Israel schweigt besorgt zu Ägypten

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Jerusalem, 31. Januar 2011 – Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat seinen Ministern und Sprechern einen Maulkorb verhängt. Das offizielle Israel will sich zu den dramatischen Vorgängen in seiner Nachbarschaft nicht äußern. Gleichwohl ist die Sorge groß vor der ungewissen Zukunft. Stündlich berichtet Botschafter Jitzhak Levanon aus Kairo, um die Verantwortlichen in Jerusalem auf dem Laufenden zu halten.
Während Amerikaner und Europäer den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak aufrufen, die Menschenrechte einzuhalten, Gewalt gegen die Demonstranten zu unterlassen und letztlich, das Land durch seinen Rücktritt zu „retten“, stehen für Israel andere Interessen im Vordergrund.
Präsident Mubarak hatte vor 30 Jahren die Nachfolge des von Moslem-Brüdern wegen des Friedensschlusses mit Israel ermordeten Anwar el Sadat angetreten und Wort gehalten. Der Friedensvertrag wurde eingehalten, auch wenn gelegentlich die Beziehungen so angespannt waren, dass es zeitweilig keinen ägyptischen Botschafter in Tel Aviv gab. Gleichwohl bestanden die Beziehungen schwerste Belastungsproben wie Kriege im Libanon und im Gazastreifen oder während der blutigen Intifada. Gegen Israelis gerichtete Terroranschläge auf der ägyptischen Sinaihalbinsel führten eher zu einer Vertiefung der Kontakte auf Regierungsebene. Gleichwohl ist dieser Frieden zwischen dem mächtigsten arabischen Land und dem jüdischen Staat niemals in den Herzen der Ägypter angekommen.
Wer heute Mubarak vorwirft, gegen den Willen seines Volkes als Diktator geherrscht zu haben, könnte zurecht die Friedenskontakte mit Israel als seine größte Sünde bezeichnen.
In den letzten Jahren, ausgerechnet unter rechtsgerichteten israelischen Ministerpräsidenten wie Ariel Scharon und Benjamin Netanjahu, wurden die Kontakte intimer denn je. Ägypten, wegen seines Friedensschlusses mit Israel zunächst aus der arabischen Liga ausgeschlossen, übernahm erneut eine führende Rolle im arabisch-israelischen Konflikt. Mubarak wurde zum wichtigsten Mediator zwischen Israel und den Palästinensern. Der vollständige Rückzug aus dem Gazastreifen 2005 wäre ohne ägyptische Hilfe nicht zustande gekommen. Da Israel im Rahmen der Osloer Verträge verpflichtet ist, die Außengrenzen der besetzten Gebiete zu kontrollieren, konnte Israel den Grenzübergang in Rafah erst räumen, als Ägypten einem ausgeklügelten Kontrollsystem mit  EU Überwachung zugestimmt hatte. Nach dem Putsch der Hamas 2007 hielt Ägypten jene Grenze in Absprache mit Israel weiterhin geschlossen. Als die Hamas ihre Raketenangriffe auf Israel verstärkte, vermittelten die Ägypter in Kairo eine Waffenruhe.
Präsident Mubarak verweigerte einen Staatsbesuch in Israel und kam nur kurz zum Begräbnis von Jitzhak Rabin nach Jerusalem. Er empfing aber regelmäßig israelische Ministerpräsidenten in Scharm A Scheich und Kairo. Mubaraks Vertrauter, Geheimdienstchef Omar Süleiman, war zugleich ein oft gesehener Gast in Jerusalem.
Obgleich auch Israel das hohe Alter Mubaraks kennt und über den bevorstehenden Wechsel am Nil diskutierte, wird Mubarak als Garant einer jahrzehntelangen Ruhe zwischen beiden Ländern gesehen.
Größte Sorge macht die fast unausdenkbare Möglichkeit einer Machtübernahme der Moslem-Brüder in Ägypten. Das würde sofort Auswirkungen auf die Hamas im Gazastreifen haben. Denn die palästinensischen Islamisten sind aus den ägyptischen Moslem-Brüdern hervorgegangen.
Das hat jetzt schon Auswirkungen auf den Friedensprozess. Die Hamas ist nie Mitglied des palästinensischen Dachverbandes PLO geworden und spricht infolge von neu veröffentlichten Dokumenten dem Präsidenten Mahmoud Abbas pauschal das Mandat ab, überhaupt noch im Namen der Palästinenser mit Israel verhandeln zu dürfen. Der in Kairo verbotene arabische TV-Sender Al Dschesira hatte vermeintliche Protokolle der Gespräche von Abbas und Premier Ehud Olmert veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Abbas zu schweren Tabubrüchen bereit wäre. So soll er auf ein Rückkehrrecht der Flüchtlinge verzichtet und die Bereitschaft gezeigt haben, jüdischen Stadtviertel in Ost-Jerusalem („Siedlungen“) Israel zu überlassen. Für Hamas und die Arabische Liga ist das Hochverrat. Abbas verlor auch in Ramallah seine Glaubwürdigkeit.
Die Unruhe in der arabischen Welt, von Tunesien nach Ägypten geschwappt, könnte auch die Autonomiegebiete im Westjordanland erfassen, wo Abbas schon Solidaritätsdemonstrationen mit den Ägyptern gewaltsam unterbinden ließ.
Barack Obama wird als jener amerikanischen Präsident in die Geschichte eingehen, der aus Hass auf seinen Vorgänger George W. Bush und wegen einer kurzsichtigen Ideologie die gemäßigten arabischen Staaten Tunesien, Ägypten, Jordanien, Jemen, die Palästinenser und andere als zuverlässige Partner Amerikas verloren hat. Das prophezeite der politische Korrespondent des linksgerichteten Haaretz, Aluf Ben. Die USA und auch die EU verlieren gemäß dieser Analyse jegliche Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt, wenn sie alte getreue Verbündete plötzlich fallen lassen. Obgleich sie Diktatoren waren, dienten sie jahrzehntelang den Interessen des Westen als stabilisierende Faktoren. Gleichgültig wer Präsident Mubarak an den Hebeln der Macht im Land der Pharaonen folgt, dürfte schlecht beraten sei, sich erneut amerikanischen Interessen zu unterwerfen und am Frieden mit Israel festhalten. Mubarak symbolisiert nicht nur Diktatur und Unterdrückung in Ägypten, sondern auch dieses Friedenswerk, das die Amerikaner mit fast drei Milliarden Dollars im Jahr und Waffenlieferungen vergoldet haben.


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