„Ich schäme mich, dass ich noch frei bin“

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Navid Khanjani ist ein iranischer Menschenrechtler. Er darf im Iran nicht studieren, weil er Bahai ist. Auf legalem Wege versuchte er sein Recht auf akademische Bildung einzufordern. Dafür wurde er am 2. März 2010 verhaftet. Nach 65 Tagen wurde er gegen eine Kaution von rund 65.300 Euro freigelassen. Im Februar 2011 wurde ein neues Urteil gegen ihn verkündet. Er wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Zudem hat er ein Ausreiseverbot bekommen. Er ging in Berufung. Zwischenzeitlich setzt er seine Menschenrechtsaktivitäten fort. Noch ist nicht klar, wann er wieder ins Gefängnis kommt. 12 Jahre Haft für einen Menschenrechtsaktivisten ist die Höchststrafe, die für Weblogger bisher vergeben wurde. Dennoch schreibt er weiter auf Facebook und auf seinem Weblog.

Am 30. Juli 2011 schrieb Khanjani über seinen Mitstreiter, Sama Nourani: „Heute Nacht bin ich voller Sorge. Was war unser Verbrechen? Was wollten wir denn mehr als ein wenig Freiheit?“

Navid Khanjani und sein inzwischen verhafteter Freund dürfen im Iran nicht studieren. Daher fragt er die „Herren“ des Geheimdienstes und die Revolutionsgardisten: „Wäre es so schwer zu ertragen gewesen uns an einer Universität zu erleben?“

Khanjani schreibt über Sama Nourani: „Sein einziges Verbrechen war sein Protest gegen seinen Rauswurf aus der Universität von Tabriz. Morgen muss er dafür Tribut zahlen. Er hat sich auf legalem Wege für sein Recht auf Studium eingesetzt. Der Preis des Tributs ist ein Jahr Gefängnis.“

Khanjani richtet seine Worte an seinen Freund Sama Nourani. Er erinnert sich an ihre gemeinsame Zeit im Gefängnis: „Du musst sicher sein, dass ich es nicht vergesse, als sie mich von der Einzelzelle zu Dir und zu Iqan brachten. Damals kannte ich die Gefängniskorridore der Abteilung A nicht so gut. Als wir mit Augenbinden von der Zelle in den Hof geführt wurden, hast du auf mich aufgepasst, dass ich nicht den falschen Weg gehe. Das wäre für die Wächter ein Anlass, um mir wieder Probleme zu bereiten. Und du sollst nur wissen, dass ich mich schäme, dass ich noch frei bin und du ins Gefängnis gehst.“

Khanjani schreibt, dass er selbst und ein anderer Freund, Schayan Vahdati, in den letzten Tagen von Zivilbeamten zum Geheimdienstministerium zitiert worden sind. Er konnte sich wegen daraus entstandener Probleme nicht von seinem Freund Sama verabschieden.

Nachdem Navid Khanjani und Schayan Vahdati am 26. Juli 2011 vom Geheimdienstministerium vorgeladen worden waren, gab Khanjani der Menschenrechtsorganisation Committee of Human Rights Reporters ein Interview. In diesem Interview erklärt er, dass die Vorladung illegal gewesen sei, weil diese nur mündlich und auf der Straße von Zivilbeamten ausgesprochen worden sei. Die Zivilbeamten haben den Personalausweis von Shayan Vahdati einkassiert. Khanjani hatte seine Papiere nicht bei sich gehabt. Er sagt in dem Interview, dass er sich gemeinsam mit einigen anderen Aktivisten am 25. Juli an einer Schweigesitzung beteiligt habe. Die Aktivisten hatten sich dieses Mal in der Nähe eines Flusses in Isfahan versammelt. Da einige Seitenzweige dieses Flusses von Austrocknung bedroht sind.

Khanjani ist nicht zum Termin gegangen, da ihm dieser Termin mit illegalen Methoden und nicht schriftlich übermittelt worden sei. Sein Mitstreiter Schayan Vahdati ging aber zum Termin ins Geheimdienstministerium. Die Beamten forderten von ihm Navid Khanjani abzuliefern, sonst würde er seine Papiere nicht zurückbekommen. Er wurde zunächst entlassen. Beide wollen andere Schritte unternehmen, um Vahdatis Papiere zurückzubekommen.

In einer anderen Notiz schrieb Navid Khanjani über eine Freundin, die verhaftet worden ist. Sie heiße Marziye Wafamehr. Sie habe stets gesagt, dass sie den Iran, dessen Menschen und Natur liebe. In einer seiner Notizen schreibt Navid Khanjani einige Zeilen, die er an sie richtet. Er schreibt: „Du kannst nichts sehen. Um Dich herum sind Mauern einer Einzelzelle. Erlaube es mir, dass ich dir es sage. Marziyeh, die entwurzelten Menschen hier denken nicht an Dich. Marziyeh, Wurzeln zu schlagen, hat hier einen hohen Preis. Marziyeh, hier wird niemand Mitleid mit dir haben, wenn du in der Einzelzelle weinst. Marziyeh, hier denkt niemand daran, dass du eine Künstlerin warst, die von der ‚Liebe zum Iran‘ sprach. Vielleicht kann ich alles in einem kurzen Satz zusammenfassen: Hier hat niemand eine Ehre. Ja, Marziyeh, hier ist die Ehre gestorben. Hier ist sogar keine Spur mehr von der Leiche der Ehre. In der Stille unserer Stadt haben die Geier sogar die Leichen der Ehre aufgefressen. Ich schaue nicht auf das Gefängnis der Stadt. Ich habe schreckliche Angst, dass die vorläufige Freiheit mir noch mehr Gefühle der Übelkeit bereitet.“

In einer anderen Notiz schreibt er: „Freunde, ganz gleich was passiert. Ich werde bis zum letzten Blutstropfen bei Euch im Iran bleiben. In der Hoffnung auf einen freien Iran ohne Diskriminierung.“
Navid Khanjani hat sich entschieden nicht zu fliehen. Niemand weiß, wann die Beamten der totalitären Diktatur ihn abholen werden. Warum? Weil er sich für die Freiheit aller Iraner, auch die der Bahai eingesetzt hat.

Wahied Wahdat-Hagh is Senior Fellow at the European Foundation for Democracy in Brussels.
http://europeandemocracy.org/


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