Anrede,
ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen – ganz besonders heute!
Wir sind an den historischen Ort gekommen, um gemeinsam zu gedenken – der Opfer der „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 und des Holocaust, der damals, mit jenen Stunden unaufhaltsam begonnen hatte.
Verehrte Anwesende, für die einen ist Gedenken eine politische Pflicht, für andere eine moralische. Wieder andere hinterfragen die jährlichen Routinen kaum – sie gehören in unserem Land eben dazu.
Das jedoch, reicht nicht! Es reicht nicht, dass wir aus der Warte vermeintlicher Sicherheit und Stabilität zurückblicken auf schier unvorstellbare Zeiten der Gräuel und Schrecken, die Gtt sei Dank überwunden sind.
Was heißt überwunden? Heißt es, dass millionenfacher Massenmord heute undenkbar ist? Dass unsere Republik über „Er ist wieder da“ lacht und den Führer als Witzfigur verspottet?
Was genau glauben wir, überwunden zu haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, und wie stabil ist das, was wir errungen haben? Wie dick, wie warm ist die Decke der Zivilisation?
Ohne Wenn und Aber ist es der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise gelungen, auf den Ruinen eines in jeder Hinsicht zertrümmerten Landes – militärisch, moralisch, zivilisatorisch, ökonomisch – eine tragfähige, stabile freiheitliche Demokratie aufzubauen und zu etablieren, die weltweit ihresgleichen sucht.
Deutschland ist – zu Recht! – international geachtet, beliebt – ein verlässlicher, starker Partner der internationalen Staatengemeinschaft.
Darauf können und sollten wir stolz sein. Gerade an diesem Tag, an dem wir uns auch an den Mauerfall vor 26 Jahren erinnern. Und doch gibt es sie, die schwelenden Brände in den Zwischenräumen unseres Gemeinwesens. Und es gibt die Brandstifter, die mit ihrem Zündeln das altbekannte Feuer neu entfachen wollen.
Verehrte Anwesende, wir erleben bewegte Zeiten. Zu lange dachte man auch hierzulande, die geopolitischen Umwälzungen gingen an unserer Insel der Glückseligkeit vorüber. Als sei die Wirtschafts- und Finanzkrise die größte Bedrohung für unser stabiles europäisches Haus.
Entrüstet und entsetzt nahmen wir die IS-Videos zur Kenntnis, die desaströsen Entwicklungen in der arabischen Welt, in der sich ein antihumanistischer Unstaat bilden konnte, der dank modernster Methoden die Menschen mit bitterster Barbarei und grausamsten Gräueln überzieht.
Aber das war weit weg – räumlich und kognitiv. Ebenso wie die Hunderttausende unschuldiger Opfer, die der Bürgerkrieg in Syrien bereits gekostet hat – vor unseren Augen.
Allein in den letzten fünf Jahren hat es 15 zusätzliche Konflikte gegeben, 8 in Afrika, 3 im Nahen Osten, 3 in Asien und in Europa der Ukrainekonflikt. Mehr als 60 Millionen von Menschen – mehr als je zuvor – befinden sich auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Hunger und Verfolgung.
Dachte man noch vor einigen Jahren, die wesentlichen Herausforderungen unserer Zeit gemeistert und die zentralen Krisen bewältigt zu haben, sieht man sich mit dieser Annahme getäuscht. Im Jahr 1992 befand der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in seinem Buch „Das Ende der Geschichte“, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs das Ende der Phase totalitärer Systeme markiere und nun der Weg für die liberale Demokratie frei sei. – Auch er täuschte sich. Angesichts der globalen Instabilität sagte er vor kurzem: Die Freiheit sei heute so gefährdet wie nie.
Und das, verehrte Anwesende, täuschen wir uns auch da nicht, gilt im Großen wie im Kleinen.
Auch unser Land, steht vor einer historischen Herausforderung. Ich bin überzeugt, dass wir in wenigen Jahren auf das Jahr 2015 zurückblicken – das Jahr 70 nach Deutschlands Befreiung, das Jahr 50 deutsch-israelischer Diplomatie und das Jahr 25 Deutscher Einheit – und wir werden sagen: In diesem Jahr, und nehmen wir 2016 noch dazu, wurden die entscheidenden Weichen der deutschen Zukunft gestellt.
Darin bin ich mir sicher, verehrte Anwesende. Was ich hingegen nicht weiß, ist wie die Zukunft, von der aus wir zurück blicken, aussehen wird. – Aber ich habe einen Wusch. Er lautet: Unser Land darf sich nicht verändern! Wir dürfen keinen Millimeter von unseren Werten, unseren Vorstellungen für unser Land abweichen – das fordere ich in aller Deutlichkeit – heute, am Jahrestag der „Reichskristallnacht“, die das Tor zu Auschwitz aufschlug.
Es gibt eine Linie zwischen Hitlerputsch und Holocaust. Aus diesem Grund ist auch die Feldherrnhalle – wenngleich das nicht jeder so sieht – unmissverständlich symbolisch belegt.
Sie steht in diesem Sinne unmissverständlich für den Kampf gegen die Demokratie.
1923 hatte Hitler regelrecht eine Bürgerkriegsarmee mobilisiert, die nur darauf wartete, loszuschlagen. Den buchstäblichen Startschuss zu seiner „nationalen Revolution“ gab er selbst am 8. November im Bürgerbräukeller.
Am 9. November folgte sein Marsch auf die Feldherrnhalle und die Niederschlagung seines Putschversuchs. – Damals lachte man über die ebenso dramatische wie dilettantische Inszenierung, das kläglich Scheitern der Putschisten und verkannte völlig, die Bedrohung. Der Kampf gegen die Demokratie war in vollem Gange, und die Demokraten lehnten sich leichtfertig zurück.
Im Gefängnis schrieb Hitler ein viel – zu viel – beachtetes antisemitisches Pamphlet, in dem er seine Ideologie und seine weltumspannenden Machtphantasien und -optionen detailliert beschrieb und seine mörderischen Absichten ankündigte. Schon kommendes Jahr könnte dieses Machwerk des Hasses erneut zum Bestseller werden. – Ausgerechnet jetzt. Ist das nicht eine seltsame Ironie der Geschichte.
Soll das Ausdruck unserer modernen Liberalität, unserer pluralistischen Gesellschaft und unserer multikulturellen Meinungsvielfalt sein, dass es hierzulande Deutschbücher für den Integrationsunterricht für Flüchtlinge gibt, in dem unter dem Punkt „Religionen in Deutschland“ das Judentum nicht aufgeführt wird, dass man aber bald im Buchladen „Mein Kampf“ erwerben könnte?!
Ausgerechnet jetzt, da wir hierzulande Zeugen einer ungeahnten Radikalisierung werden?
Hunderttausende Flüchtlinge kommen in Not und Angst zu uns – auf der Suche nach einer neuen, einer sicheren Heimat. Das hat eine wegweisende Phase der deutschen Geschichte eingeläutet. Zunächst schien es, als seien wir überraschend stark. Das Land, das im 20. Jahrhundert für die schrecklichsten Kapitel der Menschheitsgeschichte verantwortlich zeichnete, war plötzlich zu Recht ein Synonym für Hoffnung und Schutz.
Und heute? Wer angesichts der Willkomens-Euphoriewelle an ein Sommermärchen glaubte, verfing in Wunschdenken. Längst zeigt sich das ganze Ausmaß der Aufgabe, vor der unser Land – wir alle also! – stehen.
Wir müssen wehrhaft für unsere freiheitlich-demokratischen Überzeugungen und für die Bewahrung unserer tradierten Werte einstehen und kämpfen – und zwar gleich an zwei Fronten.
Erstens müssen wir von den Geflüchteten die Bereitschaft und den aktiven Willen fordern, sich in unsere Werteordnung zu integrieren. Wer in unserem Land leben möchte, muss sich unbedingt zu den Fundamenten unserer Verfassung bekennen. Das sind vor allem die Grundrechte, auch Religionsfreiheit und Gleichberechtigung, unsere Rechtsstaatlichkeit, in der die Scharia keinen Platz hat, die strikte Trennung von Staat und Religion sowie natürlich die Ächtung jeder Form von Antisemitismus und das klare Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Judenhass ist in vielen Heimatländern der Geflüchteten selbstverständlicher Teil der Sozialisierung.
Im vergangenen Jahr hat Deutschland vor dem Hintergrund der Gaza-Krise eine neue Dimension von antisemitischer verbaler und tatsächlicher Gewalt erlebt. Für uns jüdische Menschen waren es die schlimmsten und kummervollsten Wochen seit 1945.
An dieser Stelle muss ich auf die aktuelle Reihe „Palästina/Israel – Herbst 2015“ im Gasteig eingehen. Bundesweit berühmt-berüchtigte Israel-Hasser erhalten in städtischen Räumen eine Plattform für ihre perfide, verlogene antisemitische Propaganda – und das gezielt rund um den 9. November. Eine schreckliche Provokation.
Ein weiterer Beleg dafür, wie sehr Stimmungsmache gegen Israel inzwischen Mainstream ist. Leider auch und gerade im linken politischen Spektrum, wo der Antizionismus seit jeher spukt. Dass die Grenze zwischen legitimer Kritik und lupenreinem Antisemitismus mutwillig überschritten wird, will freilich niemand merken oder gar glauben. Vielleicht ein Grund, warum man viel zu großzügig auf den muslimischem Antisemitismus reagiert. – Auch vermisse ich die deutliche Kritik an den muslimischen Verbänden, die seit Jahrzehnten halbherzig gegen die Radikalisierung in den eigenen Reihen vorgehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die von Multikulti-Romantik fehlgeleitete Integrationspolitik vergangener Jahre verdient ihren Namen nicht und führte dazu, dass sich Parallelkulturen und -wertesysteme etabliert haben. Ein Weiter so in der jetzigen Situation wäre verheerend für die Zukunft. Neue Infrastrukturen, Konzepte und Materialien in der Kinder, Jugend und Erwachsenenbildung sind überfällig.
Es reicht nicht, das Grundgesetz zu verteilen, sei es auf Deutsch oder auf Arabisch. Wir müssen fordern, dass diese Werte auch gelebt werden. Dass sie bedingend sind für den Aufenthalt und das Leben in unserem Land – mit uns. Respektlosigkeiten gegenüber Frauen, Christen- und Judenfeindlichkeit, Drohungen gegenüber Minderheiten und ähnliche Phänomene, die auch in Flüchtlingsunterkünften vorkommen, sind unvereinbar mit unserer Kultur und müssen kompromisslos geahndet und geächtet werden.
Das bedeutet: Hinhören, hinsehen, nicht zögern, keine Toleranz bei Intoleranz.
Allerdings, verehrte Anwesende, muss dies selbstverständlich für jeden in unserem Land gelten. – Denn die zweite Front, an der wir für unsere Prinzipien eintreten müssen, verläuft mitten durch unser Land.
Die aktuelle Situation zeigt Brüche auf, die immer wieder zu ahnen waren, aber nie ernst genommen wurden. Bis zuletzt wurde gegen die radikale Rechte nicht so entschlossen vorgegangen, wie es nötig und zu erwarten gewesen wäre. Zu lange spürten die Feinde unserer Demokratie eben nicht die volle Härte des Staates.
Müßig der Hinweis, dass zu einer effektiven Strategie gegen Rechtsextremismus das Verbot der NPD gehört hätte. Bis heute stehen nicht alle Verfassungsorgane hinter dem Antrag – ein Armutszeugnis für wehrhafte Demokraten.
Inzwischen haben sich neue Parteien wie „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ formiert und gerieren sich immer militanter. Nachdrücklich fordere ich ihr Verbot. Nationalsozialistisches Gedankengut darf nicht Teil des politischen Spektrums sein und den Schutz des Parteiengesetzes genießen.
Ich danke der Bayerischen Staatsregierung und Innenminister Herrmann für das entschlossene Vorgehen gegen den Rechtsextremismus. Das nun bestätigte Verbot des „Freien Netz Süd“ und die Aufdeckung der Terrorzelle in Bamberg sind wichtige Erfolge und zeigen bundesweit den Weg auf.
Die Zerschlagung der rechtsextremen Strukturen, der Kameradschaften und neonazistischen Gruppierungen ist eine vordringliche Aufgabe für den Schutz des Staates und die Sicherung der Zukunft unseres Landes.
Immer mehr rechte Gruppierungen greifen zu Gewalt. Die Stimmung ist aufgeheizt. Übergriffe mit rechtsextremem Hintergrund steigen von Woche zu Woche.
Die Kulisse dafür liefern Pegida und Co. – Auch zur Stunde marschieren sie – an diesem 9. November – bundesweit. Auch in München. Das ist mir unbegreiflich. Seit Wochen besetzen die braunen Brandstifter sensible historische Orte, um widerliche Thesen zu proklamieren. Der Gipfel der Unerträglichkeit waren die Erstürmung der Feldherrnhalle durch Neonazis in einschlägiger Pose und die höhnische Kranzniederlegung am Platz der Opfer des Nationalsozialismus.
Verehrte Anwesende,
als wäre es gestern gewesen, haben sich die Erinnerungen des 9. November 1938 in meiner Seele eingebrannt – sehe ich um mich herum die Bilder meiner verlorenen Heimat, in der die Synagoge brennt und geliebte Menschen aus ihren Wohnungen gezerrt, geschlagen und getreten werden. Diese Bilder, diese Angst der jüdischen Menschen kann ich nicht vergessen. Deswegen kann ich nicht verstehen und ich will es nicht hinnehmen, dass den heutigen Anfängen, die unübersehbar sind, nicht gewehrt wird.
Verehrte Anwesende,
bundesweit haben rechtsextreme Populisten einen immer größeren Resonanzboden. Breite Teile der Bevölkerung tragen die menschenfeindlichen Vorurteile mit. Tausende sind inzwischen auf den Straßen unserer Republik unterwegs. Mag sein, dass darunter auch einige naive „besorgte“ Bürger sind, die immer noch nicht wissen, wem sie da folgen. Doch die Mehrheit weiß es ganz genau und billigt – ja propagiert – die Thesen der Radikalen.
Rechte, deren Demonstrationsrecht durch die Polizei sichergestellt werden muss, weil Kommunen resignieren oder die Verwaltungsgerichte die Bescheide kassieren. Der Staat schützt die, die ihn abschaffen wollen. Das ist nicht Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Das steht im Widerspruch zu Artikel 18 Grundgesetz.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Legislative, Exekutive und Judikative insofern auf den Prüfstand müssen. Unsere aktuelle Rechtslage ist offenbar nicht in der Lage, unsere historisch gewachsen politische Kultur und somit in letzter Konsequenz unser Gemeinwesen zu schützen.
Mein Appell richtet sich an die Politik und die Justiz: Eine wehrhafte Demokratie – und diesen Anspruch haben wir – darf nicht tolerieren, dass Geschichtsrevisionisten mit ihren perfiden Strategien unseren freiheitlichen Rechtsstaat missbrauchen und die Staatsgewalten gegeneinander ausspielen, um ungestört ihr ideologisches Gedankengift zu verbreiten.
Es reicht nicht, dagegen auf der Straße Gesicht zu zeigen. Zum Glück haben wir eine couragierte Zivilgesellschaft, die diese wichtige Funktion übernimmt. Aber es ist inakzeptabel, dass auf dem Rücken von Polizeibeamten und Zivilbürgerschaft jener gesellschaftliche Konflikt ausgetragen wird, dessen Lösung Politik und Justiz seit Jahren schuldig bleiben. Die Politik muss mehr tun. Sie darf den Patriotismus nicht den Falschen überlassen. Patriotismus bedeutet, aus Liebe zu unserem Land unsere Werte beschützen und das ist Aufgabe von uns allen.
Verehrte Anwesende,
im Internet kennt der Hass bereits keine Grenzen mehr. Und wir alle spüren, dass die gesamte Republik auf dem Weg der Enthemmung ist.
Lokalpolitiker, Journalisten, Ehrenamtliche geraten ins Visier. Der Verfassungsschutz warnt vor einem Schulterschluss zwischen rechtsextremistischen Organisationen und aufgepeitschten Bürgern. Die radikalen Hasskampagnen dringen in bürgerliche Schichten durch. Die Anschlussfähigkeit des extremen Gedankenguts ist alarmierend. Die omnipräsente Hetze durch rechte Klientel – vom Schulhof bis zum Seniorenheim – hat katalysierende Wirkung. Das zeigt nicht zuletzt der Anschlag auf Henriette Reker in Köln. Unfassbar, dass tags darauf gerade einmal 40 Prozent der Menschen es für nötig erachtet haben, sich als Staatsbürger und Demokraten zu beweisen und zur Wahl zu gehen.
Es wäre dies eigentlich die Zeit zur Verteidigung der Demokratie und ihrer Repräsentanten.
Auch hier setzt München ein deutliches Zeichen und ich möchte an dieser Stelle von Herzen allen Engagierten bei München ist bunt von Herzen danken. Sie sind mit viel Mut und Leidenschaft und größtem persönlichen Einsatz an vorderster Front aktiv – unbeirrbar, ohne Wankelmut. Davon lebt unsere Demokratie! Ich danke Ihnen.
Aber wie viel Hass verträgt unsere Demokratie?
Die Antwort lautet: Null. Die Geschichte, speziell die des 9. Novembers lehrt: Furcht und Hass bewegen die Massen. Wenn dann ein Ventil, ein Ziel, ein Objekt des Hasses präsentiert wird, ist die halbe Strecke auf dem Weg zur Unmenschlichkeit absolviert. Das Subjekt wird zum Objekt degradiert, ist kein Mensch mehr, nur noch Ziel.
Verehrte Anwesende,
es macht mich wütend, dass es zum Teil dieselben Typen, sind, die schon den Anschlag auf die Grundsteinlegung für das jüdische Zentrum verüben wollten, die heute bei Pegida und Co. mitmarschieren, dort als Märtyrer gelten und in der rechtsextremen Szene die Ziele vorgeben.
Verurteilte Rechtsterroristen, die dem Rechtsstaat auf der Nase herumtanzen.
Was glauben wir eigentlich, was unsere Demokratie alles aushält, erträgt – ertragen muss und kann?
Wieviel Kampf gegen die Demokratie wollen wir gewähren lassen?
Reicht der Widerstand, den wir bieten? Oder macht sich zu viel Trägheit breit, zu viel Leichtfertigkeit im Umgang mit unserer zerbrechlichen Freiheit und unserer Demokratie, die davon lebt, wehrhaft geschützt und vertreten zu werden.
Ich bin gewohnt zu kämpfen, aber angesichts der Tatsache, dass die Zahlen der rechtsextremen und antisemitischen Straftaten Monat für Monat neue Rekorde erreichen, will ich sehen, dass sich eine Armee der Demokraten bildet, die glaubhaft und entschlossen aufschreit und aufsteht und sich wehrt, dass unsere Grundwerte demontiert werden.
Andernfalls werden wir erleben, wie Rechtspopulisten und -extremisten auch in Deutschland bei Wahlen regen Zuspruch erhalten. Schneller als wir glauben, könnte Dunkeldeutschland in die Parlamente einziehen.
Verehrte Anwesende,
ich habe mir über die Jahre eine dicke Haut antrainiert. – eines halte ich nicht aus: Die Vorstellung, wir Juden könnten wieder alleine sein – mit unserer Angst; und wieder ungehört – mit unseren Warnungen.
Wir stehen vielleicht vor der entscheidenden Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Darüber darf es keine Missverständnisse geben. Aber „Wir“ müssen „wir“ bleiben. – Das sollten wir uns heute hier in diesem Saal versprechen. Am historischen Ort, von wo aus Goebbels vor 77 Jahren das Tor zu Auschwitz aufschlug.
Unser Land liegt in unseren Händen. Wir entscheiden darüber, wie unser Land heute, morgen oder übermorgen aussieht.
Im gemeinsamen Gedenken entscheiden wir darüber, welche Lehren wir ziehen. Wir versprechen den Opfern von einst: Wir haben verstanden. Wir lassen nicht zu, dass sich die Brandstifter in ihrem Wahn mit ihrem Hass wieder durchsetzen. Nicht noch einmal.
Unser Land lebt von einem starken „Wir“.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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