Was wollen eigentlich die Palästinenser?

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Jerusalem, 28. August 2011 – Am 20. September will Mahmoud Abbas dem UNO Generalsekretär in New York den Antrag überreichen… einen palästinensischen Staat „in den Grenzen von 1967″ anzuerkennen … oder den 1988 in Algier ausgerufenen Staat Palästina als Vollmitglied in die UNO aufnehmen zu lassen. Unklar ist, ob der Antrag an die Generalversammlung gerichtet sein wird, wo den Palästinensern eine Mehrheit von 130 Staaten gewiss ist. Die Generalversammlung kann aber nur „Empfehlungen“ aussprechen. Der Sicherheitsrat hingegen kann bindende Entscheidungen fällen, aber da droht ein amerikanisches Veto.
Solange das Dokument nicht überreicht und veröffentlicht ist, weiß niemand, was die Palästinenser wirklich beabsichtigen. Abbas wird in die UNO nicht als Autonomiepräsident kommen, sondern als „Vorsitzender der PLO“. Denn nur die PLO ist als „rechtmäßige Vertreterin des palästinensischen Volkes“ anerkannt, während die Autonomiebehörde lediglich eine von Israels Gnaden im Rahmen der Osloer Verträge in Teilen der besetzten Gebieten geschaffene „Selbstverwaltung“ ist. Obgleich die Autonomiebehörde einen „Außenminister“ hat, darf eigentlich nur die PLO in der Welt diplomatisch aktiv werden. Entsprechend hat die PLO und eben nicht die Autonomiebehörde in der UNO einen Beobachterstatus.
Dieses rechtliche Chaos irritiert auch die Palästinenser. Chefverhandler Saeb Erekat hat bei dem angesehenen Oxford-Professor für Internationales Recht, Guy Goodwin-Gill, ein Gutachten bestellt. Die Nachrichtenagentur Maan erhielt eine Kopie des sieben-seitigen Dokuments. Der Brite warnte vor dem Risiko, der PLO den Beobachterstatus in der UNO zu nehmen. Denn als Repräsentantin aller Palästinenser, also auch der Millionen Flüchtlinge in Jordanien, Libanon, Syrien und anderswo, könne die PLO dann nicht mehr in der UNO auf deren „Recht auf Rückkehr“ pochen. Weiter warnte der Brite, dass im September nicht wirklich ein Staat geschaffen werden könne, da die israelische Besatzung weiter bestehen würde. meint, dass der „Staat“ deshalb nur anstelle der PLO auf einen Beobachterstatus hoffen könne, und nicht auf eine volle UNO-Mitgliedschaft. Die Autonomiebehörde sei von der PLO und dem Nationalrat ermächtigt worden und könne deshalb die „Mutterorganisation“ weder demontieren noch ersetzen, schreibt Goodwin-Gill.
Diesem Rechtsgutachten folgte auf dem Fuße eine per Email verbreitete wütende Erwiderung von Francis A. Boyle, ebenfalls Professor für Internationales Recht und ehemaliger Rechtsberater Jassir Arafats. Das Exekutivkomitee der PLO sei 1988 vom Nationalrat als „provisorische Regierung des Staates Palästinas“ ermächtigt worden. Die repräsentiere „alle Palästinenser weltweit“ und verwandle jeden Palästinenser automatisch in einen Bürger dieses Staates. Goodwin-Gill habe „keine Ahnung“ von den juristischen Feinheiten der Staatserklärung von 1988.
Ungeachtet dieses Rechtsstreits um den Antrag der Anerkennung durch die UNO sei hier angemerkt, dass die Autonomiebehörde seit dem Putsch der Hamas nur noch im Westjordanland das Sagen hat. Die Hamas hat zwar bei den Parlamentswahlen 2006 die Mehrheit errungen, ist aber nicht Mitglied der PLO. Deshalb kann dieser Dachverband (fast) aller Palästinenserorganisation – aus Sicht der Hamas – von sich nicht wirklich behaupten „alle“ Palästinenser zu repräsentieren.
Ein westlicher Diplomat mit langjähriger Ramallah-Erfahrung sagte, dass sich Präsident Abbas mit seinem Vorhaben in eine „lose-lose“ Situation begeben habe. „Er kann nur verlieren.“ Denn nachdem Abbas die Idee eines „Vollmitglieds“ in der UNO aufgebracht und bei seinem Volk mutmaßlich unerfüllbare Erwartungen geweckt hat, könne er jetzt nicht mehr von dem hohen Ast herabsteigen. „Abbas kann keinen Rückzieher mehr machen, ohne sich völlig zu diskreditieren.“ Im Falle eines voraussichtlichen Scheiterns in der UNO würde er ebenfalls als Verlierer dastehen. Schon drohen neben den USA auch die EU mit einer drastischen Kürzung oder gar einer Streichung ihrer jährlichen Finanzhilfe, mit der die Autonomiebehörde die Gehälter ihrer Beamten bezahlt. Die EU spendet 500 Millionen Euro und die USA zusätzliche 300 Millionen Euro, insgesamt ein Viertel des Jahreshaushalts der palästinensischen Regierung. Ministerpräsident Salam Fayad forderte vor einigen Tagen vom Westen weitere 500 Millionen Euro „Überbrückungshilfe“, weil die arabischen Staaten ihre versprochene Finanzhilfe nicht überwiesen hätten.
Niemand kann vorhersagen, welche politischen und andere Folgen der geplante Schritt der Palästinenser haben wird. Manche sagen den Ausbruch einer dritten und noch blutigeren Intifada vorher, andere meinen, dass die Palästinenser kampfesmüde seien. Die israelische Regierung prüft noch alternative Reaktionen. Schwarzseher prophezeien unerträglichen politischen Druck auf Israel, und weitere Versuche, den jüdischen Staat zu demontieren. Andere glauben, dass nichts passieren werde. Denn ein echter palästinensischer Staat könne nur infolge direkter Verhandlungen und mit israelischer Zustimmung entstehen, wegen der Siedlungen und unzähligen anderen Elementen wie Wasserversorgung, Kontrolle der Grenzen, Handel, Währung, Zollunion und funktionierender Kooperation in fast allen Lebensbereichen.

(C) Ulrich W. Sahm


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