ULRICH W. SAHM – Analyse: Der Krieg zwischen Israel und Hamas

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Sahm08Jerusalem, 8. Juli 2014  – Schlagzeilen machen vor allem die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen. Allein am Dienstag wurden über 50 Ziele attackiert, darunter Raketenstellungen und die Wohnhäuser namentlich genannter prominenter Hamaskämpfer. Da ist schon von einer „Militäroffensive“ die Rede, obgleich keine Bodentruppen einmarschiert sind. Bisher wurden laut Medienbericht nur 1500 Reservisten eingezogen. Eine Eroberung des Gazasteifens ist fraglich und in Israel umstritten.

Erst an zweiter Stelle werden die massiven Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf israelische Städte in einem Umkreis von 40 Kilometern erwähnt. Betroffen sind 3 Millionen Israelis. Sie wurden aufgefordert, sich in der Nähe von Schutzräumen aufzuhalten. Sirenenalarme in Vorstädten östlich von Jerusalem stellten sich als Fehlalarm heraus. Aber Beer Schewa und Aschdod wurden mit Gradraketen beschossen, die irgendwann, vermutlich aus Iran, in den Gazastreifen geschmuggelt worden sind. Bisher gab es wenige Volltreffer, weil das modernisierte Abwehrsystem „Eisenkappe“ fähig ist, die anfliegenden Raketen rechtzeitig abzuschießen, sowie die Computer eine Flugbahn in bewohntes Gebiet errechnet haben. Andere Raketen, die in offenen Feldern einschlagen, werden nicht abgeschossen. Bisher gab es in Israel nur einige leicht Verletzte.

Veranstaltungen mit mehr als 300 Teilnehmern, darunter Hochzeiten und Konzerte, sind abgesagt worden. Kinder dürfen nur Ferienlager besuchen, wenn die Gebäude mit raketensicheren Dächern geschützt sind. Das zentrale Krankenhaus der Region, Soroka in Beer Schewa, hat alle Neugeborenen und Frühchen in sichere Teile des Landes evakuiert. An Universitäten und Hochschulen wurde der Unterricht abgesagt. Der Zugverkehr von Aschdod nach Sderot wurde gestoppt. Für andere Züge gilt, dass sie nach einem Raketenalarm noch sieben Minuten lang im Bahnhof warten müssen. Andernfalls sollen Lokführer entlang der Strecke an „sicheren Stellen“ anhalten.

Die Ereignisse rund um den Gazastreifen geben allen Experten Rätsel auf. Die Hamas gilt als politisch geschwächt nachdem sie fast alle Verbündeten in der arabischen Welt verloren hat. Sogar Ägypten hat die Hamas auf die Terrorliste gesetzt, nachdem die ägyptischen Moslembrüder mit dem Sturz Mohammad Mursis entmachtet worden sind. Die Hamas ist finanziell am Ende und hat seit April ihren 40.000 Kämpfern und Bediensteten keine Gehälter mehr ausgezahlt.

Was kann also ihr Antrieb sein, ausgerechnet jetzt das militärisch viel mächtigere Israel in einen Krieg zu ziehen. Die Hamas weiß aus früherer Erfahrung, dass Israel ihrer Infrastruktur wie Raketenstellungen, Munitionsbunkern und Trainingslagern erheblichen Schaden beifügen könnte. Besonders schmerzhaft ist auch die gezielte Tötung hochrangiger Hamaskämpfer und Aktivisten. Vielleicht will die Hamas Israel zu einer Bodenoffensive provozieren. Dann wäre ihr internationale Solidarität sicher, dank der Opfer und der zu erwartenden Bilder der Zerstörung. Ebenso wären israelische Panzer ein leichtes Ziel für moderne Panzerfäuste. Häuserkampf hätte in den engen Gassen der Flüchtlingslager oder der Stadt Gaza eine verheerende Wirkung auf das Ansehen Israels in der Welt, weil zivile Opfer kaum zu vermeiden wären.

Manche rechtsgerichtete Israelis wie Außenminister Avigdor Lieberman drängen auf eine Invasion, wollen mit der Faust auf den Tisch schlagen und den Gazastreifen „ein für alle Male“ von Terroristen „säubern“.

Das klingt verlockend für jene Israelis, die allein am Dienstag bis Mittag 60 Raketenattacken erlebt haben. Doch ausgerechnet Premierminister Benjamin Netanjahu und die Militärspitzen zögern. Ein Einmarsch wäre für alle Seiten sehr verlustreich. Das könnte die Hamas und noch radikalere Gruppen verführen, Raketen auf Tel Aviv oder Jerusalem zu zielen. Netanjahu hat bisher keinen einzigen Krieg geführt hat. Im November 2012 hatte er mit Säbelrasseln und ägyptischer Vermittlung einen Krieg verhindert. Netanjahu scheint wenig interessiert, die Hamas im Gazastreifen zu schwächen oder abzusetzen. Denn ein Vakuum gibt es nicht. Die Autonomiebehörde und die Fatah-Partei wären kaum fähig, die Hamas zu ersetzen. Das wäre eine Chance für noch radikalere Gruppen wie Islamischer Dschihad oder gar ISIS, den Küstenstreifen zu übernehmen. Trotz aller Feindseligkeit haben sich Israel und Hamas immer wieder mit „Waffenruhen“ irgendwie arrangiert.

Professor Motti Kedar, rechtsgerichtet und als „Scharfmacher“ bekannt, warnte vor einer Bodenoffensive: „Das ist genau die Falle, in die uns Hamas locken will.“ Israel sollte mit Luftangriffen den Preis für den Raketenbeschuss so hoch treiben, dass es für die Raketenschützen „zu teuer“ komme. Israel könnte den Strom, das Wasser und den Transfer von Nahrungsmitteln stoppen, bis der Raketenbeschuss endet, meinte Kedar.

Klar ist im Augenblick nur, dass Israel auf Dauer den Raketenhagel nicht akzeptieren kann, während die Motive der Hamas, die Lage aufzuheizen, unklar bleiben. Alex Fischmann, Kommentator in der Zeitung Jedijot Achronot, unterstellte gar: „Die Hamas agiert wie ein potentieller Selbstmörder, der mit Gewalt Israel in eine bewaffnete Konfrontation ziehen will.“

 

 


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