Ist eine demokratische Gesellschaft imstande zu handeln, bevor die Kalaschnikows im Namen Allahs gesprochen haben? Am 7.10. bestätigte das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (http://www.boersenblatt.net/artikel-vizekulturminister_schreibt_protestbrief.1033177.html ), was die iranische Nachrichtenagentur Fars News Agency schon zwei Tage zuvor gemeldet hatte: „Um zu verhindern, dass Schriftsteller Salman Rushdie am 13. Oktober als Gastredner bei der Auftakt-Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse spricht, hat der Iran mit einem Buchmesse-Boykott gedroht und andere muslimische Länder zur Unterstützung aufgerufen“. Die Messe-Veranstalter zeigen sich unbeeindruckt. Wer Rushdie einlädt, muss mit Derlei rechnen. Der Buchhandel und die Verlage werden hoffentlich weniger cool reagieren. Alles andere als eine geharnischte Protesterklärung wäre eine Versündigung wider den eigenen Berufsstand.
Für Salman Rushdie ist die Angelegenheit ziemlich unangenehm. Weitaus gefährlicher als das Fernbleiben einiger iranischer Verlage ist eine Drohung, die ihm persönlich gilt. Denn die Überschrift der Meldung von Fars News lautet: „Official: Imam Khomeini’s Fatwa on Rushdie Never Fades Out“ (http://english.farsnews.com/newstext.aspx?nn=13940713001194 ). Darunter kommt ein Bild des ehemaligen Großayatollahs mit Hinrichtungsblick. Es zeigt den Gründer der Islamischen Republik Iran vor der grün-weiß-roten Nationalfahne. Bildunterschrift: „Das iranische Kulturministerium hat bekräftigt, dass die von Imam Khomeini 1989 erlassene Fatwa, welche Muslime dazu auffordert, den Autor des blasphemischen Buchs ‚Die Satanischen Verse’, Salman Rushdie, zu töten, immer aktuell und gültig bleiben wird.“ Danach beginnt der Text der Meldung mit einem Zitat des stellvertretenden Kulturministers, Abbas Salehi: „Imam Khomeinis Fatwa ist ein religiöser Erlass, der niemals seine Kraft verlieren oder auslaufen wird.“ Das ist eine dreifach wiederholte Anstiftung zum Mord an dem Schriftsteller. Wenn Rechtsstaatlichkeit zu den europäischen Werten gehört, die aktuell in Jedermanns Munde sind, dann müssen Abbas Salehi und sein Vorgesetzter Ali Dschannati, Minister für Kultur und islamische Führung der Regierung Rohani, zur internationalen Fahndung ausgeschrieben werden.
Seit dem Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo müssen solche Drohungen ernst genommen werden. Rushdie wird dadurch, was seine persönlichen Lebensumstände betrifft, um 15 Jahre zurückversetzt. 1998 hatte die damalige Regierung in Teheran erklärt, Khomeinis Fatwa könne man nicht annullieren, weil sie nur von ihm selbst zurückgenommen werden könne, und er sei ja nun leider tot. Das konnte man als leichte Entschärfung lesen. Radikale schiitische Geistliche konterten diese vage Entwarnung dadurch, dass sie das Preisgeld für die Ermordung Rushdies von ursprünglich 1 Mio. auf über 3 Mio. Dollar hochsetzten1. Dennoch trat der Todesspruch gegen den Schriftsteller – Startschuss für eine ganze Kette ähnlicher Fatwas, zuletzt auch gegen Charlie Hebdo – allmählich in den Hintergrund. Rushdie, der sich jahrelang verstecken musste und nur unter Polizeischutz sein Haus verlassen konnte, begann sich etwas freier zu bewegen, wie er kürzlich in Interviews sagte. Es ist fraglich, ob er diesen relativen Freiraum angesichts der faktischen Reaktivierung der Fatwa behalten kann. In jedem Fall darf die deutsche Polizei keinen Aufwand scheuen, um die Sicherheit des Schriftstellers während seines Besuchs zu gewährleisten. Der Schutz von Charlie Hebdo war, wie man heute weiß, trotz bekannter Bedrohungslage nachlässig gehandhabt worden, ein Leichtsinn, den auch Pariser Polizisten mit dem Leben bezahlten. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen. Zusätzlich müssen während der Buchmesse – einem einzigartigen Forum für die Freiheit der Meinungsäußerung – auch jüdische Einrichtungen im Rhein-Main-Gebiet verstärkt gesichert werden, wie die Attentats-Kombinationen in Paris und Kopenhagen gezeigt haben.
In vielen Ländern haben die Medien sogleich über das Thema berichtet. Hierzulande gab es eine deutliche Zeitverzögerung. Leichte Ohnmachtsanfälle scheinen die Redaktionen heimgesucht zu haben. Das ist gut so. Der Versuch, die Buchmesse zu zensieren und einen Autor von Weltrang zu bedrohen, passt so gar nicht in das Bild, das man nach dem Zustandekommen des Wiener Atomabkommens vom Iran verbreitet hat. Die veröffentlichte Meinung schwärmte vom Wandel durch Handel, demokratischen Reformen, kultureller Öffnung, Stabilisierung im Nahen Osten, vom gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und natürlich von milliardenschweren Wirtschaftsexporten. Diese Erwartungen hat der Iran mit einer rasanten Serie reaktionärer Maßnahmen erschüttert. Nicht nur die Revolutionsgarden, von denen man ohnehin nichts anderes erwartet, waren dabei am Werk, nicht nur der greise und unverbesserliche „Supreme Leader“ Khamenei, sondern auch die angeblich moderate Regierung des Hoffnungsträgers Rohani. Jetzt soll es noch schneller gehen: der Iran drängt auf Tempo bei der Umsetzung des Wiener Abkommens. Er kann es nicht erwarten, an seine aufgrund der Sanktionen eingefrorenen Milliarden auf westlichen Konten heranzukommen. Damit fällt nämlich die letzte Hemmschwelle.
„Momendemal!“, pflegt man in solchen Situationen in Hessen zu sagen. Auf welchem Trip sind wir eigentlich? War es richtig, dem Iran Zugeständnisse zu machen, die ihn über kurz oder lang – eher bald! – in den Status einer Atommacht erheben? War es klug, dass deutsche Unternehmen in Teheran die Klinken putzten, noch bevor die Tinte auf den Vertragspapieren getrocknet war? War es passend, dass Gabriel iranische Regierungsmitglieder dabei als „alte Freunde“ ansprach? Wie lange soll das schädliche Treiben weitergehen, die einzigen Freunde, die Europa im Nahen Osten hat, nämlich die Israelis, als Störenfriede zu bezeichnen und in die Ecke zu drängen? War es eine gute Idee, dass Steinmeier seiner Kanzlerin empfahl, den Diktator Assad als Gesprächspartner bei der Lösung der Syrien-Krise zu nennen, auch hierbei wieder ganz den Wünschen Teherans folgend? Will Frau Merkel wirklich, wie vom Außenministerium angedacht, in den Iran reisen, um dort so etwas wie eine „historische Aussöhnung“ zu feiern? Und um zum Zensurthema zurückzukommen: Welchen Erkenntniswert besitzt eine höfliche Plauderei mit dem iranischen Kulturminister (http://www.welt.de/kultur/article146979400/Dieser-Mann-ist-der-oberste-Zensor-des-Iran.html ), in der Dschannati die Gelegenheit bekommt, seine Absage eines Konzertes mit dem Dirigenten Barenboim windelweich zu rechtfertigen? Wird „der Mann mit dem schelmischen Blick“ (Die Welt) die Drohung gegen Rushdie demnächst damit entschuldigen, es habe sich im Iran noch nicht herumgesprochen, dass der Schriftsteller den Atomdeal begrüßt hat? 2
Ein Komplettpaket von Fehlleistungen, das auf einen politischen Diskurs über die dahinter stehenden verhängnisvollen Konzepte wartet.
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1 Alle religiösen islamischen Autoritäten außerhalb des Iran haben Khomeinis Fatwa ausdrücklich abgelehnt und als illegal bezeichnet.
2 Die Welt veröffentlichte am 29.9. ein langes Interview mit Ali Dschannati. Der Chef der iranischen Zensurbehörde erlärt nun: „Wir dachten, es ist besser, das Konzert aufzuschieben, bis der Öffentlichkeit klar wird, dass Barenboim nicht hundertprozentig hinter dem israelischen Regime steht.“
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