Ariel Scharon (1928-2014)

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ULRICH W. SAHM – Kommentar: Scharon ist tot
Jerusalem, 3. Januar 2014 – Die Ära Scharon endete abrupt am 4. Januar 2006, als Premierminister Ariel Scharon nach einem Schlaganfall in ein Koma fiel, von dem er sich nie wieder erholte. Obgleich angefeindet, umstritten und kaum verstanden muss Scharon wohl neben Staatsgründer David Ben Gurion als der bedeutendste Premierminister Israels gesehen werden, mehr als Golda Meir oder Jitzhak Rabin. Scharon wurde von der Welt und linken Israelis als „Vater der Siedlungen“ verachtet. Aber er war es, der für den Frieden mit Ägypten alle Siedlungen im Sinai abreißen ließ und den Rückzug aus dem Gazastreifen mitsamt den Siedlungen verfügte, als er erkannte, dass der Gazastreifen eine Bürde für die Sicherheit Israels sei und kein strategischer Gewinn. Er bekämpfte die Palästinenser 1982 im Libanonkrieg und sorgte dafür, dass Jassir Arafat mitsamt seinen Kämpfern ins Exil nach Tunis geschickt würde. Scharon hatte nach eigenen Angaben in seiner Autobiografie die Vision, dass Israel den Konflikt mit den Palästinensern nur durch Verhandlungen mit einem „starken Arafat“ lösen könne. Jitzhak Rabin nutzte die Chance nach dem Irakkrieg 1991, als Arafat wegen seines Bündnisses mit Saddam Hussein schwächer war denn je. 

Scharon war es auch, der nach Ausbruch der von Arafat geplanten und keineswegs von Scharon ausgelösten zweiten Intifada das ungeheuerliche Blutvergießen in Nahost stoppte, unter anderem mit dem Bau der „Mauer“. 

Schon als Kind bekämpfte Scharon die Araber, mit dem klaren Ziel, die jüdische Besiedlung und später den Staat Israel zu sichern. Amerikanische und israelische Untersuchungskommissionen sowie Gerichtsprozesse in New York bestätigten, dass er weder die Massaker in Sabra und Chattillah bei Beirut 1982, noch den Ausbruch der Intifada im September 2000 durch seinen „provokativen“ Besuch auf dem Tempelberg, verantwortet habe. Zu den Widersprüchen der Geschichte zählt, dass ausgerechnet die Araber, darunter Jordanien und Libanon, ihm als „starken Mann“ voll vertrauten, während die Medien und die westliche Welt ihn verständnislos als „Draufgänger“, „Hardliner“ und „unberechenbaren“ Politiker einstufte. Bei den Israelis war er heiß geliebt und zugleich tief gefürchtet. 

Scharon war ein mutiger Politiker. Doch ob seine Beschlüsse immer gut oder schlecht waren, lässt sich heute noch nicht entscheiden. Der Rückzug aus Gaza zum Beispiel hat Israel 12.000 Raketenangriffe der Hamas und zwei Kriege eingebracht. Gleichwohl wünscht sich heute kein Israeli mehr eine erneute Besatzung des Küstenstreifens mit 1,5 Millionen Palästinensern.  
 
ULRICH W. SAHM – Scharons Tod
Jerusalem, 11. Januar 2014 – „Die Gerüchte verhärten sich, dass Ariel Scharon gestorben sei. Eine Bestätigung des Hospitals steht noch aus.“ Mit dieser dramatischen Meldung wurde am Samstag Mittag gegen 14:30 Ortszeit das Rundfunkprogramm unterbrochen. Kurz danach meldeten sich alte Kampfgefährten und Freunde Scharons, die erzählten, vom Hospital schon eine Mitteilung des Todes erhalten zu haben. Erst später wurde eine Pressekonferenz angesagt, bei der dann auch die „Todesursache“ mitgeteilt werden sollte. Seit über zwei Wochen wurde die Welt darüber informiert, wie erst die Nieren, dann die Lunge, das Herz, der Blutdruck und andere Funktionen des Körpers zusammengebrochen waren.
Scharon liegt seit 8 Jahren in der Schiba-Abteilung des Tel Haschomer Hospitals nahe Tel Aviv auf der Intensivstation.
20 Minuten nach der ersten Todesmeldung trat Gilad Scharon, der Sohn des verstorbenen ehemaligen Premierministers, vor die Presse, um sich persönlich bei den von ihm namentlich genannten Krankenschwestern und behandelnden Ärzten zu bedanken.
Seit dem 4. Januar 2006 ist Scharon von einem schweren Schlaganfall nicht mehr aufgewacht und lag seitdem streng behütet und abgeschirmt auf der Intensivstation.
Damals wurde Scharon ein letztes Mal durch das Milchglasfenster einer Ambulanz fotografiert. Kein einziges Bild von ihm ist seitdem nicht mehr veröffentlicht worden.
Unmittelbar nach Verbreitung der Nachricht wurden offenbar von langer Hand vorbereitete Kondolenzbriefe veröffentlicht, darunter von Staatspräsident Schimon Peres: „Arik war ein mutiger Führer, der seine Nation liebte“.
Noch ist unbekannt, wo der 85 Jahre alte Volksheld begraben werden wird. Ihm gebührt ein Platz auf dem Friedhof der „Großen der Nation“, wo auch Jitzhak Rabin und andere ehemalige Ministerpräsidenten begraben liegen. Doch könnte es sein, dass Scharon verfügt hat, auf seiner Farm nahe dem Gazastreifen neben seiner verstorbenen Frau zur ewigen Ruhe gebettet zu werden.
ULRICH W. SAHM – Scharon Nachruf
Jerusalem, 10. Januar 2014 – Schon dem Staatsgründer David Ben Gurion ist der junge tapfere Kämpfer Ariel Scharon aufgefallen. Aber er traute ihm nicht.
Der Soldat Scharon ignorierte Befehle seiner Vorgesetzten und schaffte es deshalb nicht zum Oberbefehlshaber. Als Politiker verfolgte er eine pragmatische Linie, was weder seine blinden Gefolgsleute noch seine hasserfüllten Feinde wahrhaben wollten. Scharon war kein neurotischer Araberhasser oder verblendeter Siedlungsideologe. Im Laufe seiner Karriere war er stets gut für Überraschungen. Kein anderer Israeli war jemals bei den Arabern so verhasst und zugleich so respektiert.
Bei vielen Israelis galt er als gefährlicher Rechtsaußen, bis ihn die Linken zum Retter der Nation kürten. Keinem anderen israelischen Politiker wurden so viele böswillige Klischees angehängt wie „General“ Scharon. Umstritten blieb er bis zu seinem Schlaganfall am 4. Januar 2006, der ihn in ein langjähriges Koma versetzte.
Scharon blieb sich bei genauem Hinschauen stets selber treu. Er hatte immer das Wohl und das Überleben Israels im Visier und war deshalb kein Ideologe, sondern ein unzurechenbarer Pragmatiker.
Die Visite Scharons auf dem Tempelberg im September 2000, die vermeintlich den zweiten Aufstand der Palästinenser auslöste, fiel noch in die Ära von Premierminister Barak. Der genehmigte mit palästinensischer Zustimmung (!) die „Provokation“ seines Oppositionschefs Scharon, obgleich er von Arafats Vorbereitungen zur El-Aksa-Intifada seit Mai 2000 gewusst haben muss.
Scharon hatte in seiner Karriere viele Schritte getan, die ihn bei Israelis wie Arabern zum mythologischen Feind machten. Seine militärischen Attacken als Befehlshaber der legendären 101-Einheit kosteten in den fünfziger Jahren vielen arabischen Zivilisten das Leben. Während des Putsches von PLO-Chefs Jassir Arafat 1970 in Jordanien („Schwarzer September) empfahl Scharon, Jordanien zur „Palästinensischen Republik“ unter Arafat werden zu lassen. Die USA und Israels Regierung wollten aber König Hussein retten. Wäre damals „Palästina“ anstelle von Jordanien entstanden, sähe der Nahe Osten heute anders aus.
Mit dem befehlswidrigen Überschreiten des Suezkanals 1973 beendete er siegreich den Jom Kippur Krieg, brachte aber die militärische wie politische Spitze Israels gegen sich auf. 1982 zerstörte er als Verteidigungsminister unter Menachem Begin alle Siedlungen auf Sinai und vollzog die Räumung der Halbinsel. Damit war der Friedensvertrag mit Ägypten im Mai 1982 perfekt. Einen Monat später zeichnete er verantwortlich für den Libanon-Feldzug bis Beirut. Eine Untersuchungskommission machte ihn mitverantwortlich für Massaker an Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Chattilah bei Beirut. Die Massaker hatten die christlichen Verbündeten Israels unter Elie Hubeika ausgeführt. Scharon wurde lediglich beschuldigt, die Rachsucht der libanesischen Christen nicht vorhergesehen zu haben. Gleichwohl galt er fortan als „Schlächter von Beirut“, was nachweislich nicht stimmt.
Lange vor den Osloer Verträgen vermerkte Scharon in seiner Autobiografie, dass er 1982 gegen den Willen der Amerikaner die Verbannung des belagerten Arafat mitsamt seinen Kämpfern ins Exil nach Tunis durchgesetzt habe. Wie ein Prophet hatte Scharon vorhergesehen, dass Israel eine Tages mit einem „starken“ Arafat über das künftige Schicksal der Palästinenser verhandeln müsse. So wurde ausgerechnet Scharon zum Wegbereiter des 1991 von Jitzhak Rabin aufgegriffenen Friedensprozesses.
Im März 2001 wurde Scharon nach dem größten Wahlsieg in der Geschichte Israels zum Premierminister. Sein Vorgänger, Ehud Barak, musste so für das Debakel des Ausbruchs der 2. Intifada büßen, nachdem er bei Friedensverhandlungen in Camp David weitreichendste Zugeständnisse gemacht hat. Barak hatte nach Hunderten palästinensischen und dutzenden israelischen Toten den Aufstand nicht in den Griff bekommen.  Scharon versprach ein Ende des Blutvergießens. Sein erster Amtsakt im März 2001 war ein einseitiger Waffenstillstand. Die Zahl der palästinensischen Toten sank drastisch, aber palästinensische Selbstmordattentate forderten immer mehr israelische Tote.
In einem Interview mit Haaretz erklärte er, dass Siedlungen an biblischen Orten wie Eli, Schilo und Tekoa auf Dauer nicht bestehen könnten. So deutete der „Vater der Siedlungspolitik“ das Ende ausgerechnet religiös motivierter Siedlungen an.
Unter Scharon gingen die Friedensbemühungen zunächst weiter. Nach dem Mord an Tourismusminister Rehabeam Zeevi und der Aufnahme der Mörder in Arafats Mukata (Hauptquartier) beschloss Scharon im November 2001, Arafat unter Hausarrest zu versetzen. Ein Selbstmordanschlag im Park Hotel in Natanja am Abend des Passahfestes 2002 führte zum Einmarsch in die palästinensischen Autonomiegebiete. Gleichzeitig begann Scharon, einen Sperrwall zu errichten, um das Eindringen von Terroristen zu verhindern und „einseitig“ die künftige Grenze gemäß israelischen Interessen festzulegen. Heute zählt diese „Mauer“ zu den schmerzhaftesten israelischen Maßnahmen gegen die Palästinenser, wobei selten erwähnt wird, dass die Mauer eine direkte Reaktion auf palästinensische Politik war. Unerbittlich bekämpfte Scharon palästinensische Attacken mit „gezielten Tötungen“ von „tickenden Bomben“. Scheich Ahmad Jassin und Salah Schehade waren die bekanntesten Opfer seiner „außergerichtlichen Hinrichtungen“.
Scharon war der erste israelische Premierminister, der von „eroberten Gebieten“ sprach und den Begriff „palästinensischer Staat“ in den Mund genommen hat. Im Dezember 2003 verkündete er die „Abkopplung“ von den Palästinensern. Im August 2005 vollzog er den Rückzug aus Gaza und setzte mit dem Abzug aus dem Norden des Westjordanlandes der ideologischen Siedlungspolitik ein symbolisches Ende.
ULRICH W. SAHM – Scharons Begräbnis
Jerusalem, 11. Januar 2014  – Der am Samstag an Herzversagen nach einem achtjährigen Koma verstorbene ehemalige Premierminister Ariel Scharon, 85, wird in der von ihm aufgebauten Schikmim-Farm neben dem Grab seiner Frau Lily begraben werden. Einzelheiten sind noch nicht festgelegt worden.

Viele andere Premierminister erhielten ihre letzte Ruhe in Jerusalem auf dem Herzlberg, auf dem Friedhof für die „Großen der Nation“. 

Da Scharon auch General war, wird er sowohl staatliches und militärisches Begräbnis erhalten. Voraussichtlich wird Scharon am Sonntag in der Knesset, dem Parlamentsgebäude, in Jerusalem aufgebahrt werden, damit Israelis ihm die letzte Ehre erweisen können. Montag Mittag soll seine Leiche dann zum „Anemonenhügel“ bei der Schikmimfarm überführt werden. 

Das Begräbnis könnte zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko werden, da die Scharon-Farm nur wenige Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt und so in Reichweite der „selbstgebastelten“ Kassamraketen extremistischer Organisation im Gazastreifen liegt. Auch wenn die im Gazastreifen herrschende Hamasorganisation aus Furcht vor israelischen Gegenschlägen selber keine Raketen auf Israel abschießen könnte, heißt es, dass die Organisation in letzter Zeit zunehmend die Kontrolle über noch radikalere Organisationen verloren habe. 

Da Ort und Zeitpunkt des Staatsbegräbnisses, wahrscheinlich mit prominenten Gästen, allgemein bekannt sein werden, könnten Palästinenser mit ihren Raketen „21 Salutschüsse zu Ehren Scharons“ abgeben, wie es Dr. Aahron Lerner formuliert hat, der einen Nachrichtendienst betreibt. 

Wenige Stunden nach der Ankündigung von Scharons Tod gab es in der Gegend von Sderot nahe der Farm von Scharon einen Raketenalarm.

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