Friedhofsruhe an den iranischen Universitäten

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Am 7. Dezember 1953 wurden in Teheran drei Studenten bei einer Protestdemonstration von der Polizei getötet. Dieser Tag wird seitdem im Gedenken als „Tag des Studenten“ begangen. In diesem Jahr rief eine im iranischen Untergrund arbeitende studentische Organisation die „Woche des Studenten“ aus, die vom 7. bis 14. Dezember dauerte. Es konnten keine öffentlichen Veranstaltungen durchgeführt werden. Zu viele Studenten sitzen in Haft oder wurden exmatrikuliert. Es herrscht Friedhofsruhe an den iranischen Universitäten.

Die Machthaber monopolisieren die Universität: Fünf Studenten, die wegen ihrer Menschenrechtsaktivitäten in Haft sitzen, schrieben eine Erklärung, die aus dem Gefängnis geschmuggelt und ins Internet gesetzt wurde. Sie heißen Javad Alikhani, Arash Sadeghani, Mostafa Neili, Seyyed Mehdi Khodai und Peyman Aref. In ihrer Erklärung, die von der im Exil arbeitenden Menschenrechtsorganisation Human Rights House in Iran veröffentlicht wurde, kritisieren sie die Machthaber der „Islamischen Republik“: „Die Totalitaristen kennen sehr gut die kritische und antidespotische Rolle der Universitäten.“ Daher würden die iranischen Machthaber die „Universität nach ihrem ideologischen Geschmack instrumentalisieren und politisch monopolisieren.“

In ihrer Erklärung schreiben sie, dass freie Wahlen auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durchgeführt werden müssen. Sie fordern unter anderem die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen, Meinungsfreiheit und die Freilassung aller inhaftierten Journalisten und Freiheit für alle politischen Parteien. Sie warnen die Regierung von Ahmadinejad, nicht weiterhin mit „unüberlegten Reden“ den Iran an den Rand des Krieges zu treiben.

Die Sternträger: Seitdem Ahmadinejad an die Macht gekommen ist, kursiert ein neuer Begriff in der akademischen Welt des Iran. Es ist die Rede von den „studentischen Sternträgern“, eine Anspielung auf den gelben Davidstern, den die Juden im deutschen Nationalsozialismus tragen mussten. Das erste Kennzeichen der „studentischen Sternträger“ ist, dass sie nicht studieren dürfen. Sie können zudem allein wegen aufklärerischer Aktionen zu hohen Geld- oder hohen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Manchmal „verschwinden“ sie auch, wenn sie frei sind oder im Gefängnis und kommen nie wieder zurück.

In den studentischen Berichten heißt es, dass schon seit dem Beginn der islamischen Revolution kritischen Studenten nicht erlaubt wurde, zu promovieren. Viele bekamen gar nicht erst eine Studienerlaubnis, beispielsweise die meisten jungen Angehörigen der Bahai-Religion. Allein wegen Menschenrechtsaktivitäten können Studenten nicht nur zwangsexmatrikuliert werden, sondern gleich hohe Gefängnisstrafe bekommen. Viele Hochschullehrer sind entlassen oder in die Frührente geschickt worden. An manchen Universitäten ist die geschlechtsspezifische Segregation in der Lehre eingeführt worden. Unter islamistischem Vorzeichen bedeutet dies einen weiteren Schritt in Richtung einer geschlechtsspezifischen Apartheid in der Politik und Praxis einer totalitären Diktatur. Auf Facebook haben einige der sich inzwischen im US-amerikanischen Exil befindenden Studenten eine Aktion gestartet, die sich „Kampagne Leerer Stuhl“ nennt. Exiliranische Studenten haben in ihren Seminaren einige Stühle in den Hörsälen symbolisch freigehalten, in Erinnerung an die verhafteten Studenten im Iran.

Die Bassiji-Studenten: Es überrascht niemanden, dass in diesem Jahr keine Protestveranstaltungen an iranischen Universitäten durchgeführt werden konnten. Die studentischen Bassiji-Organisationen kontrollieren alle Aktivitäten an den Universitäten. Die Bassiji-Einheiten sind eine paramilitärische Abteilung der iranischen Revolutionsgardisten, der sogenannten Wächter der islamischen Revolution. Sie rekrutieren ihre Mitglieder auch in Schulen und in Universitäten. Dort sollen sie darauf achten, dass die Studenten die Linie der islamischen Revolution nicht verlassen. Es sind studentische Schlägergruppen, die im Dienste der Diktatur jede zivilgesellschaftliche Regung unterdrücken sollen.

Dennoch konnten auch die Bassiji nicht jeden Protest verhindern. Ausgerechnet als der Herausgeber der Zeitung Kayhan, Hussein Schariatmadari, von den Bassiji-Studenten an die Universität Schahid Abaspur eingeladen wurde, ist es zu Protesten gekommen. Kayhan gilt als das Sprachrohr des Revolutionsführers Ali Khamenei. Einige Studenten hielten bei seinem Auftritt Plakate hoch, auf denen zu lesen war, dass „Kayhan die Zeitung der Faschisten“ sei, berichtete eben diese Zeitung am 12. Dezember 2012.

Hussein Schariatmadari warf daraufhin den protestierenden Studenten vor, die persischsprachige Sendung von „Radio Israel“ nachzuahmen. Dabei hielten die Protestierenden ein Foto des unter Präsident Khatami aktiven reformislamistischen Politikers Mostafa Tajzadeh hoch. Dieser sitzt seit zwei Jahren in Haft. Schariatmadari, der den „Führer“ Khamenei in seiner Zeitung offiziell vertritt, warf der Protestbewegung gegen die Wahl des Präsidenten Ahmadinejad vor, zur „fünften Säule des Feindes“ zu gehören. Kayhan schreibt, dass die Bassiji-Studenten in der Überzahl waren. Ausgerechnet Schariatmadari spielte aber den Demokraten und erlaubte den wenigen protestierenden Studenten, Fragen zu stellen, auch wenn diese seine Zeitung als faschistisch „beleidigten“.

Die iranische Studentenbewegung hat in den letzten drei Dekaden einen hohen Preis bezahlt, um den islamistischen Totalitarismus zu entlarven und zu bekämpfen. Die Studenten verstehen ihren Kampf als einen Teil der gesellschaftlichen Bewegungen für die Demokratisierung der Gesellschaft.

Der 7. Dezember 1953: Der „Tag des Studenten“ geht auf die Zeit der Militärdiktatur zurück, als die Demokratiebestrebungen im Iran Opfer des Kalten Krieges wurden. Das im Namen Gottes sich legitimierende Regime ist sogar gegenüber seinen Anhängern, die bis gestern zu den treuesten Dienern gehörten, unbarmherzig. Unter der Diktatur des Schahs waren in der Tat politische Parteien, insbesondere kommunistische Organisationen, aber auch liberal-bürgerliche Parteien verboten. In der islamistischen Diktatur aber werden die kleinsten gesellschaftspolitischen Regungen unterdrückt. Der „Führer“ Khamenei und die ihm ergebenen totalitären Organe setzen die staatliche Interpretation der islamischen Gesetze auch an den Universitäten durch. Das islamistische Regime geht heute unvergleichbar brutaler gegen studentische Proteste vor als das des Schahs, die Universitäten werden permanent von studentischen Bassiji-Gruppen überwacht.

Am 19. August 1953 hatten iranische Generäle mit Hilfe der USA einen Putsch gegen den damaligen Ministerpräsidenten Mossadegh durchgeführt. Am 7. Dezember 1953 demonstrierten iranische Studenten gegen die Ankunft des britischen Gesandten in Teheran. Dessen Ankunft und ein Iran-Besuch des damaligen Vizepräsidenten der USA, Richard Milhous Nixon, gaben den Anlass für die Demonstrationen. Die studentischen Proteste dauerten einige Tage. Verschiedene Universitäten wurden von Soldaten besetzt. Damals starben drei Studenten, Mostafa Bosorgnia, der Mitglied des Zentralkomitees der Jugendorganisation der moskauorientierten Tudeh-Partei war, Mehdi Schariat Razawi, der zu den Kadern der Jugendorganisation der Tudeh gehörte, und Ahmad Qandchi, ein Sympathisant der Nationalen Front, die von Mossadegh geführt wurde.

 

Wahied Wahdat-Hagh ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der European Foundation for Democracy (EFD).


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