ULRICH W. SAHM – Schimon Peres – Ein Rückblick

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Foto: Ulrich W. Sahm

Foto: Ulrich W. Sahm

Jerusalem, 10. Juni 2014  – Der 90 Jahre alte Schimon Peres ist bis zum Ende seiner Kadenz am 27. Juli nicht nur das älteste Staatsoberhaupt der Welt. Gewiss kann man ihn auch als den erfahrensten Politiker der Welt bezeichnen. Wenn er bei öffentlichen Veranstaltungen ins Erzählen kommt, offenbart er sich als wandelndes Geschichtsbuch. Den meisten historischen Figuren von Rang seit dem Zweiten Weltkrieg ist Peres persönlich begegnet.

Seine Karriere begann er als rechte Hand des legendären Staatsgründers David Ben Gurion. Mehrfach war er Minister, zwei Mal füllte er das Amt des Regierungschefs, allerdings ohne gewählt worden zu sein. 1995 wurde er automatisch Premier, nachdem sein jahrelanger Kumpan und politischer Intimfeind Jitzhak Rabin von einem rechtsradikalen Israeli, Jigal Amir, ermordet worden war. Damals war Peres in großen Teilen der Bevölkerung noch verhasster als der ermordete Rabin. „Schade, dass nicht auch Peres umgebracht worden ist“, sagte am Morgen nach dem Attentat ein Israeli, als der Schock dem ganzen Land noch frisch in den Knochen steckte. Diese Anmerkung zeigt krass, wie sich die Volksmeinung zu Peres gewandelt hat. Heute wird Peres verehrt.

Gemeinsam hatten Rabin und Peres nach Geheimverhandlungen mit PLO-Chef Jassir Arafat 1993 die Osloer Verträge zustande gebracht. Die wurden zunächst von Israelis, Palästinensern und der Welt euphorisch als „Durchbruch zum Frieden“ gefeiert. Doch schon bald nach der Rückkehr Arafats aus dem Exil in Tunis mitsamt seinen bewaffneten Kämpfern begann ein Blutbad an Israelis, während Israel mit entsprechend harten Gegenmaßnahmen reagierte. Die Friedensfreude verkehrte sich in Misstrauen, Hass und Zweifeln an der Friedensbereitschaft auf beiden Seiten. Rabin und Peres wurden als „Verbrecher von Oslo“ verunglimpft, nachdem sie mit Arafat den Friedensnobelpreis erhalten hatten.

In die kurze Regierungszeit von Peres nach der Ermordung Rabins fiel ein Schlagabtausch mit der Hisbollah-Miliz im Libanon, wobei die israelische Artillerie „versehentlich“ ein UNO-Lager beim Dorf Kana traf. Die Hisbollah hatte neben der UNO eine Raketenstellung errichtet und in deren Schatten Raketen auf Israel abgeschossen. In dem UNO-Gelände hatten jedoch Hunderte Libanesen Zuflucht gesucht. So kam es zu einem schrecklichen Blutbad. Das hatte Peres als Regierungschef zu verantworten. Bei den kurz darauf stattfindenden Wahlen verweigerten ihm deshalb die israelischen Araber, etwa 20% der Bevölkerung, ihre Stimmen. Aber auch bei der israelischen Bevölkerung hatte sich Peres die letzten Sympathien verspielt, als er nach den ersten Selbstmordattentaten der Hamas-Bewegung in Jerusalemer Bussen die unschuldigen Ermordeten als „Opfer für den Frieden“ verunglimpft hatte. Diese taktischen und vielleicht gar geschmacklosen Fehler führten zum Niedergang der israelischen Friedensbewegung und der Linken. Seitdem behauptete sich die israelische Rechte fast ununterbrochen an der Macht. Peres verlor nach einem peinlichen Fernsehduell die Wahl gegen Benjamin Netanjahu. Der ist inzwischen zum dritten Mal zum Premierminister gewählt worden ist. Das Zwischenspiel des Ehud Barak von der Arbeitspartei mündete im Debakel der mörderischen Zweiten Intifada, die Tausenden Israelis und Palästinensern das Leben kostete.

Als Staatspräsident erwies sich Peres als großer Staatsmann, der die Fähigkeit besaß, das Volk souverän zu vereinen und den Staat Israel trotz Anfeindungen in glänzender Weise zu repräsentieren. Bis heute sieht er sich als unheilbarer Optimist. Er glaubt fest an den Frieden.

Peres ist nicht nur Politiker. Er ist belesen und hat Gedichte verfasst. Nicht zufällig zählten die Schriftstellerin Simone de Beauvoir und andere Literaten zu seinen engsten Freunden. Im Gegensatz anderen Politikern wurde ihm nie Geldgier, Korruption, unlautere Nähe zu Millionären oder Wirtschaftsmagnaten vorgeworfen. Sein Privatleben hat er mit Erfolg vor der Öffentlichkeit versteckt. Seine inzwischen verstorbene Frau Sonja war Sozialarbeiterin und verweigerte öffentliches Auftreten an der Seite ihres Mannes sogar nach seiner Wahl zu Staatspräsidenten.

Bei persönlichen Begegnungen ist Peres leutselig und bescheiden. So verrät er beim intimen Mittagessen, dass er gerne mal ein Glas Rotwein trinke. Beim Schminken vor dem Fernsehinterview schließt er genüsslich die Augen, während er sich beim Auftragen von Puder auch noch kurz die Schläfen massieren lässt. An große Fernsehkameras gewöhnt, äußert er sich begeistert über die „moderne Technik“, als der Korrespondent nur eine kleine Taschenkamera für das Interview aufbaute. Aber Peres konnte auch egoistisch und rücksichtslos sein. Bei einem Flug nach Rom weigerte er sich, die Jalousie herunter zu ziehen, weil er Zeitung lesen wollte, während andere Passagiere wegen des Lichteinfalls verhindert waren, den Film zu schauen.


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