ULRICH W. SAHM – Kopflose Hamas

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Ulrich W. SahmJerusalem, 21. August 2014 – Von der großen Ankündigung der Hamas-Organisation, am Donnerstag den Ben Gurion Flughafen bei Tel Aviv anzugreifen, um Israel von der Welt abzuschneiden, ist nicht viel übrig geblieben. In der Nacht zum Donnerstag, gegen 2:30 Uhr, trafen israelische Bomben ein Haus in Rafah im Süden des Gazastreifens, wo sich drei Befehlshaber des militärischen Arms der Hamas zu einer Beratung eingefunden hatten: Mohammed Abu Shamaleh, Raed Attar und Mohammed Barhoum.

Jeder von ihnen hatte in der Vergangenheit sensationelle Anschläge in Israel oder gegen israelisches Militär in dem bis 2005 besetzten Gazastreifen durchgeführt. Seit 20 Jahren stehen sie auf der israelischen Liste der meistgesuchten „Terroristen“.

Der israelische „Volltreffer“ hat die Hamas politisch wie militärisch schwer geschlagen und verwirrt, behaupten israelische Experten und ehemalige Geheimdienstleute. „Natürlich wird Ersatz für diese Männer gefunden werden, aber auf einen Schlag drei von sechs hochrangigen Befehlshabern zu verlieren, macht die Kämpfer zunächst führungslos.“

Wie in israelischen Medien berichtet, hätten die Israelis von dem geplanten Treffen „Wind bekommen“. Zvi Jecheskely, Reporter von Kanal 10 beschreibt: „In der Zentrale des Geheimdienstes gibt es einen Raum mit drei separaten Abteilungen. In einer sitzen die Elektroniker. Die empfangen alle denkbaren Signale aus der beobachteten Region im Gazastreifen, darunter abgehörte Telefongespräche. In der zweiten Abteilung sitzen die Verantwortlichen für menschliche Spionage. Sie führen Gespräche mit Informanten vor Ort. In der dritten Abteilung laufen beim stellvertretenden Geheimdienstchef R. die Fäden zusammen. Sowie er aus mehreren Quellen übereinstimmende Bestätigungen für Ort, Zeitpunkt und Namen der Teilnehmer an dem Treffen erhalten hatte, informierte er telefonisch Premierminister und Verteidigungsminister.“ Die „gezielten Tötungen“, früher auch „außergerichtliche Hinrichtungen“ genannt, müssen vom obersten Verantwortlichen des Geheimdienstes genehmigt werden. Das ist Premierminister Benjamin Netanjahu. Nach kurzer nächtlicher Beratung mit seinem Verteidigungsminister Mosche (Bougi) Jaalon wurde die Luftwaffe angewiesen, sich umgehend auf den Schlag vorzubereiten und die passenden Bomben auszuwählen.

Ein namentlich nicht genannter israelischer Sicherheitsoffizier erklärte laut israelischen Medien, dass dem „erfolgreichen Schlag“ eine lange und mühselige Aufklärungsarbeit vorausgegangen sei. Am Ende seien „mehrere Bomben mit einem Gewicht von zwei bis drei Tonnen“ auf das Haus abgeworfen worden, „um sicher zu gehen, dass wirklich alle Anwesenden getötet würden“.

In Israel fragt man sich, was mit der Hamas passiert sei. Die politischen Spitzen wie auch die militärischen Befehlshaber waren untergetaucht. Sie hielten sich irgendwo unterirdisch versteckt und hatten alle elektronischen Geräte ausgeschaltet, um nicht geortet werden zu können. Das erklärt auch das auffällige Schweigen politischer Führer wie Ismail Hanije. Während des ganzen Krieges blieben sie „unerreichbar“. Das könnte auch die Verletzungen der in Kairo beschlossenen Feuerpausen erklären. Wegen unterbrochener Kommunikationswegen konnten sie nicht bis zur letzten Kämpfergruppe durchgegeben werden.

Möglicherweise seien die getöteten Befehlshaber „unvorsichtig“ geworden, nachdem der militärische Oberbefehlshaber Muhammed Deif verschwunden ist. Josef Kuperwasser vom israelischen Ministerium für strategische Angelegenheiten sagte: „Fehler sind menschlich und auch die Hamas-Leute sind nur Menschen.“

Auffällig ist nach israelischen Angaben, dass weder Präsident Abbas noch die Ägypter die gezielte Tötung dieser Hamas-Befehlshaber verurteilt hätten. Die Ägypter hätten geschwiegen, weil im Sinai vier geköpfte Männer gefunden worden seien. „Islamisten“ aus dem Gazastreifen stünden hinter der Tat.

Zwar hat das Schifa-Hospital Deifs Namen auf Totenlisten veröffentlicht, aber die Hamas dementiert weiterhin den Tod, ohne den Beweis für sein Überleben zu liefern. Auch Israels Premierminister schwieg zu der Frage, ob Deif, das „Phantom von Gaza“, bei dem Angriff auf das Haus in Scheich Redschwan mit bunkerbrechenden Bomben ums Leben gekommen sei. Bestätigt ist inzwischen nur, dass seine Frau sowie seine Tochter und ein Sohn tot aus den Trümmern geborgen worden seien. Journalisten dürfen sich dem zerstörten Haus nicht nähern, was das Mysterium um den Tod Deifs und den Eindruck von Verwirrung bei der Hamas zusätzlich verstärkt.

Am Donnerstag Abend lieferte Israels Kanal 10 einen Hinweis, wie Deif in dem Al-Doulu Haus entdeckt und dann von israelischen Bomben getroffen worden sei. Deif galt als Meister der Vorsicht und der Verkleidungen. Er hat schon fünf gescheiterte israelische Attentatsversuche teils schwer verletzt überlebt. Mit Berufung auf Geheimdienstquellen hieß es, dass ausgerechnet der Auslandschef der Hamas, Khaled Maschal, versucht habe, von Doha in Qatar aus mit Deif zu sprechen. Maschal wünschte eine Einschätzung der militärischen Lage, weil sich der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas schon auf dem Weg nach Qatar  befand und beschlossen werden musste, welche Position die gemeinschaftliche palästinensische Delegation bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo einnehmen sollte.

Falls dieses Detail stimmen sollte, dürfte dem extrem vorsichtigen Deif nach Jahren ein fataler Fehler unterlaufen sein. Denn im dem Augenblick, wo er das Telefongespräch aus Qatar angenommen hat, konnte er von den Israelis exakt geortet werden.

In Deutschland hätte das Abhören der Telefongespräche von Maschal und Spitzen der Hamas durch den israelischen Geheimdienst große Schlagzeilen gemacht. Doch in Nahost hat niemand diese wohl fast selbstverständliche „Nebensache“ auch nur angemerkt. Denn hier geht es, im wahrsten Sinne des Wortes, um Leben und Tod.

 


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