Reportage: Iftar bei Ali

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Israel, wie es nicht im Reiseführer steht. Ein Fastenbrechen-Mahl bei Ali, einem Schwyzerdütsch sprechenden Beduine, in biblischer Landschaft, dessen Cousins in Eliteeinheiten der israelischen Armee dienen und ein Onkel, der Stimmen für Avigdor Lieberman sammelt.
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Jerusalem, 11. September 2010 – Ali, der Busfahrer, hat zum Iftar eingeladen. Das tägliche Fastenbrechen ist für Moslems während des Ramadan-Monats ein reines Gaumenfest. Die Einladung ist eine große Ehre. Sie auszuschlagen wäre eine schlimme Beleidigung. „Bei uns ist es üblich, an einem Abend während des Fastenmonats jene zum Festessen einzuladen, bei denen wir im Laufe des Jahres eingekehrt sind“, erklärt Ali. Die Autofahrt von Jerusalem dauert drei Stunden und das letzte Stück führt einige Kilometer lang über einen holprigen Feldweg mit vielen Felsbrocken zu dem kleinen Steinhaus ins Tal zu Füssen des historischen Hügels von Jodfat im Norden Israels.
Ali ist stolzer Beduine, also ein Nomade. „Meine Familie zählt 8000 Mitglieder“, sagt er und meint seinen ganzen Stamm. Der immer-lächelnde Mann mit dem großen Bauch arbeitet für das israelische Reisebüro Keshet. Das hat sich auf Bildungsreisen spezialisiert mit Schwerpunkt auf Besucher aus Deutschland und der Schweiz. Jaron und Mosche Gabay sind Brüder und Mitarbeiter des Büros. Sie stammen aus der Schweiz und Ali, der Busfahrer, passt dazu. Denn der war mal mit einer Schweizerin verheiratet. Der Beduine mit Arabisch als Muttersprache, spricht Hebräisch, Englisch und noch dazu waschechtes Schwyzerdütsch!
Die Sonne steht noch hoch am Himmel. Junge Männer bauen Tische auf und stellen Plastikstühle dazu. In dem Steinhaus, das nur aus zwei Zimmern besteht, sitzt Alis Tante barfüßig mit dem traditionellen gestickten Beduinengewand bekleidet auf dem steinernen Fußboden und schnibbelt Tomaten für den Salat. In der Ecke steht ein riesiger Bottich aus Aluminium mit einer weißlichen Suppe. Obgleich es eigentlich verboten ist, bei Tageslicht zu essen, füllt Ali mit einer riesigen Kelle kleine Schüsselchen. „Das ist Zicklein in der Milch seiner Mutter“, sagt er stolz. „Hier hast du mal die echte Version, wie wir das vorbereiten.“ Zwei Stunden lang rühren die Frauen ein Gemisch aus Ziegenmilch und Schafsyoghurt über dem offenen Feuer, bis eine köstliche säuerliche Suppe herauskommt, in der kleine Stückchen Lammfett und Fleisch schwimmen. Das war einst eine Götterspeise für den Baal-Gott. Bis heute ist es bei Moslems im Orient eine Festspeise. Die Juden wollten sich schon in biblischer Zeit von den Heiden absetzen und führten wegen diesem Götteropfer eine strikte Trennkost  ein. In frommen jüdischen Häusern gibt es zwei Waschbecken in der Küche, sowie separates Geschirr und Besteck für „Milchiges“ und „Fleischiges“.
Ali führt uns hinaus zu einem primitiven Zelt aus Holzstangen und alten Decken. Darin kochen Tanten auf Bunsenbrennern mit riesigen Gasflammen Berge von Lammfleisch, ein Rindergulasch und schütten in den Jasminreis Zimt, Kardamom, Kreuzkümmel und Pinienkerne. „Neulich verklagte uns der Jüdische Nationalfond (KKL), weil ich neben dem Haus ein Zelt errichtet hatte“, erzählt Ali verbittert, während er sich seine Schirmmütze mit dem KKL-Wappen zurechtrückt. Weil das Haus auf den Namen seines Stammes im Grundbuch eingetragen ist, konnten die Behörden ihn nicht vertreiben. Fast der ganze Stamm wurde in ein Nachbartal umgesiedelt, denn die Regierung will das Tal zu Füßen von Jodfat im unberührten Naturzustand belassen. In Jodfat gab es vor fast 2000 Jahren eine ruhmreiche Schlacht jüdischer Aufständischer gegen die römischen Besatzer, erklärt Ali, „wie in Gamla auf den Golanhöhen und Massada am Toten Meer“.
Die Sonne geht unter. Plötzlich kommen rund 60 geladene Gäste. Nur Männer. Erst sitzen sie auf einem mit Teppichen ausgelegten Feld neben der Betonplatte vor dem Haus. Sowie die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist, stürzen sie sich auf die Betonfläche zu den brechend vollgeladenen Tischen mit riesigen Platten Fleisch, Reis und duftenden Fladenbroten aus dem Gasofen. Auf die Minute genau essen die Männer zehn Minuten lang. Mit den Fingern stopfen sie sich Fleischstücke in den Mund. Nach exakt zehn Minuten stehen, hocken und verbeugen sich die 60 Männer nun in Reih und Glied ohne Schuhe auf der Teppichfläche, während einer mit lauter Stimme die üblichen Gebete vorsingt.
Moshe, Jaron und drahtige junge Beduinen kommen ins Gespräch. Sie fachsimpeln. In welcher Einheit dienst du? Wo hast du im Libanon (2006) gekämpft. Und dann warst du mit Deiner Einheit in Gaza? Ich habe am Kontrollpunkt Rachelsgrab bei Bethlehem gedient. Die jungen Männer tauschen Erinnerungen aus. Beduinen werden wie Juden zum israelischen Militär eingezogen und dienen meist in kämpferischen Eliteeinheiten wie „Duchifat“, einem Battalion gepanzerter Infanterie, das „hoch-qualifizierte“ Sicherheitsoperationen in der palästinensischen Stadt Ramallah durchführt. Gemeinsame Erfahrungen verbinden Jaron und Mohammad, Mosche und Mahmoud.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Ein winziger Schluck Beduinen-Kaffee wird gereicht. „Vorsicht“, warnt Ali. „Eine Nacht lang kochen wir drei Kilo Kaffeebohnen, um einen Liter Kaffee zu gewinnen.“ Ein schmächtiger Mann namens Ibrahim gesellt sich dazu. „Ich bin der Stimmensammler für Avigdor Liebermann“, sagt er. „Kein anderer israelischer Politiker tut so viel für die Araber“, erklärt er. „Es ist eine reine Lüge, dass der Rassist sei“, behauptet Ibrahim über den Außenminister, der während seines Wahlkampfes vorgeschlagen hat, alle Araber aus Israel zu vertreiben. Von etwa 50.000 wahlberechtigten Beduinen hätten 11.000 für Liebermans „Israel, unser Haus“ Partei gestimmt. Ibrahim verabredet sich mit Mosche und Jaron zu einem Treffen mit Liebermann in Jerusalem.
Ehe wir zurückfahren, wird die Beduinen-Geschirrspülmaschine in Gang gesetzt. Berge schmutzigen Geschirrs stehen aufgestapelt auf der Betonfläche. Eine Frau spritzt mit einem Gartenschlauch alles ab, während Ali uns zum Abschied noch riesige Plastikbehälter mit Reis und der Zicklein-Suppe mitgibt.


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