Wehrmacht, also jeden, der einen jüdischen Großvater hatte, entweder zu kastrieren oder in ein KZ zu bringen. Keitel, der Oberkommandierende der Wehrmacht, war dagegen, nicht etwa aus humanitären Gründen. Er wollte die deutsche Armee nicht schwächen. Es gab tausende Soldaten die Vierteljuden waren. Hitler unterstütze Keitel. Eichmann war das völlig egal.
Das Interesse am Eichmann-Prozess steigt von Jahr zu Jahr, obgleich er schon 48 Jahre zurückliegt, auch gerade in Deutschland. Das geschieht mit großer Ehrlichkeit.
Bach berichtet von Vorträgen und Reden in Landtagen, in Saarbrücken vor Schülern, in Magdeburg, wo er auch ein Museum gegen Antisemitismus, anti-Zionismus und Anti-Israelismus eröffnete.
Bach erzählt, dass Hitlers Beschluss von 1941, alle Juden zu Töten nicht mehr geheimgehalten werden könne, weil alles koordiniert werden müsse. Deshalb wurden zur Wannseekonferenz Staatssekretäre aller Ministerien eingeladen. Eichmann erzählte uns, dass er mit Heydrich darüber gesprochen habe und wie beide sehr besorgt waren, weil da doch viele Juristen kommen würden. Männer Frauen und Kinder umzubringen wäre gegen das deutsche Gesetz, würden die Juristen sagen. Eichmann erzählte: Der Abend ging vorbei, und keiner hat es kritisiert. Einige stellten technische Fragen. Und als die Leute gegangen waren – so Eichmann – hätte er mit Heydrich vor einem Kamin (in der Villa Wannsee) gesessen und Schnaps getrunken, um ihren Erfolg zu feiern.
Jetzt vor vier Jahren besuchte ich mit Holocaustüberlebenden die Villa. Wir tranken Kaffee und da sah ich, wie wir vor einem Kamin saßen. Ich fragte: Ist das der Kamin, wo Eichmann und Heydrich den Schnaps getrunken haben? Da sagte einer: Genau. Da ist mit der Kaffee doch ein wenig in der Kehle stecken geblieben.
Während des Prozesses machten wir einen 45 Minuten langen Dokumentarfilm aus Originalmaterial. Den wollten wir beim Gericht einreichen. Aus Fairnis zeigten wir den Film am Abend vorher dem Angeklagten. Ich beobachtete ihn, weil ich seine Reaktion auf die Leichenberge und die anderen Szenen sehen wollte. Ich sah, wie er sehr aufgeregt mit seinem Wächter sprach. Nach der Vorführung rief ich den Wächter und fragte ihn, worüber sich Eichmann so aufgeregt habe. „Ja, er hat gesagt, dass man ihm versprochen hätte, nie in den Gerichtssaal in der Gefangenenkluft kommen müsse, sondern immer mit seinem dunkelblauen Anzug. Man solle ihm doch so was nicht versprechen, wenn man es nicht einhalten könne.“ Die Tausenden Leichen haben ihn überhaupt nicht erregt, nur die Farbe seines Anzugs. Ein kleiner Punkt, aber typisch für Eichmann.


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