ULRICH W. SAHM – Durchhalteparolen und Trauer

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Ulrich W. Sahm

Jerusalem, 24. Juli 2014 – „Wir sind stark.“ Neben der Balkenüberschrift des israelischen Massenblattes „Jedijot Achronot“ ein Bild des drusischen Generals Rassan Alajan aus dem Dorfes Schfaram in Galiläa. Sein Gesicht ist von Verletzungen gezeichnet. Alajan war bei Kämpfen in Gaza verwundet worden, lag im Krankenhaus und kehrte wieder zu seiner Brigade der Golani-Truppen zurück.

Über dieser Durchhalteparole eines „Helden“, der von Arabern beschimpft worden ist, weil er gegen den „palästinensischen Widerstand“ kämpft, sind Fotos von acht lächelnden jungen Männern abgebildet. Darüber steht: „Namen von acht gefallenen Soldaten freigegeben“.

Das Massenblatt spiegelt so die Stimmung in Israel. Andere Zeitungen und die elektronischen Medien könnten genauso als Vorlage dienen, wie die Mittwochsausgabe von „Jedijot“. Auf der Frontseite empfiehlt Nachum Barnea in einem Kommentar der israelischen Regierung, innerhalb weniger Tage die Operation „Beständige Klippe“ zu beenden und alle Truppen aus Gaza abzuziehen. Sollte Hamas weiter Raketen abschießen, könnte Israel eine neue Operation starten und mit aller Gewalt in Gaza einmarschieren. Laut Barnea könnte so Israel die Initiative ergreifen. Hamas hat bisher alle fünf ausgerufenen Waffenruhen ausgeschlagen und mit Raketensalven gebrochen. Barneas Idee klingt wenig überzeugend.

Auf Seite 2 zeigt eine Landkarte jene Orte im Gazastreifen, wo Israel angreift. Darunter statistische Angaben zu israelischen Toten, die Zahl angegriffener Stellungen und getöteter Hamaskämpfer, sowie der von Hamas abgeschossenen Raketen. Kein Wort zu palästinensischen Opfern.

Seite 3 ist dem „Verschlossenen Himmel“ gewidmet. Internationale Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Israel eingestellt, weil eine nicht-abgefangene Rakete der Hamas 2 Kilometer vom Ben Gurion Flughafen entfernt, in Jehud, ein Haus zerstört hat. Opfer gab es keine. Dem Beispiel amerikanischer Fluggesellschaften folgten Lufthansa, Austrian, Swiss, KLM, Turkish, Air France, Alitalia, Korean Air, Air Berlin und andere. Tausende Touristen bleiben in Israel gestrandet. Ein „globaler Stau“ entsteht für Israelis in aller Welt. Allein EL AL und British Airways fliegen noch nach Tel Aviv. Doch die können den Ansturm verzweifelter Fluggäste kaum bewältigen.

Die Seiten 6 und 7 sind dem vermissten und vermutlich gefallenen Soldaten Oron Schaul gewidmet. Hamas behauptet, Schaul zu halten. In Ramallah und Gaza wurde das mit Jubel als „Sieg“ gefeiert. Für jede Information über sein Schicksal müsse Israel einen „hohen Preis“ zahlen. Seite 8 ist unter einem Bild von Premierminister Netanjahu mit UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon der Diplomatie gewidmet. „Gebt Gas“ lautete der Titel. Die Armee solle sich beeilen, vor einem Waffenstillstand so viele Ziele wie möglich zu zerstören. Danach hätten Israel und Hamas alle denkbaren Kriegsziele erreicht. Alle diplomatischen Bemühungen um eine Waffenruhe stecken in der Sackgasse.

Auf Seite 9 hat EL AL eine Anzeige mit patriotischem Zeitgeist geschaltet: „Wir werden immer bei Euch sein, auf der ganzen Strecke“ und „Wir haben kein anderes Land“. Verschwiegen wird, was vielen Israelis sauer aufgestoßen ist, wie es im Radio formuliert worden ist: EL AL nutzt das kriegsbedingte Monopol mit drastisch erhöhten Flugpreisen.

Auf Seite 10 werden die Terrortunnel der Hamas, der Raketenbeschuss und der Boykott Israels durch ausländische Fluggesellschaften als „strategische Gefahr“ kommentiert. Aus Geheimdienstkreisen werden da Zahlen geliefert, die von Zahlen anderswo abweichen: Von 9.000 Raketen im Besitz der Hamas seien 3.500 am Boden zerstört und 2.150 auf Israel abgeschossen worden. Von 350 Raketen mit Reichweite nach Tel Aviv befänden sich noch 150 im Hamas-Arsenal. Bei durchschnittlich 5 solcher Raketen pro Tag, reiche das noch für einen Monat.

Auf Seite 12 wird die Gerüchteküche thematisiert. Über soziale Netzwerke werden aus Boshaftigkeit die Namen vermeintlich gefallener Soldaten verbreitet. Familienangehörige geraten in Panik. Unter den verhafteten Tätern seien Sanitäter und fromme Soldaten.

Die Seiten 16 bis 25 sind gefallenen Soldaten und deren Begräbnissen gewidmet, illustriert mit großformatigen Bildern weinender Kinder und Frauen. Dazwischen das Tagebuch des „Engels der Verletzten von Sajaije“, einem Sanitäter, der die Verwundeten in dem umkämpften Vorort von Gaza versorgt. Auf der TV-Seite 28 behauptet die Schauspielerin Orna Banai, „Ich bin falsch verstanden worden.“ Sie hatte Israels Einmarsch kritisiert und ist heftig beschimpft worden. Darunter ein Artikel zu Pizza- und Gebäckspenden für die kämpfenden Truppen. Ebenso wird erklärt, wie man sich als „Ringtone“ die Hymne der Golani Brigade auf das Handy runterladen kann.

Nach ein paar Seiten Reklame und Todesanzeigen zeigt eine Karikatur, wie Schüler im Gazastreifen neben abschussbereiten Raketen sitzen und von einem bewaffneten Hamaskämpfer unterrichtet werden. Gemeint sind zwei UNO-Schulen, in denen die Hamas Raketen versteckt hatte. Das hatte UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon in große Verlegenheit gebracht.

Auf Seite 34 unter einem Bild mit Explosion und Rauchwolken in Gaza ein Artikel über palästinensische Opfer. Beschrieben werden Eltern und ihre zwei Kinder, die nach Israel evakuiert worden sind und jetzt „glücklich sind, in einem israelischen Hospital zu liegen“.

Zum Abschluss, auf der letzten Seite, meist „Bunten Themen“ gewidmet, steht ein Bild mit Präsident Schimon Peres zwischen Umzugskartons vor leergeräumten Bücherregalen. Ein Offizier erklärt dem 90-Jährigen anhand einer auf Kisten ausgebreiteten Landkarte den Gazakrieg. In normalen Zeiten hätte dieses Bild auf der Titelseite gestanden. Denn es symbolisiert den letzten Arbeitstag des legendären Staatspräsidenten. Mit dessen Abschied aus dem Amt am Donnerstag und der Vereidigung von Reuven Rivlin als neuer Präsident geht in Israel eine historische Ära zuende.

In der Beilage und im Wirtschaftsteil geht es mit kriegsrelevanten Themen ähnlich weiter. Nur der Sportteil ist weitgehend frei von „aktuellen Ereignissen“. Was sonst in der Welt passiert, erfährt der israelische Zeitungsleser derzeit nicht.

 

 


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