Arbeiterproteste im Iran

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Arbeiterstreiks und Proteste häufen sich im Iran. Im Jahr 2012 gab es mehr Arbeiterproteste als in den Jahren zuvor. Die Arbeiter stellen meist ökonomische Forderungen nach Lohnerhöhungen. Ein Gros der iranischen Arbeiterschaft geht aber davon aus, dass sie sich gegen den Gottesstaat wehren dürfen und Widerstand leisten müssen, um auf ihre Rechte in einem Unrechtsystem aufmerksam zu machen.

In den 90er Jahren wurden Arbeiterstreiks faktisch verboten, auch wenn formal noch Paragraphen 141, 142 und 143 der iranischen Arbeitsgesetzgebung gültig sind, die ein Recht auf Streik der Arbeiter einräumen.

Beispielsweise konnten einige privatisierte Firmen im Zuge der Wirtschaftspolitik von Präsident Ahamdinejad monatelang keine Löhne auszahlen. Die Privatisierungspolitik führte zu massiven Entlassungen in verschiedenen Unternehmen, wie BBC Farsi schon im April 2012 meldete. In einigen Fällen wurden Lohnausfälle gemeldet, die über zwei Jahre andauerten. Eine Plastikfirma entließ mehr als 350 Arbeiter, weil im Zuge der Wirtschaftspolitik der Regierung Löhne nicht ausbezahlt werden konnten.

Korruption und Kapitalflucht. Auch Korruption spielt eine große Rolle. Beispielsweise ist eine Rohrfirma im Zuge der Privatisierungspolitik  Bankrott gegangen. Ein Unternehmer, der die Firma und die Arbeitsplätze angeblich retten wollte, konnte eine iranische Bank überzeugen ihm Kredite zu geben. Er flüchtete aus dem Iran mitsamt dem Geld. Dies ist kein Einzelfall.

Warum die iranischen Arbeiter protestieren. Wie radiofarda, die persische Sendung von Radio Free Europe, meldete, schrieben im September 2012 rund 20.000 iranische Arbeiter einen offenen Brief an den iranischen Arbeitsminister. Darin beklagten sie die Nichtauszahlung von Löhnen und die Tatsache, dass die Löhne nur ein Leben unter der Armutsgrenze ermöglichen würden. Die Arbeiter würden täglich weniger Nahrung zu sich nehmen können, weil alles teurer wird. Die iranischen Arbeiter würden monatlich zwischen 182 bis 243 Euro verdienen. Dabei würde die Teuerungsrate in manchen Fällen über 50 Prozent betragen. Die offizielle Armutsgrenze für das Jahr 2012 im Iran beträgt 609,50 Euro. D.h. wer unter dieser Summe verdient, gilt als arm. 609,50 Euro sind aber etwa 2,5 Mal höher als der höchste Lohn, den ein iranischer Arbeiter erhält. Die soziale Lage der Arbeitslosen ist noch katastrophaler.

Im Oktober 2012 meldete BBC Farsi, dass über 5000 Arbeiter eines Industrieunternehmens in Isfahan (Gitipassand) seit Mai 2012 keinen Lohn erhalten hätten. Die Produktion mancher Industriesektoren sei auf 50 Prozent zurückgefahren worden. Bis heute sollen die Arbeiter unregelmäßig Geld bekommen.

Im Oktober 2012 streikten auch Lastwagenfahrer in Isfahan, die Benzin transportieren. In diesem Bereich hat die Privatisierung des Energiesektors besonders stark zu Preiserhöhungen geführt.

Im Jahr 2012 waren Arbeiter der iranischen Metall- und Autoindustrie, aber auch der Webereiindustrie besonders von Entlassungen betroffen. Dies hatte weniger mit der Sanktionspolitik Europas und den USA als viel mehr mit einer aggressiven Form der kapitalistischen Wirtschaftspolitik zu tun, die unter Ahmadinejad im Iran eingeführt worden ist. 

Arbeitsunfälle enden oft tödlich. BBC Farsi zitierte Sohrab Barandishe, der in der Provinz Kermanschah Direktor einer staatlichen Genossenschaft ist. Er beklagte die Todesrate bei Unfällen während der Arbeitszeit. Barandishe zufolge sterben die Arbeiter bei über 70 Prozent der Arbeitsunfälle. Wie die Menschenrechtlerin Shirin Ebadi betont, sterben täglich fünf Arbeiter im Iran an Folgen von Arbeitsunfällen.

Im Dezember 2012 wurde gemeldet, dass Isfahan die Stadt mit der zweithöchsten Rate an Arbeitsunfällen nach Teheran sei. Laut iranischem Arbeitsministerium starben im Jahr 2012 etwa 49 Arbeiter allein in Isfahan. Im Jahr 2011 waren 104 Arbeiter in Isfahan gestorben.

Wir BBC Farsi am 17.12.2012 meldete, ist landesweit die Zahl der Unfälle am Arbeitsplatz mit Todesfolgen im Jahr 2012 um 24 Prozent gestiegen. Die Zahlen sind amtliche Zahlen des Iran.

In den letzten zehn Jahren seien 9.625 Arbeiter am Arbeitsplatz verstorben. Allein im Jahr 2012 seien rund 1100 Minenarbeiter im Iran gestorben, berichtete radiofarda am 18.12.2012. Auch hier wurden staatliche Quellen zitiert. Den Anlass zu dieser Berichterstattung gab aktuell der Tod von acht Minenarbeitern, die in einem Kohlebergwerk in der Stadt Tabas am 17.12.2012 erstickten.

Entlassungen als Maßnahme gegen den Streik. Im Jahr 2012 wurden rund 1 Millionen Vertragsarbeiter, die im Produktionssektor der iranischen Wirtschaft tätig waren, entlassen, teilte Fathollah Bayat, ein iranischer Gewerkschafter der Zeitung „Rahe Daneshju“ mit. Bei Bedarf werden offenbar nur noch Tagelöhner eingestellt.

Seit Jahren gibt es die Tendenz, dass nur eine Art islamistische Arbeiteraristokratie, die sich gegenüber der islamistischen Diktatur loyal verhält, feste Verträge in den Unternehmen bekommt. Aus Angst vor organisierten Streiks, die die Räder der Diktatur lahm legen könnten, bekommt die Mehrheit der iranischen Arbeiter keine Verträge mehr, damit sie immer mehr entmutigt werden Streiks durchzuführen. Ohnehin bekommen sie durchschnittlich nur alle vier Monate ihren Lohn.

Die Versprechen Ahmadinejads und die soziale Armut. Im Februar 2006 versprach Ahmadinejad die Iraner reicher zu machen. Er versprach iranischen Familien sogenannte „Gerechtigkeitsaktien.“  Diese sollten durch den Verkauf der staatlichen Aktien finanziert werden. Mit dieser Maßnahme wollte Ahmadinejad „soziale Gerechtigkeit“ im Iran herstellen. Iran hat 75 Millionen Einwohner und rund 40 Millionen Menschen sollen diese „Gerechtigkeitsaktien“ in Anspruch genommen haben. Aber die Gerechtigkeit kam nicht; sie kam erst recht nicht bei den Arbeitern an. Diese „Gerechtigkeitsaktien“ wurden an die meisten Arbeiter erst gar nicht gänzlich ausbezahlt. Ohnehin ist dieses Schein-Verteilungssystem ein schwacher Trost, denn eine echte Kompensation für den ausfallenden Lohn der Arbeiter kann eine Aktie, die dem Arbeiter lediglich das Gefühl geben soll, auch ein Kapitalist zu sein, nicht leisten.

Diese „Gerechtigkeitsaktien“ können bis 609 Euro (1 Mio. Tuman) betragen. Die meisten Arbeiter haben nur einen geringen Teil davon erhalten. Dafür haben nicht nur arme Bevölkerungsgruppen, sondern auch manche betuchte Iraner die „Gerechtigkeitsaktie“ bekommen. Es kann nur vermutet werden, dass die Letzteren zu den loyalen Anhängern der islamistisch-totalitären Diktatur gehören.

Ahmadinejad konnte während seiner Präsidentschaftszeit die Armut nicht besiegen, aber einige seiner Anhänger sind auf jeden Fall reicher geworden.

 

Wahied Wahdat-Hagh, Fellow bei der European Foundation for Democracy (EFD).


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