Iran ist kein Vorbild für die arabische Welt

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Mostafa Tajzadeh wurde infolge der Proteste gegen die Präsidentschaftswahl vom 22. Juni 2009 verhaftet. Er gehörte bis dahin zum islamistischen Establishment des Iran. Heute vertritt er die Meinung, dass die arabische Welt die „Islamische Republik Iran“ nicht als Modell für ihre Zukunft nehmen solle.

Tajzadeh meint, dass der Widerstand der Bevölkerung die Machthaber des Iran zwingen wird nachzugeben. Er forderte die iranische Bevölkerung dazu auf sich in kleinen Gruppen zu organisieren und die „illegale Vorgehensweise“ der Regierung zu verurteilen. Zudem sollen die Anhänger von Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karubi aus Protest jeden ersten Montag im Monat „fasten oder einen Hungerstreik“ unternehmen. Ferner soll jeweils der erste Montag im Monat nach dem Namen eines „Märtyrers der Grünen Bewegung“ benannt werden.

Schon im Juni 2011 hatte Tajzadeh gefordert, dass die Iraner „nicht an den unfreien Wahlen teilnehmen sollen.“ Er wollte damit explizit die „Rechtmäßigkeit“ der Wahlen im Iran in Frage stellen. In einem öffentlichen Brief an den iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei, der in „Kaleme“ veröffentlicht wurde, kritisiert Mostafa Tajzadeh die iranischen Machthaber.

Tajzadeh schreibt, dass er mit seinem Brief an die „Werte und Prinzipien“ der islamischen Revolution erinnern wolle. Tajzadeh beruft sich weiterhin auf den totalitären Ideologen Ayatollah Khomeini. Er gesteht in seinem Brief an den iranischen „Führer“ Ayatollah Ali Khamenei, dass „unsere Revolution nicht die Botschaft des Fortschritts und der Wissenschaft hatte und auch nicht die Botschaft der Demokratie und Meinungsfreiheit.“

Er betont, dass die Mission der islamischen Revolution, die der „Moral“ gewesen sei, die sich „gegen das Konsumleben und den Materialismus“ gerichtet habe. Dies sei auch der Grund gewesen, warum die islamische Revolution im „Namen der Religion dem Kleriker Ayatollah Khomeini gefolgt sei.“

Tajzadeh glaubt, dass Ali Khamenei vom Weg der islamischen Revolution abgewichen sei. Umgekehrt glaubt Ali Khamenei im Übrigen, dass Tajzadeh ein „Abweichler“ sei. Tajzadeh erinnert an den Brief des 1988 verstorbenen Ayatollah Khomeini an Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Khomeini habe darin hervorgehoben, dass Russland „vom Marxismus nicht in Richtung Freiheit und Demokratie“ marschieren sollte. Tajzadeh zufolge habe Khomeini „himmlische Pforten für Gorbatschow eröffnen wollen“, damit dieser nicht in den „Schoß der materialistischen Welt falle.“

Tajzadeh schreibt, dass die muslimischen Völker in den letzten Monaten gegen Unterdrückung, Despotie und Erniedrigung aufgestanden seien. Er spitzt seine Kritik wie folgt zu: „Wenn diese Menschen nach Wissenschaft, Technologie, Fortschritt und Wohlstand streben, haben wir und Sie ihnen ohne Zweifel nichts anzubieten. Dies liegt an den wirtschaftlichen Problemen, an der hohen Inflation, an der Teuerungsrate, an der Arbeitslosigkeit und am Nullwachstum und dem Sinken der Inlandsproduktion. Deswegen müssen wir ihnen sagen, dass sie bitte Iran nicht als ihr Vorbild nehmen sollen.“
Tajzadeh fragt dann, ob der iranische Revolutionsführer den aufständischen Massen der arabischen Welt etwa „Lügen, Täuschungsversuche und List der iranischen Staatsbeamten“ anbieten und verkaufen wolle? Oder wolle der Revolutionsführer etwa so tun, als ob die iranischen Staatsbeamten menschlich handeln?

Tajzadeh kritisiert, dass im Iran Menschen in dunklen Einzelzellen unter den schlimmsten Bedingungen ausharren, nur weil sie die Verwandten von politischen Gefangenen finanziell unterstützt haben. Er schreibt, dass er sich „noch nicht einmal vorstellen konnte, dass die islamische Ordnung ihre Kritiker und ihre Gegner von ihrer Arbeitsstelle entlässt und diese ins Gefängnis steckt.“ Tajzadeh behauptet, dass solche Vorgehensweisen nicht zu seiner Regierungszeit, d.h. nicht zu Zeiten der Revolution praktiziert worden seien.

Nach dreißig Jahren terroristischer Gewaltherrschaft des totalitären khomeinistischen Islamismus schreibt Tajzadeh: „Wir haben es uns noch nicht mal im Traum vorstellen können, dass die Würde und die Menschlichkeit in unserem Land so einen Tiefpunkt erreichen kann. Die im Ausland studierenden Kinder der Gefangenen reisen aus Angst nicht in den Iran ein. Sie befürchten keine Ausreisegenehmigung mehr zu bekommen.“ Zudem würden Mütter, deren Ehemänner im Gefängnis sind, nicht ausreisen dürfen. Sie könnten ihre Kinder nicht im Ausland besuchen, weil ihre Ehemänner im Gefängnis seien.

Tajzadeh kritisiert, dass die Verteidiger der „absoluten Herrschaft des Klerus“ argumentieren würden, dass die Umsetzung der islamischen Gesetze davon abhänge, ob der Klerus die „Macht besitzt“. Er fragt dann, ob die Verhinderung des Rechts auf Bildung für Familienangehörige von Kritikern etwas mit göttlichen Gesetzen zu tun habe. Tajzadeh stellt das politische System des Iran dennoch nicht in Frage.

In seinem Brief geht er ferner auf die Fluchtgeschichte von Ex-Präsident Banisadr ein. Dieser floh am 29. Juni 1981 nach Frankreich. Tajzadeh schreibt, dass die Familienangehörigen von Banisadr nach seiner Flucht zunächst verhaftet worden seien. Damals habe aber Ayatollah Beheschti sich dafür ausgesprochen, dass die Familienangehörigen von Banisadr nicht als Geiseln genommen werden. Sie seien später frei gekommen und seien ausgereist. Diese Vorgehensweise ist für Tajzadeh ein Beispiel für die Barmherzigkeit des Islam unter Khomeinis Herrschaft.

Ein Einwand sei hier erlaubt: Tajzadeh blendet aus, dass in der Lebenszeit von Ayatollah Khomeini und unter der Herrschaft von Mussawi, Karubi und Tajzadeh Zehntausende unschuldige Menschen, die Demokratie und Freiheit wollten, hingerichtet wurden.
Tajzadeh vergleicht sich in dem Brief mit Banisadr. Er habe nicht wie Banisadr gemeinsam mit den Volksmojahedin gegen die iranische Regierung gekämpft. Er sei erst nach der Wahl von Ahmadinejad, als Unterstützer von Mir Hussein Mussawi, verhaftet worden. Die Regierung werfe ihm vor an der „samtenen Revolution“ beteiligt gewesen zu sein. Ein solcher Vorwurf treffe nicht zu. Er fragt, warum denn seine Ehefrau, die sich in ihrem Weblog über seine Verhaftung beklagt habe, nun in Einzelhaft sitzen müsse. Warum sie bestraft werde, nur weil ihrem Ehemann etwas Falsches vorgeworfen werde. Er fragt den iranischen Revolutionsführer Khamenei auf der Basis welcher moralischen Grundsätze seine Ehefrau im Gefängnis festgehalten werde.

Er betont in seinem Schreiben, dass er trotz der Verhaftung seiner Frau nicht aufhören werde Kritik zu äußern. Er fragt, welches Schicksal ein System haben werde, das „mit einer solchen Geschwindigkeit moralisch und ethisch abstürzt.“ Er schließt damit, dass er unter allem nur eines „versteht, dass heute im Namen der Religion und der religiösen Ordnung eine Politik durchgeführt wird, die nichts mit einer Religion zu tun hat.“ Und die Staatsbeamten hätten auch nichts mit Gott und Religion zu tun.

Ohne Zweifel ist Tajzadeh ein Dissident und nach außen von der Utopie des khomeinistischen Islamismus überzeugt. Kein Wunder. Tajzadeh war in den Jahren 1984-88 als Sekretär für internationale Fragen im Ministerium für Kultur und Islamische Führung tätig. Das Ministerium wurde in dieser Zeit von Ex-Präsident Khatami geleitet. Mir Hussein Mousawi war in diesen Jahren Ministerpräsident und Mehdi Karubi Vizesprecher des iranischen Pseudo-Parlaments. Ferner ist Tajzadeh Mitglied des Zentralkomitees der inzwischen verbotenen linksislamistischen Partizipationsfront und der Organisation der Mojahedin der islamischen Revolution des Iran. Er war Stellvertreter des früheren Innenministers unter der Präsidentschaft von Mohammad Khatami. Er leitete zudem 4 Jahre lang die Kommission der nationalen Sicherheit im islamistischen „Parlament“ ab Februar 2000. Tajzadeh, Karubi und Mussawi sind in Haft. Der Erstere im Evin-Gefängnis, die beiden Letzteren stehen unter Hausarrest.

Tajzadeh sitzt seit zweieinhalb Jahren eine Haftstrafe von insgesamt 6 Jahren ab. Er wurde zudem zu 10 Jahren Berufsverbot verurteilt. Er soll die „nationale Sicherheit des Iran gefährdet“ und gegen das System propagiert haben.
Tajzadeh war selbst an der Macht, als Tausende unschuldig hingerichtet wurden, nur weil sie Sozialdemokraten, Kommunisten, Royalisten, Bahai, Frauen, die sich gegen Zwangsverschleierung wehrten, oder Kurden waren, die für Freiheit kämpften. Dies sind nur ein paar Beispiele.

Trotz der staatlichen Liquidierung aller säkularen Kräfte zu Beginn der islamischen Revolution hat die totalitäre islamistische Regierung im Iran es nicht geschafft die Iraner mundtot zu machen. Seit der Gründung der „Islamischen Republik Iran“ waren die Wahlen im Iran eine Fiktion. Denn nur Islamisten verschiedener Schattierungen konnten gewählt werden. Heute sägt die Diktatur immer mehr an den eigenen Ästen und minimiert ihre Basis. Die Islamische Revolution begann mit einer totalitären Ideologie des Khomeinismus, die sich auf eine Massendiktatur stützte. Heute verliert die totalitäre Massendiktatur immer mehr an gesellschaftlicher Basis und stützt sich dafür immer mehr auf militärische Stärke und Terror nach innen und nach außen. Sogar die meisten Reformislamisten schließen inzwischen aus, dass das politische System des Islamismus im Iran reformierbar ist.

Wahied Wahdat-Hagh is Senior Fellow at the European Foundation for Democracy in Brussels.

 


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