Mainstream-Journalismus: Dicke Lippe riskieren

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Mainstream-Journalismus: Dicke Lippe riskieren

HonestReporting Media BackSpin, 18. April 2012

Yarden Frankl, Redaktion HonestReporting

Ich werde nicht vorgeben, nun über alle Fakten zu verfügen. Ich werde mich nicht dazu äußern, ob Oberstleutnant Shalom Eisner sich im Recht befand oder nicht – in einer Situation, bei der ein Demonstrant eine Verletzung an der Unterlippe abbekommen hatte. Was mich aber verblüfft ist die unverhältnismäßig ausführliche Berichterstattung zum Vorfall.

Niemand wurde getötet. Niemand erlitt eine dauerhafte Verwundung. Keine Knochen wurden gebrochen. In Syrien setzt das Regime schwere Artillerie gegen Demonstranten ein und tötet dabei Hunderte. Hier traf es einen Mann, dessen Unterlippe aufplatzte. Und dies, nachdem eine große Menschenmenge versucht hatte, eine große israelische Autostraße zu blockieren und dabei zum wiederholten Male die Anweisungen der Sicherheitskräfte missachtet hatte.

Und so wurde darüber bei Associated Press berichtet:

Das Einprügeln auf einen ausländischen Aktivisten am Samstag, gefilmt von einem weiteren Demonstranten, als Soldaten sie davon abhielten, nahe Jericho [auf der Autostraße; (bd)] Fahrrad zu fahren, lieferte seinen Kritikern neue Munition.

Die New York Times brachte gleich vier Bilder, um den Schlag zu dokumentieren, der zur dicken Lippe geführt hatte.

Beinahe jede größere Medien-Website brachte einen Beitrag zur Episode, oft mit Abbildungen und Videos.

Hatte dieser Vorfall wirklich die Art von Berichterstattung verdient wie jene über die Bombardements ziviler Wohngebiete in Syrien?

Natürlich nicht. Warum also widmen ihr die Mainstream-Medien so viel Aufmerksamkeit?

Wahrscheinlich deshalb, weil Israels Kritiker bei der Manipulation der Medien so geschickt vorgehen, dass sie selbst relativ harmlose Zwischenfälle zu internationaler Empörung hochstilisieren. Ich sage nicht, dass das Vorgehen des Soldaten gerechtfertigt war. Und ich behaupte auch nicht, dass es sich hier um einen klaren Fall von Notwehr handelte. Eine Untersuchungskommission wird alle Fakten rechtzeitig auf den Tisch bringen.

Aber ich sage, dass die Berichterstattung völlig unverhältnismäßig ist.

Sehen Sie sich zum Beispiel das hier an: Ein Minister der palästinensischen Autonomiebehörde ruft zur Vernichtung Israels auf (in einer Tageszeitung der PA; dokumentiert von Palestinian Media Watch.) Dennoch konnte ich in den Mainstream-Medien keinen Hinweis darauf finden.

Nicht einmal ein „Lippenbekenntnis“ wurde dort abgegeben!

Abbildung: CC BY-SA HonestReporting.com, flickr / Katie Brady.


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