Sehr geehrte Herren Rabbiner, Herr Botschafter Hadas-Handelsman, lieber Yakov, sehr geehrter Herr Minister Schmidt, Herr Bürgermeister Becker, Herr Hofmann, verehrte, liebe Charlotte Knobloch!
Vielen Dank für die erneute Einladung nach Frankfurt – für die Gelegenheit, eine außergewöhnliche, wunderbare Persönlichkeit zu ehren und gemeinsam zu feiern.
An Preisen und Ehrungen, liebe Frau Knobloch, mangelt es in ihrem Lebenslauf nicht. Das Spektrum reicht von drei Bundesverdienstkreuzen, klein und groß, mit und ohne Stern, bis hin zur Ernennung als „Ehrenkommissarin der bayerischen Polizei“ (was sicher die am schwersten zu erreichende Auszeichnung gewesen ist). Mit mehr als zwanzig Preisen sind Sie so eine Art FC Bayern München unter den Preisempfängerinnen. Kein Wunder, dass der ewige Tabellenführer Ihr Lieblingsverein ist. Kein Wunder, dass auch Sie von vielen beneidet werden. Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.
Preise sind schön, weil sie eine allgemein sichtbare Anerkennung der eigenen Leistungen sind. Und diese Sichtbarkeit ist wichtig, denn sonst geht es einem wie dem Rabbiner von Chicago. Der ist leidenschaftlicher Golfspieler. Die ganze Woche war dicker Nebel – am Schabbes scheint die Sonne. Der Rabbiner steht am frühen Morgen auf dem menschenleeren Golfplatz, die Sportleidenschaft siegt über die Frömmigkeit, er nimmt den Schläger in die Hand… Sein Vater schaut vom Himmel herab und sagt zum lieben Gott: „Siehst du, was mein Sohn, der Rebbe, da unten macht – heute, am Schabbes!?“ Der liebe Gott antwortet: „Ich werde ihn bestrafen.“ Der Rabbiner unten legt seinen Ball zurecht, holt mächtig aus und schlägt … 250 Meter und genau ins Loch! Sein Vater erbittert: „Das nennst du Strafe?“ Der liebe Gott lächelt: „Allerdings. Denn wem soll er’s erzählen?“
„Ehrungen, das ist, wenn die Gerechtigkeit ihren liebenswürdigen Tag hat.“ So hat es Konrad Adenauer mal gesagt. Im Falle Charlotte Knobloch möchte ich umformulieren: Ehrungen, das ist, wenn der Liebenswürdigkeit Gerechtigkeit widerfährt. Liebe Frau Knobloch, wir kennen uns nun schon seit mindestens 15 Jahren. Immer habe ich bewundert, wie entschlossen und zielstrebig – dabei aber immer liebenswürdig, freundlich und warmherzig – Sie durchs Leben gehen, geleitet von einem klaren Kompass freiheitlicher und toleranter Werte. Ich komme ins Schwärmen. Aber wie soll ich denn hier auch objektiv oder gar nüchtern über Sie reden? In Sachfragen stimme ich mit Ihnen in fast schon gespenstischer Sicherheit überein. Eine politische Diskussion mit Ihnen ist wie ein Selbstgespräch. Hinzukommt: ich bin mit Ihrer Tochter Iris seit vielen Jahren befreundet. Ich erkläre mich also besser hiermit für befangen.
Was ist Ihr großes, alles bestimmende Lebensthema? Wer sich mit den Stationen und Erfolgen in der Vita von Charlotte Knobloch auseinandersetzt, der stößt vor allem auf drei immer wiederkehrende Werte. Von denen alles
ausgeht. Ohne die alles andere nicht denkbar ist. Menschlichkeit, Freiheit und Optimismus. Die Bedeutung dieser Werte für Charlotte Knobloch ist eng verbunden mit Ihrem persönlichen Lebensweg. In München geboren erlebte und überlebte Sie den Nazi-Terror, die Vertreibung jüdischen Lebens aus der Gesellschaft, die in Völkermord mündete. Vor einigen Jahren schilderte sie einen der Schlüsselmomente dieser Zeit:
„An einem schönen Sommernachmittag wollte ich, wie fast jeden Tag, auf den gegenüberliegenden eingezäunten Hof zum Spielen gehen. Als ich das Gittertor öffnen wollte, ging es nicht auf. Ich rüttelte daran, immer wieder, vergebens. Das Tor war abgeschlossen. Meine Freunde, die bereits im Hof standen, sahen wortlos zu. Irgendwann kam die Hausmeisterin und sagte: ‚Geh nach Hause. Judenkinder können hier nicht spielen.’“
Einige Jahre später, am Abend des 9. November 1938, läuft Charlotte Knobloch an der Hand ihres Vaters vorbei an zertrümmerten Scheiben von Kaufhäusern und Geschäften und der brennenden Hauptsynagoge – die Reichspogromnacht, der Auftakt für unvorstellbare Grauen und für den Holocaust. Charlotte Knobloch überlebt den Terror der Nazis und die drohende Deportation 1942 getarnt und versteckt als angeblich uneheliches Kind eines Dienstmädchens.
Was dann folgt, nach dieser Kindheit, ist ein Kraftakt. Eine ungeheure Lebensleistung. Die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben. Das Land wieder zu ihrer Heimat zu machen, die ihr genommen worden war. Eine Familie zu gründen. Auf dieses Land und die Fähigkeit der Menschen zur Umkehr zu vertrauen. Und alles dafür zu tun, dass jüdisches Leben in diesem gebrochenen Land wieder eine Zukunft hat. Als Jude im Land der Mörder des eigenen Volkes zu bleiben und zu leben ist eine Geste des Versöhnens und der Stärke zugleich.
Ich bin vor einigen Jahren mit meinem Freund George Weidenfeld durch Berlin gelaufen und als wir über dem Gebiet des Führerbunkers spazierten, fragte ich ihn: „Ist es nicht eine furchtbare Belastung, als Jude in derjenigen Stadt zu sein, die wie keine andere auf Schritt und Tritt Spuren des Naziregimes aufweist?“ Weidenfeld lachte und sagte: „Im Gegenteil. Es macht mich fröhlich. Hitler liegt tot da unten. Ich aber laufe hier rum und genieße das Leben.“
Weidenfeld, der in diesem Februar im Alter von 96 Jahren gestorben ist, lebte immer dafür, dass Hitler in der deutschen Geschichte nicht das letzte Wort hat. Das verbindet ihn mit Charlotte Knobloch. Und es ist berührend, wenn ausgerechnet Sie uns immer wieder daran erinnern, dass Patriotismus kein schlechtes Wort, sondern sogar eine Voraussetzung zur Toleranz ist: „Ich bin überzeugt, dass es eine gesunde und besonnene Heimatliebe braucht, um die Werte, auf denen unser Gemeinwesen und unsere Gesellschaft beruhen, leidenschaftlich, beherzt und entschlossen gegen antidemokratische und freiheitsfeindliche Tendenzen zu verteidigen.“
In diesem Sinne haben Sie, Frau Knobloch, mit Ihrem Wirken ein neues Deutschland-Bewusstsein geprägt und neue Möglichkeiten für jüdisches Leben in Deutschland bereitet. Durch beharrliches Engagement für die Israelitische Kultusgemeinde Münchens, seit über 30 Jahren als Vorsitzende des Vorstands. Im Sommer wiedergewählt für weitere 4 Jahre. Vor zehn Jahren der Höhepunkt: Das 2006 eröffnete Jüdische Zentrum mit der Synagoge Ohel und dem Museum. Und daneben: Lange Jahre Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und des Zentralrates der Juden in Deutschland, von 2006 bis 2010 dessen Präsidentin.
Bei allem, was Charlotte Knobloch bewegt hat, ging es ihr immer darum zu helfen, zu verbinden, in kleinen und großen Schritten. Um Menschlichkeit. Sie sagt selbst: Im Mittelpunkt allen Engagements hat immer der Mensch zu stehen. Charlotte Knoblochs Anspruch ist es, für jeden ansprechbar zu sein, der ein Problem bereden und lösen möchte. Zu helfen, wo sie kann. Und wie ihr das gelungen ist und immer noch gelingt. „Das Ziel ist dies: mich immer dahin zu stellen, wo ich am besten dienen kann, wo meine Art, meine Eigenschaften und Gaben den besten Boden, das größte Wirkungsfeld finden.“ Der Satz stammt zwar von Hermann Hesse. Er könnte aber auch von Charlotte Knobloch sein.
Menschlichkeit ist nicht zu verwechseln mit beliebiger Unentschiedenheit. Was mich an Ihnen, liebe Frau Knobloch, immer beeindruckt hat, ist, dass sie nicht brav die gedanklichen Banalitäten der political correctness predigen. Natürlich setzen Sie sich gegen Rassismus und Fremdenhass und für Dialog ein. Natürlich. Wofür auch sonst sollte sich ein Mensch einsetzen, wenn er diese Bezeichnung zu recht tragen möchte? Aber Ihre Wortmeldung, ob in Interviews, Reden oder eigenen Texten enthalten bei aller Höflichkeit in der Form meist gedankliche Widerhaken. Dialog um jeden Preis und mit jedem – also: Appeasement – ist Ihre Sache nicht.
„Hasser bittet man nicht an seinen Tisch“ haben Sie mal gesagt. Keine Toleranz für die Intoleranten. Heute setzen aber viele Toleranz als absolut, bis sie zur Toleranz gegenüber der Intoleranz wird. Das ist ein Missverständnis: Für die Intoleranz an sich, also für das Unfreiheitliche, darf es kein Verständnis geben. Nur Intoleranz gegenüber der Intoleranz bewahrt die Freiheit. Und deshalb haben Sie auch immer betont, dass Antisemitismus oder Rassismus keine jüdischen Probleme sind, sondern die Menschlichkeit einer ganzen Gesellschaft in Frage stellt. Und haben festgestellt, dass die vielen Absichtserklärungen und gutgemeinte Appelle nicht reichen: „Wer die Freiheit zerstören will, wird sich von seinem Treiben nicht durch hehre Phrasen und Dauerbetroffenheit abbringen lassen.“
Leider gehört es zu den naiven Wahrnehmungsmustern in Deutschland und Europa, dass man etwa das Problem des islamistischen Terrorismus gerne auf Israel – am liebsten auf eine bestimmte israelische Regierung – und auf Amerika – am liebsten auf eine bestimmte amerikanische Regierung – beschränken möchte. Darin schwingt mit: Wir müssen uns ja nicht in die Schusslinie bringen, sollen doch die Hauptbetroffenen ihre Probleme selbst lösen. Das ist erstens genau das, was die Islamisten sich wünschen, zweitens ziemlich charakterlos. Vor allem aber verkennt, wer so denkt, vollkommen die Realität des Konflikts.
Israel ist für die Islamisten des Nahen und Mittleren Ostens der kleinste Gegner, direkt vor der Tür. Ihn gilt es als erstes zu beseitigen. Selbstmordattentate und andere Terroranschläge zielen seit Jahrzehnten darauf ab, die israelische Gesellschaft zu zermürben. Aber das ist nur der erste Schritt. Als nächstes ist Europa an der Reihe, Amerika, der gesamte westliche Lebensstil.
Und so müssen wir alle daran arbeiten, den Feinden der Freiheit gegenüberzutreten und für unsere Werte einzustehen. Der Historiker Heinrich August Winkler hat es auf den Punkt gebracht: „Gäbe der Westen die Idee der Universalität der Menschenrechte auf, er würde sich selbst aufgeben.“ Das aber bedeutet Engagement und Mut, nicht nur vor der eigenen Haustür. Die Lage Israels geht uns alle an. Israels Sicherheit ist in unserem eigenen vitalen Interesse. Die Terroristen in Frankreich, Belgien oder Deutschland verfolgen die gleiche Agenda wie die Attentäter, die in Jerusalem Busse oder in Tel Aviv Nachtklubs in die Luft sprengen. Islamistische Fanatiker sind nicht nur Antisemiten, sie sind die Feinde der freien Gesellschaften, sie organisieren die Abschaffung unserer Werte und unseres Lebensstils.
Früher konnten Wegseher und Ohnemichels glauben, Selbstmordattentate und Bombenanschläge auf Straßencafés und Clubs seien Israels Problem. Heute erkennt jeder: Europa ist Israel geworden. Ein Café in Paris ist nicht mehr sicherer als eines in Tel Aviv. Deswegen sollte Europa auch fester und mutiger an Israels Seite stehen. Es kann immer nur um eine Konfliktlinie gehen: Die demokratische gegen die nicht-demokratische Welt. Freiheit gegen Fundamentalismus. Es ist kein Zeichen von Chauvinismus, wenn wir unsere freiheitliche Grundordnung für besser halten. Es wäre zynischer Relativismus, wenn wir sagten: Die Wahrheit liegt in der Mitte. Das tut sie eben nicht. Die Unterstützung Israels ist im Interesse des Westens. Die Grenzen für die Methoden und Mittel der Auseinandersetzung zieht die Freiheit selbst: Wir können nicht im Namen der Freiheit Meinungen unterdrücken oder Nachrichten manipulieren, wir können nicht im Namen der Freiheit foltern.
Aber wir können – und müssen – uns mit demokratischen, rechtsstaatlichen Mitteln wehrhaft zeigen, so intelligent und erfolgreich wie möglich. Ihr unermüdlicher, hartnäckiger Einsatz dafür, diesen Kampf nicht zu verlieren, liebe Frau Knobloch, ist herausragend.
„Aus Traurigkeit wächst keine Tat“, heißt es bei Stefan Zweig. Und deshalb möchte ich zum Schluss noch über Ihren unbändigen Optimismus sprechen. Den spürt sofort, wer Sie trifft. Der prägt Ihren täglichen Einsatz seit Jahrzehnten. Und dazu sagen sie: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Sie haben immer wieder erfahren, dass sich Durchhaltevermögen auszahlt. Wie bei der Idee und dem erfolgreichen Bau des jüdischen Zentrums in München.
Sie setzen auf die Zukunft, auch durch Ihre unzähligen Gespräche mit Jugendlichen und Kindern. Sie ermuntern sie zur Einmischung, wenn etwas Entscheidendes auf dem Spiel steht. Denn Sie haben es am eigenen Leibe
erlebt, wie es sich anfühlt, wenn alle sich „zurückhalten“. Dass die Heranwachsenden bald keine Zeitzeugen des Holocaust und der Judenverfolgung mehr treffen können und damit die Erinnerungskultur noch größerer Sorgfalt und Pflege bedarf, besorgt sie umso mehr. Zu recht. Zu wissen, was geschehen ist, ist Grundlage eines Zusammenlebens ohne Diffamierung und Hass. „Juden in Europa sind nirgends so sicher wie in Deutschland“, haben Sie letztes Jahr in einem Interview gesagt. Gleichzeitig aber betont, dass auch hierzulande offener Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit im Vormarsch sind. Wir müssen alles daransetzen, die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten. Auch und gerade wenn es um die Integration von Flüchtlingen geht. Erst allmählich und mit wenig Entschlossenheit bemerken viele politische Entscheidungsträger, dass es durchdachte und belastbare Konzepte, aber auch einen wirklichen Willen aller Beteiligten zur Integration geben muss, um Hunderttausende Flüchtlinge aus muslimisch geprägten Ländern in Europa die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und sie einzubinden.
Gerade die israelitische Kultusgemeinde Münchens hat übrigens bei der Einbindung der jüdischen Zuwanderer der Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion Großartiges geleistet. Indem sie auf sie zugegangen ist, Begegnungen organisiert hat, Aktivitäten geplant hat. Gleichzeitig aber klargemacht hat, dass unsere grundrechtlichen Werte unbedingte Grundpfeiler der Integration sind – und nicht verhandelbar.
Frau Knobloch, Sie sind ein Kraftfeld der Hoffnung, ständig in Bewegung. Was Sie für Deutschland – für die jüdische Gemeinde wie für unsere Gesellschaft als Ganzes – geleistet haben, ist ein großes Lebenswerk. Die Haltung des kämpferischen Optimisten, die Sie dabei eingenommen haben, ist für uns alle hier Vorbild.
Mir fällt dazu die Geschichte des Franziskanerpriesters Phil Bosmans von den beiden Bienen ein, die am Eingang ihres Bienenkorbs in der Sonne saßen. Lange Zeit hatte ein heftiger Sturm gewütet. Seine Gewalt hatte alle Blumen weggefegt und die Welt verwüstet. „Was soll ich noch fliegen?“, klagte die eine Biene. „Überall herrscht ein wüstes Durcheinander. Was kann ich da schon ausrichten?“ Und traurig blieb sie sitzen. „Blumen sind stärker als der Sturm“, sagte die andere Biene. „Irgendwo müssen noch Blumen sein, und sie brauchen uns, sie brauchen Besuch. Ich fliege los.“
In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch und guten Flug, liebe Charlotte Knobloch! Mazel Tov!
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