Rede von Deidre Berger, der Direktorin des American Jewish Committee (AJC) in Berlin auf der Kundgebung „Nie Wieder Judenhass“ am 31.08.2014 in Frankfurt am Main (German and English!)

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DEUTSCHER TEXT GEFOLGT VON ENGLISCHER ÜBERSETZUNG – GERMAN TEXT FOLLOWED BY ENGLISH TRANSLATION!

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Foto: Rafael Herlich

Sehr geehrter Herr Dr. Graumann,
Sehr geehrte Botschafter Hadas-Handelsman,
Sehr geehrter Oberbürgermeister Feldmann,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich sehr über die breite Beteiligung an der heutigen Kundgebung: Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Kirchenvertreter, muslimische Gemeindevertreter, Gewerkschafter, Vertreter aller politischen Parteien, Freunde und Unterstützer Israels.

Heute stehen wir vereint zusammen!

Einen besonderen Gruß möchte ich heute an die kurdisch-israelische Freundschaftsgruppe richten. Ich möchte Ihnen versichern, dass unser aller Gedanken dieser Tage bei Ihnen sind.

Wir schauen nicht weg, wenn Kurden, Yeziden, Christen und weitere Minderheiten im Irak und Syrien verfolgt, vertrieben und ermordet werden.

Wir schauen nicht weg, wenn sich Antisemitismus und Hass Bahn bricht. Und genau das ist in den letzten Wochen und Monaten passiert. Ob in Frankfurt, Berlin oder Essen, ob in London, Paris oder Brüssel: Antisemitische Parolen wurden skandiert, Personen angegriffen und Synagogen attackiert.

Das Ergebnis der Proteste in den letzten Wochen und Monaten ist schon jetzt sichtbar. Die Sorge vor Übergriffen wächst, Sicherheitsmaßnahmen wurden erhöht und schon jetzt ist jüdisches Leben beeinträchtigt.

Das beschäftigt uns nicht nur hier in Frankfurt, sondern auch in Europa und sogar in USA, Kanada, Latein Amerika, Australien. Deswegen haben diese antisemitischen Vorfälle in letzter Zeit die amerikanische Öffentlichkeit, Medien, Kongress und Regierung zunehmend beschäftigt.

Für mich als Amerikanerin ist klar: Unsere gemeinsamen transatlantischen Werte lassen keinen Platz für Antisemitismus! Deswegen müssen wir gemeinsam die Herausforderung angehen. Antisemitismus hat besonders in Europa eine Normalität erreicht, die viele von uns nicht für möglich gehalten haben. Man muss an bestimmten Orten Sorge haben, sich öffentlich als Jude zu zeigen, man muss Sorge haben, sich öffentlich für Deutschlands Verbündeten Israel einzusetzen.

Wenn Europa nicht mehr die Sicherheit von Juden, die seit mehr als Zweitausend Jahren hier leben, gewährleisten kann, verliert Europa einen Teil seiner Identität. So kann das nicht weiter gehen.

Der offene Antisemitismus in den vergangenen Wochen und Monaten ist ein Weckruf!

Es muß einen Ruck durch Europa gehen, auf den wir aber bisher vergebens hoffen.

Jetzt steht Europa am Scheidepunkt: Was für ein Europa will es sein? Will es eine Gemeinschaft sein, in der die Minderheiten auf sich allein gestellt sind oder will es eine Gemeinschaft sein, in der alle Minderheiten in gleichem Umfang sicher leben können?

Wir sind heute hier, um deutlich zu machen, dass Europa den Schutz seiner Bürger ernster nehmen soll.

Trotz 14 Toten nach antisemitischen Anschlägen in Toulouse, Burgas und Brüssel in den letzten zwei Jahren blieb eine nennenswerte politische Reaktion bislang aus.

Warum gibt es keine Sondersitzung aller Innenminister, um Sicherheitsmaßnahmen und Strategien gemeinsam abzustimmen?

Warum gibt es keine Sondersitzung aller Bildungsminister, um Programme und Bildungspläne auf den Weg zu bringen?

Warum hat das europäische Parlament noch immer keine Arbeitsgruppe, keinen Beauftragten geschaffen und keinen Aktionsplan erarbeitet?

Auch in Deutschland gab es außer Erklärungen bislang keine nennenswerte politische Antwort auf den offenen Antisemitismus der letzten Wochen – weder im Parlament noch in den Ministerien. Trotz der Empörung hierüber in den letzten Wochen ist bislang kein Cent mehr für Programme gegen Antisemitismus geplant. Dabei mangelt es nicht an Ideen.

Seit 3 Jahren liegen die Empfehlungen einer vom Parlament beauftragten Expertenkommission unberührt in den Schubladen. Wir haben drei wichtige Jahre verloren, in denen kaum Forschung betrieben ist, in denen kaum Programme finanziert wurden. Drei wichtige Jahre, in denen viele NGOs ihre hauptamtlichen Kräfte entlassen mussten, statt wichtige Expertise und Erkenntnisse in der Arbeit in Schulen, Polizeibehörden und Sportvereinen zu gewinnen, die wir jetzt so dringend brauchen.

Auch wegen der rapiden Ausweitung von Salafismus, auch durch europäische Jihadisten,  die aus  Syrien und Irak nach Europa zurückkommen, gibt es in den muslimischen Gemeinschaften in Europa ein grösseres Problem mit Antisemitismus. Sie sind ebenfalls europäische Bürger und es braucht neue Antworten, wie damit umgegangen werden kann. Auch rechts, links und in der Mitte gibt es neue Facetten von Antisemitismus – ja, unter anderem, obsessive Israelkritik – die viel zu unerforscht sind, um ihnen wirksam entgegen zu treten. Um so wichtiger ist es, dass Deutschland, Israel’s engster Bündnispartner in Europa, keine Dämonisierung und Delegitimierung Israels dulden darf. Antisemitismus ist ein uralter Haß, der aber dringend neue Antworten erfordert, und das braucht Zeit, Geld, Erfahrung und politische Aufmerksamkeit.

Drei Jahre sind ungenutzt vergangen. Es darf kein weiteres Jahr, kein weiterer Monat, keine weitere Woche mehr verstreichen. Von Frankfurt soll heute das Signal der Zivilgesellschaft ausgehen, dass wir keinen Aufschub mehr dulden werden. Wir erwarten politische Konsequenzen!

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Frankfurterinnen und Frankfurter,
diese Kundgebung macht Mut. Dies ist bislang der größte Protest in Europa gegen die jüngste Welle des Antisemitismus. Frankfurt wird damit seinem Ruf gerecht, eine Stadt der Toleranz und des Miteinanders zu sein. Lassen Sie uns heute von Frankfurt aus ein Signal nach ganz Europa senden: Wenn wir gemeinsam in Frieden und Sicherheit leben wollen, dürfen Antisemitismus, Hass und Intoleranz keinen Platz in einem demokratischen Europa haben.

 


 

ENGLISH:

Speech by Deidre Berger, Director of the American Jewish Committee (AJC) in Berlin at theRally “No More Anti-Semitism” on August 31, 2014 in Frankfurt 

Dear Dr. Graumann,
Dear Ambassador Hadas-Handelsman,
Dear Mayor Feldmann,
Dear Friends,
Dear Ladies and Gentlemen,

I am delighted to see such broad participation in today’s rally, including members of the Jewish, Christian and Muslim communities, representatives of the political parties, friends and supporters of Israel.

Today we stand together!

I would like to give special thanks to the Kurdish-Israeli Friendship Association members who are here today – our thoughts are with you.

We do not look away when Kurds, Jesiden, Christians and other minorities in Iraq and Syria are persecuted, expelled and murdered.

Nor do not look away when anti-Semitism and hatred rear their ugly heads. And that is precisely what has happened in the last weeks and months. Whether in Frankfurt, Berlin or Essen, whether in London, Paris or Brussels, we have heard a torrent of anti-Semitic chanting, synagogues were attacked and there were even attacks against counter-demonstrators and bystanders.

We already see the results of the ongoing anti-Israel and anti-Semitic protests. There is greater anxiety about attacks in the Jewish community, security measures have been heightened and Jewish life has been curtailed. This is not just a matter for us in Frankfurt but everywhere in Europe, even in the U.S., Canada, Latin America, Australia. For this reason, the growing number of anti-Semitic incidents have been the subject of increased attention in the American public, the media, Congress and the government.

As an American, this is my response: Our common transatlantic values can leave no room for anti-Semitism!

Therefore, we need to meet the challenges together. Anti-Semitism, particularly in Europe, has reached a level of everyday normality that many of us did not expect to happen again.   There are concerns showing Jewish symbols in public in some places; there are concerns being public about demonstrating support for Israel.

If Europe can no longer guarantee the security of Jewish minorities that have lived here for more than 2000 years, Europe will lose part of its identity. This cannot continue. The flare-up of anti-Semitism in the past weeks and months is a wake-up call – but we are still waiting in vain for Europe to jolt to attention.

Europe is at a turning point: What kind of society does it want to be? Will it be a community in which minorities are responsible for their own fate or does it want to be a community in which all minorities can live safely and securely? We are gathered here today to call on Europe to deal more seriously with the protection of all its citizens.

Despite 14 deaths the past two years due to anti-Semitic attacks in Toulouse, Burgas and Brussels, there has been no perceptible political reaction.

Why has there been no special meeting of all interior ministers to coordinate security measures and strategies?

Why has there been no special meeting of all education ministers to decide on new educational programs to fight anti-Semitism?

Why hasn’t the European Parliament set up a working group, a special commissioner and an action plan against anti-Semitism?

In Germany as well, beyond statements, there has been little undertaken in parliament or in the government. There have been no special sessions or meetings. Despite the outrage of past weeks, not one cent more has been allocated for programs against anti-Semitism.

This is not due to a lack of ideas. For three years now, the recommendations of a governmental expert commission on anti-Semitism have been consigned untouched to the shelves. We have lost three valuable years in which there have been almost no funds for research or programs to fight anti-Semitism. Three critical years in which NGOs have been forced to lay off employees, instead of gathering further expertise and experience amongst law enforcement authorities and in schools, sports clubs and other key institutions.

There is a larger problem with anti-Semitism amongst Muslim communities in Europe, due as well to the spread of Salafism and the problem of returning European jihadists from Syria and Iraq. These are European citizens and we need new answers as to how to confront this dilemma. On the right, the left and in the heart of society there are new facets as well of anti-Semitism, yes, also obsessive Israel criticism, that are too little researched in order to counteract effectively. Anti-Semitism is an age-old hatred but it needs new answers – and that demands time, money, experience and political attention.Three years have been wasted. We cannot allow a further year, a further month, not even a further week to go by without taking action. A signal is going out from civil society in Frankfurt today that we will allow no further delays in responding to anti-Semitism – we expect political consequences!

Dear Friends, dear Frankfurt residents,
The rally today is most encouraging. It is the largest protest to date in Europe against the most recent wave of anti-Semitism. Frankfurt is demonstrating its well-deserved reputation as a city of tolerance and co-existence. Here in Frankfurt today, we are sending a message to Europe: Peace and security in a democratic Europe is possible only when we stamp out anti-Semitism, hate and intolerance.

 

 

 

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