ULRICH W. SAHM – Politischer Kriegsprotest oder Nestbeschmutzer

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IMG_0038.JPG (2)Jerusalem, 14. September 2014  – Wie nach jedem Krieg, an dem Israel, beteiligt ist, meldet sich eine winzige politisch motivierte Gruppe von Elitesoldaten, Schülern oder Piloten, um gegen die Politik ihrer Regierung zu protestieren. Diesmal waren es 43 Reservisten der „Einheit 8200“ des militärischen Geheimdienstes. Sie wollen künftig Einsätze gegen Palästinenser verweigern. Die elektronisch gesammelten Informationen schaden unschuldigen Menschen, da sie genutzt würden, um „Kollaborateure zu rekrutieren“. Der offene Brief war an dem Premierminister, den Verteidigungsminister, an den Chef des militärischen Geheimdienstes und an den Generalstabschef gerichtet. Aber er wurde erst an die Presse geben, so dass der Brief eher ein politisches Manifest ist und keine interne Kritik. Zudem blieben die Namen der Unterzeichner geheim, obgleich einige sich im Schutz der Anonymität interviewen ließen, darunter beim Armeerundfunk.

Die Reservisten beklagten die fortwährende Kontrolle über „Millionen Menschen“ mit einem „eingehenden und eindringenden Beobachten und einer Invasion in fast alle Aspekte des Lebens.“ All das ermögliche kein normales Leben, entfache mehr Gewalt und schiebe das Ende des Konflikts hinaus. Das Abhören diene der Unterdrückung der Menschen und nicht der Sicherheit Israels.

Wie politisch orientiert der Brief war, zeigen Elemente, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen. So wird darin behauptet, dass „Millionen“ Palästinenser seit 47 Jahren unter israelischer militärischer Gerichtsbarkeit lebten. Tatsache ist, dass Israel sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat, während über 90% der Palästinenser im Westjordanland in den autonomen Gebieten leben und dort palästinensischer Gerichtsbarkeit unterworfen sind. Dieses allein zeigt, dass der Brief der Reservisten wieder nur ein Versuch ist, die Besatzung und damit die Regierung zu kritisieren.

Die israelische Armee wies die Vorwürfe der Reservisten zurück. Der militärische Geheimdienst habe keine Kenntnis davon, dass es jemals zu solchen Verstößen gekommen sei. In der Ausbildung und im Einsatz werde großer Wert darauf gelegt, dass ethische Grundsätze und die entsprechenden Vorschriften eingehalten würden.

Die Tatsache, dass sich die Reservisten sofort an die Presse wandten, statt an die zuständigen Stellen, wecke Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Anschuldigungen.

Deshalb handle es sich um einen politischen Protest, und nicht um einen aufrichtigen Versuch, Missstände zu beheben. Zudem sieht der Militärsprecher in dem Akt einen Fall von Befehlsverweigerung, der nicht geduldet und geahndet werden müsse. Militärsprecher Brigadegeneral Motti Almoz kündigte an, dass die Armee eine Dienstverweigerung sehr ernst nehme und dass die disziplinarischen Massnahmen „scharf und klar“ würden. Almoz meinte weiter, dass hier der Militärdienst missbraucht worden sei, um einen politischen Standpunkt vorzustellen.

Vor allem in der Zeitung Haaretz, die sich klar gegen die Regierungspolitik positioniert, wurde der Brief der Reservisten sehr positiv aufgenommen. In ausländischen Medien wie im Spiegel wurden die Reservisten gar als „tapfer“ bezeichnet, obgleich ihnen keine harte Strafen, Haft, oder gar Hinrichtung drohen, wie bei ähnlichen Delikten in den arabischen Nachbarländern. Begrüßt wurde der Brief auch von Adnan Damiri, dem Sprecher der palästinensischen Sicherheitsdienste: „Wenn es unter den (8 Millionen) Israelis 43 Soldaten gibt, die den Gedanken an eine Unterdrückung verwerfen, dann sehen wir das als einen moralischen Akt.“

Rechtsgerichtete Israelis bezeichneten die Reservisten freilich als Landesverräter und Nestbeschmutzer. Und inzwischen meldeten sich über 200 andere Reservisten der gleichen „Einheit 8200“ mit einem weiteren Brief zu Wort. Sie fühlten sich „beschämt“ und drückten ihr „Bedauern, Abscheu und eine vollständige Zurückweisung des unglückseligen Briefes ihrer Kollegen“ aus. „Dienstverweigerung wegen politischer Ansichten hat keinen Platz in der israelischen Armee und schon gar nicht in der  Einheit 8200.“ Wenn es darum gehe, dem Land zu dienen, müssten politische Ansichten beiseitegelegt werden. Sowie ethische Dilemmas auftauchten, so die Reservisten, seien die von den Vorgesetzten in verantwortlicher Weise im Einklang mit dem Internationalen Recht und dem ethischen Code der israelischen Armee behandelt worden.

Proportionen wahren

Der Brief der 43 hat vor allem im Ausland große Schlagzeilen gemacht, wie ähnliche Briefe in früheren Fällen, ohne jedoch zu beachten, dass zehntausende Soldaten an dem Krieg beteiligt waren und dass laut Umfragen etwa 80% der Israelis hinter der Regierung und dem Militär standen, als das ganze Land bis Tel Aviv, Haifa und Jerusalem vom Raketenbeschuss aus Gaza betroffen war. In Israel ist Kritik an der Regierung und an der Besatzungspolitik fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses. Doch zu den Spielregeln dieser Demokratie gehört auch, dass Soldaten im Dienst keine Politik betreiben und das Militär aus dem heftig geführten politischen Diskurs aussparen. Klar ist auch, dass die offensichtlich sehr exakte und gute Spionagefähigkeit des militärischen Abschirmdienstes Israel befähigt hat, sehr zielgenau die Ziele im Gazastreifen zu treffen und so erheblich größeren Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern. Ein Beispiel ist das Anrufen und Verschicken von SMS Nachrichten an Palästinenser in Zielgebieten. So wurden die Bewohner geradezu persönlich gewarnt und konnten sich in Sicherheit bringen. Das allein war ein Verfahren, das wohl erstmals in der Militärgeschichte angewandt worden ist.

Allein der zweite Brief anderer Reservisten, die sich von ihren Kollegen distanzieren, zeigt, dass es sich hier weder um einen militärischen Putsch noch um einen erwähnenswerten Aufstand gegen die – von der Mehrheit der Bevölkerung – unterstützte Regierungspolitik handelt.

Und deshalb müssen gerade Berichte im Ausland zu diesem pikanten Thema in der richtigen Proportion gesehen werden, denn dort dienen die Stimmen von nur 43 Soldaten und Offizieren einer Eliteeinheit vor allem dazu, Israel zu diffamieren und zu entlegitimieren.

 

 


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