„Bei passender Gelegenheit hätte jeder Journalist Shalit interviewt“

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„Bei passender Gelegenheit hätte jeder Journalist Shalit interviewt“

HonestReporting Media BackSpin, 28. Oktober 2011

Während Journalisten den moralischen Aspekt des Interviews mit Gilad Shalit diskutieren, nennt Lawrence Pintak, Rektor des Edward R. Murrow College of Kommunikation, die Dinge beim Namen. Er schreibt im Columbia Journalism Review:

Doch wie viele Reporter können ehrlich sagen, dass sie die Möglichkeit ausgelassen hätten, als erste mit Shalit zu sprechen? Hätte das israelische Fernsehen Nein gesagt?

Seine Kritik am Interview bezieht sich lediglich darauf, wie Shahira Amin (Abbildung) vorgegangen war.

Bei der Berücksichtigung der moralischen Aspekte des Interviews mit Shalit kann es sinnvoll sein, den moralischen Gesichtspunkt, dass das Interview überhaupt geführt wurde, von der Vorgehensweise im Interview selbst zu trennen.

Oder kurz gesagt: bedenken wir die Quelle. Shahira Amin ist Nachrichtenmoderatorin bei ‚Nil TV‘, dem englischsprachigen Dienst des staatlichen Senders, der die Revolution protegierte. Sie verbrachte [vorher (bd)] einen Großteil ihrer Karriere damit, die offizielle politische Linie der Mubarak-Regierung zu kommunizieren, und während sie mit viel Tamtam zurückgetreten war, als ziemlich klar wurde, dass die Regierung stürzen würde, übte sie kurze Zeit später wieder den gleichen Job aus.

Im Shalit-Interview reichten ihre Fragen von unlogisch bis peinlich. Warum habe er nicht mehr Videos aus der Gefangenschaft anzubieten? Welche „Lektionen“ habe er gelernt? Würde er sich für die Freilassung palästinensischer Gefangener einsetzen? Und bei all dem hörte sie nicht auf, Lob für die Rolle Ägyptens bei der Freilassung Shalit zu erheischen.

Es war die klassische Vorführung eines arabischen Staatssenders: ein Anteil Journalismus, zwei Anteile Propaganda. Gewohnheiten legt man nicht so schnell ab.

Pintak beschreibt, wie junge iranische Kriegsgefangene interviewt wurden, was eine Verletzung der Genfer-Konvention bedeutete, und den Brotneid, als man mitbekam, wie der konkurrierende Journalist Charles Glass mit Geiseln des TWA-Fluges 847 auf dem Rollfeld des internationalen Flughafens von Beirut unter dem Schutz von bewaffneten Hisbollah-Schlägertypen dinierte. Die Geiseln wurden später in verschiedenen Stadtteilen Beirut versteckt.

Ich stimme mit Pintaks Einschätzung überein, was die Art und Weise der Durchführung des Interviews betrifft. Und bei der Frage, ob jedes Interview geführt werden sollte, bewegt man sich auf sehr schlüpfrigem Terrain. Wir wissen nun, dass das Rote Kreuz Shalit nicht medizinisch untersucht hatte. Die moralischen Fragen bezüglich Amins Interview werden in Journa-lismusschulen noch einige Zeit diskutiert werden.

Lesen Sie Pintaks Kommentar weiter [In Englisch].


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