Ein Barometer für Freiheit und Gleichheit in Ägypten

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Kann die Diskriminierung und Verfolgung der Bahai als Barometer für die Freiheit einer islamischen Gesellschaft wie Ägypten dienen? Diese Frage muss mit ja beantwortet werden.

Als Anfang August 2012 die US-Außenministerin Hillary Clinton die Menschenrechtsverletzungen von religiösen Minderheiten in Ägypten ansprach, wurde ihr prompt von Mahmoud Ghozlan, Sprecher der ägyptischen Muslimbrüder, widersprochen. Dieser warf Clinton vor, die Unwahrheit zu sagen und behauptete ernsthaft: „Nicht-Muslime bekommen in Ägypten dieselben Rechte wie die Muslime.“

Mahmoud Ghozlan brachte aber deutlich zum Ausdruck, dass die ägyptischen Bahai ihre Religion nicht frei ausüben dürfen und sollen, berichtete die englischsprachige ägyptische Zeitung Daily News. Ghozlan geht fälschlicherweise davon aus, dass die Bahai-Religion vom „Zionismus abstammen“ würde. Die Bahai-Religion versteht sich vielmehr als die jüngste Offenbarungsreligion, die Gleichheit der Geschlechter und aller Menschen befürwortet. Zudem setzen sich Bahai für die Umsetzung von universellen Menschenrechten ein, was manchen fundamentalistischen Muslime ein Dorn im Auge ist.

Verfolgung der Bahai in Ägypten: Es gibt rund 2000 Angehörige der Bahai-Religion in Ägypten. Verglichen mit schätzungsweise 170.000 Bahai in den Vereinigten Staaten von Amerika, 300.000 im Iran und mehr als zwei Millionen in Indien ist dies eine kleine Zahl. Und dennoch ist die Behandlung dieser Minderheit signifikant für die Freiheit von Andersdenkenden in einem islamischen Land wie Ägypten.

Tatsächlich hat sich für die Bahai der arabische Frühling in einen kalten Winter verwandelt, vor allem in Ägypten. Es lohnt sich daher, einen kurzen Blick auf die Geschichte der Verfolgung der ägyptischen Bahai zu werfen: Schon im Jahr 1960 wurden infolge des sogenannten Präsidenten-Dekrets Nummer 263 alle Bahai-Institutionen aufgelöst und das Eigentum der Bahai wurde konfisziert. Laut dem Dekret sollten öffentliche Bahai-Aktivitäten strafrechtlich verfolgt werden, was mit harten Maßnahmen durchgesetzt wurde. In den sechziger Jahren wurden Dutzende ägyptische Bahai verhaftet, allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit, schreibt Naseem Kourosh in der Zeitschrift International Law News (Volume 41, 2012).

Ähnlich wie in der „Islamischen Republik Iran“ werden in Ägypten noch nicht einmal die Bahai-Ehen anerkannt, mit tragischen Folgen für die Familienangehörigen. Im Jahr 1975 wurde ein weiteres Gesetz erlassen, das den Bahai auch im privaten Rahmen verbot, ihre Religion zu praktizieren.

Im Jahr 2003 gab das wissenschaftliche Zentrum der Al-Azhar Universität, der bedeutendsten theologischen Hochschule des sunnitischen Islam, eine Fatwa gegen die Bahai-Religion aus, die eine weitere Grundlage für Diskriminierung und Verfolgung der Bahai darstellt. Darin wurde erklärt, dass die Bahai-Religion eine „tödliche spirituelle Epidemie“ sei, die vom Staat „vernichtet“ werden müsse. Dabei setzen sich die Bahai für den Frieden zwischen den Religionen ein, mit der Begründung, dass alle den gleichen göttlichen Ursprung haben.

Ägyptischer Personalausweis: Nasseem Kourosh betont in der Zeitschrift International Law News, dass Bahai ihre religiöse Identität nicht leugnen. Dies wurde dann besonders problematisch, wenn sie gegenüber dem Staat ein religiöses Bekenntnis ablegen mussten. Die Religionszugehörigkeit muss beispielsweise auf ägyptischen Personalausweisen angegeben werden, es existieren nur die Kategorien Jude, Christ und Muslim. Wer sich zu keiner dieser Kategorien bekennen will, ist aus staatlicher Sicht theoretisch nicht existent, in der Praxis muss er mit Repressalien rechnen.

Seit dem Präsidenten-Dekret des Jahres 1960 bestimmte der ägyptische Staat, dass die Bahai sich nicht als Bahai registrieren lassen durften. Wenn Bahai daher ihre Personalausweise bekamen, wurden sie mal als Christen, mal als Juden und mal als Muslime eingetragen, manchmal auch als Atheisten – dies alles nicht freiwillig.

Erst 1983 bekamen die Bahai in Ägypten eine staatliche Genehmigung, sich als Bahai oder als „anders“ in ihren Ausweisen identifizieren zu lassen. Es gab aber ein Problem, denn Bahai gelten als Apostaten, auch in Ägypten. Als Apostaten dürfen sie nicht studieren.

Im Jahre 2004 zog der ägyptische Staat diese Genehmigung wieder zurück. Wenn ein Ägypter einen Personalausweis neu beantragte, durfte er oder sie nur einer der drei anerkannten Religionen angehören, also dem Judentum, dem Christentum oder dem Islam. Nun durften Bahai sich auch nicht mehr als „anders“ identifizieren oder das Feld zur Religionszugehörigkeit auf dem Formular einfach freilassen.

Die Probleme der ägyptischen Bahai wurden immer ernster: Da Bahai ihre Religion nicht leugnen, waren sie faktisch nicht mehr berechtigt, einen Personalausweis zu besitzen. Das hatte tragische Konsequenzen: Bahai-Kinder bekamen keine Geburtsurkunde und durften daher keine Schulen besuchen, sogar medizinische Impfungen wurden ihnen verwehrt.

Bahai-Jugendliche und Erwachsene bekamen natürlich auch keinen Personalausweis, mit der Folge, dass sie keine Arbeit bekamen, nicht studieren durften und keine medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern in Anspruch nehmen konnten. Sie konnten auch keinen Führerschein machen. Sie bekamen noch nicht einmal eine Bescheinigung, dass ein Familienmitglied verstorben ist. Dies alles war aus der Sicht der Herrschenden nützlich. Denn die legitimen Erben verloren dadurch ihr Recht auf die Erbschaft. Der Besitz der Bahai ging in Staatseigentum über.

Erst im April 2006 bekamen die ägyptischen Bahai das Recht auf eine religiöse Identität, die offiziell in den staatlichen Dokumenten registriert werden konnte. Aber da die Muslimbrüder und die Al-Azhar Universität gegen diese staatliche Entscheidung protestierten, wurde sie bereits im Dezember 2006 wieder rückgängig gemacht. Erneut sollten nur diejenigen staatliche Dokumente erhalten, die dem Islam, dem Christentum oder dem Judentum angehören.

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen sowie der Jahresbericht der US-Regierung über religiöse Freiheiten prangerten im Jahr 2007 die Zustände in Ägypten an. Bisher ohne Erfolg. Negativ betroffen von den schlimmen religiösen Vorurteilen sind nicht nur die Bahai, sondern auch Kopten und neu konvertierte Christen.

Erst im August 2009 bekamen die Bahai Personalausweise, die die Religionszugehörigkeit offen ließen. Das war ein Fortschritt, weil die Bahai wenigstens einen Personalausweis bekamen, auch wenn ihre Religion nicht eingetragen werden konnte und nur als ein Bindestrich (-) registriert wurde.

Mit dem „arabischen Frühling“ hat sich die Lage der Bahai nicht verbessert, eher ist das Gegenteil der Fall. Der „arabische Frühling“, der in Tunesien begann und auch in Ägypten Präsident Hosni Mubarak stürzte, scheint aber mitnichten Demokratie und Menschenrechte mit sich zu bringen. Besonders wenn man das blutige Chaos und die Gewalt in Libyen, Bahrain und insbesondere in Syrien betrachtet und auch einen genaueren Blick auf Ägypten wirft, kann man feststellen, dass mittelfristig eine positive Entwicklung in der arabischen Welt kaum zu erwarten ist.

Die Situation der Angehörigen der Bahai-Religion in Ägypten ist in der Tat ein Lackmustest für die gesamte Entwicklung einer islamischen Gesellschaft. Wie Nassim Kourosh feststellt, werden gegenwärtig die positiven Maßnahmen des Jahres 2009 in Bezug auf die Behandlung der Bahai wieder zurückgenommen. Die Bahai werden im „arabischen Frühling“, der sich ziemlich schnell in einen Winter verwandelt, immer noch nicht mit den Angehörigen der anderen drei Religionen gleichgestellt. Bürgerrechte sind im „arabischen Frühling“ noch ein Fremdwort. Auch im heutigen Ägypten bekommen die Bahai keinen Personalausweis, in dem ihre Religionszugehörigkeit, wie bei den anderen drei anerkannten Religionen, eingetragen werden kann. Es gäbe auch die Möglichkeit, dass der Staat auf die Identifizierung der Religion in den Ausweisen gänzlich verzichtet, aber auch dies ist im gegenwärtigen Ägypten nicht denkbar.

Angriffe und Brandstiftungen: Wenn der Staat als ideologischer Brandstifter auftritt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Bürger eines solchen Staates tatsächlich zu Brandstiftern werden. In Ägypten ist ein Anstieg von Angriffen auf die Bahai zu verzeichnen. In manchen ägyptischen Dörfern wurden die Häuser von Bahai angegriffen und in Brand gesteckt. Die Muslimbrüder, die die meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen bekamen, wollen die Situation der Bahai nicht verbessern. Weder die Muslimbrüder noch die Salafisten wollen den Artikel 2 der ägyptischen Verfassung ändern, wonach der Islam Staatsreligion ist und das islamische Gesetz als Staatsgesetz zur Geltung kommt. Der Salafist Abdel Moneim al-Shahat dämonisiert die Bahai und bezeichnet sie als eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Dieser Salafist bezog sich sogar auf eine Fatwa der Al-Azhar Universität, wonach die Bahai wegen „Hochverrat“ verfolgt werden sollten.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Lage der ägyptischen Bahai verschlechtern wird. In der Tat ist die Verfolgung von Minderheiten in einer islamischen Gesellschaft ein Barometer für das Maß an (Un-)Freiheit und (Un-)Gleichheit, das dort herrscht.

Wahied Wahdat-Hagh, Fellow bei der European Foundation for Democracy (EFD).

 


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