Weiter im Pogrom

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Fariba Kamalabadi, eine der sieben ehemaligen iranischen Bahai-Führungsmitglieder hat vor wenigen Wochen in einem telefonischen Gespräch mit einem Verwandten an die Führer der freien Welt appelliert etwas für sie zu tun. Das Gespräch dauerte nur eine Minute:  „Sie sollen jetzt alles tun, was sie können, damit man vielleicht oder zufällig eines Tages unsere Körper wieder findet.“ Sie hatte zuvor auch gesagt: „Sagt der iranischen Regierung, dass sie unser Todesurteil sofort verkündet, damit wir den Märtyrertod sterben. Damit wir nicht in dieser unvorstellbaren Lage, die unter dem Niveau eines Tieres ist und nicht unserer Menschenwürde entspricht, weiter verbleiben.“

Am Wochenende (21. – 22. Mai 2011) gab es in mehreren iranischen Städten Übergriffe auf Bahai, die sich in einem Fortbildungsprogramm beteiligt haben. Sie haben an dem privaten „Institute for Higher Education“ (BIHE) gearbeitet. 

Der iranische Staat verbietet den Bahai, an Universitäten zu studieren. Am Samstag wurden über 30 Wohnungen und Häuser überfallen. Mindestens 14 Personen wurden verhaftet. Die iranische Regierung verfolgt systematisch die Bahai. Ihr Ziel ist die Vernichtung der iranischen Bahai-Gemeinde.

Die totalitäre Diktatur geht gegen alle Andersdenkenden vor:
Nassrin Sotudeh, eine muslimische Rechtsanwältin wollte die Menschenrechte ihrer Mandanten verteidigen, bis sie selbst ins Gefängnis kam.
Frau Nassrin Sotudeh ist Frauenrechtlerin und Anwältin und sitzt seit über neun Monaten im Evin-Gefängnis. Im Folgenden wird ein Brief dokumentiert, den Frau Sotudeh an ihre Kinder Nima und Mehrawe geschrieben hat. Der Sohn Nima ist gerade vier Jahre alt. Da Sotudeh kein Papier bekam, um den Brief zu schreiben, ist der Brief auf Toilettenpapier verfasst worden. Sie muss wegen ihrer frauen- und menschenrechtlichen Aktivitäten 10 Jahre im Gefängnis verbringen und hat für 20 Jahre ein Berufs- und Ausreiseverbot. Der Brief wurde am 18. Mai 2011 in Roozonline veröffentlicht. Er ist im Februar 2011 im Teheraner Evin-Gefängnis geschrieben worden.

„Lieber Nima, Salam
Es ist sehr schwer Dir einen Brief zu schreiben. Du bist so unschuldig und ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll wo ich gerade bin und woher ich Dir diesen Brief schreibe. Du weißt doch noch nicht, was Worte wie Gefängnis, Verhaftung, Urteil, Gericht, Unterdrückung, Zensur, Gewaltherrschaft oder Befreiung, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und….. bedeuten.

Was soll ich Dir nur sagen, dass ich mit Dir wie du jetzt gerade bist, reden will und nicht mit Dir irgendwann in der Zukunft. Wie soll ich Dir erklären, dass ich selbst nicht entscheiden kann, ob ich nach Hause komme oder nicht, ob ich zu Dir hinfliege oder nicht. Du hast deinem Vater gesagt, dass Mama zuerst ihre Arbeit beenden müsse und dann komme sie sicher nach Hause. Wie soll ich Dir erklären, dass keine „Arbeit“ der Anlass sein kann, dass ich so von Dir getrennt und entfernt bin. In Wirklichkeit hat niemand das Recht mich wegen der „Arbeit“ so weit von Dir zu trennen. Niemand hat das Recht im Namen der „Arbeit“ die Rechte meiner Kinder so stark einzuschränken, so dass ich während meiner sechsmonatigen Untersuchungshaft noch nicht mal die Gelegenheit bekam Dich nur eine Stunde zu sehen.

Was hätte ich Dir antworten sollen als du mich letzte Woche fragtest, ob ich nach Hause komme? Und ich sagte Dir in Anwesenheit der Wächter des Untersuchungsgefängnisses: „Meine Arbeit wird noch länger dauern. Ich komme später.“ Und dann hast du deinen Kopf geschüttelt und gesagt es geht in Ordnung. Du hast meine Hand zu Dir gezogen und hast mit deinen kindlichen Lippen meine Hände geküsst.

Mein lieber Nima,
ich habe in den letzten zwei Monaten zwei Mal sehr viel geweint. Das erste Mal habe ich um meinen Vater geweint, weil ich nicht um ihn trauern durfte. Das zweite Mal habe ich an dem Tag geweint, als ich nicht nach Hause kommen durfte. Als ich in meine Zelle ging, habe ich willenlos geweint.

Mein lieber Nima,
die Gerichte haben immer wieder den Aktenunterlagen zufolge im Interesse des Schutzes und der Erziehung der Kinder entschieden. Es wurde nicht genehmigt, dass ein dreijähriges Kind 24 Stunden lang ununterbrochen den Vater im Gefängnis besuchen darf. Die Begründung der Gerichte in solchen Fällen ist, dass ein dreijähriges Kind nicht für die Dauer von 24 Stunden von der Mutter getrennt werden darf. Denn die Trennung von der Mutter würde dem Kind psychischen Schaden zufügen.

Dasselbe Gericht kann aber die Rechte der Kinder missachten, wenn es davon ausgeht, dass die Mutter dabei ist Schritte gegen die nationale Sicherheit zu unternehmen.

Ich will eigentlich gar nicht mit Dir darüber reden, dass ich niemals etwas gegen „ihre“ Sicherheit unternommen habe und lediglich als eine Anwältin gegen die Entscheidungen und Stimmen protestierte, die sich gegen meine Mandanten richteten.

Natürlich möchte ich Dir nicht beweisen und Dir sagen, dass der Inhalt meiner Interviews stets anschaulich dargestellt und öffentlich war. Es gehört doch zur Arbeit einer professionellen Anwältin, dass sie manche gerichtliche Stimme auch kritisiert. Deswegen soll ich 11 Jahre Haft verdient haben?
Aber ich möchte sagen: Ich bin nicht die erste Person, für die ein solches ungerechtes Urteil ausgesprochen worden ist. Aber ich hoffe, dass ich die letzte Person bin, auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist.

Zudem bin ich sehr froh, dass ich gemeinsam mit meinen Mandanten im Gefängnis sitze. Meine Verteidigungsreden für meine Mandanten, die mit mir inhaftiert sind, waren aus nichtgerichtlichen und illegalen Gründen unwirksam.

Außerdem will ich als eine Frau sagen, dass ich die Ehre besaß, viele Aktivisten und Protestierende, die sich gegen die Entscheidungen der Präsidentschaftswahl stellten, zu verteidigen. Deswegen bin ich stolz auf die harte Strafe, die sie mir auferlegten. Denn mir ist es lieber, dass ich als Anwältin eine höhere Strafe bekomme als meine Mandanten.

Die unaufhörlichen Kämpfe der Frauen haben bewiesen, dass die anderen, seien sie von der Opposition oder vom Regime, nicht mehr ignoriert werden können. Aber ich weiß nicht, wie ich Dir von dem, was ich am meisten liebe, erzählen kann. Wie soll ich Dir es sagen, dass du für den Richter und den Verhörbeamten oder auch für den Justizapparat beten solltest. Bete für sie, damit sie ihre Herzensruhe und geistige Ruhe bekommen, damit vielleicht auch wir eines Tages in Ruhe leben können, wie die Menschen in anderen Teilen der Welt.

Mein Lieber, wer in solchen Fällen tatsächlich der Sieger ist, ist nicht die Frage. Es geht nicht darum, ob eine gerichtliche Verteidigung gut oder schlecht war. Denn meine Anwälte haben mich auf eine unvergleichliche Art und Weise verteidigt. Es ist die Schuldlosigkeit und Bescheidenheit der Menschen, die zwischen den Rädern von unheimlichen Gerichtsentscheidungen zermalmt werden. Sicherlich werden am Ende die Unschuldigen die
Sieger dieses Spiels sein. Daher will ich, dass du mit deiner kindischen Schuldlosigkeit für die Freiheit aller unschuldigen Gefangenen betest und nicht nur für die Freiheit der politischen Gefangenen.“

Wahied Wahdat-Hagh ist Senior Fellow bei der European Foundation for Democracy in Brüssel.


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