Meine Damen und Herren,
Das Bild, das Sie hier sehen zeigt eine Kerze, die ich 2012 im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz gezündet habe im Gedenken an meinen Onkel.
Wir hören die Zahlen von so vielen Menschen, die ermordet wurden.
Nur zu den Zahlen fehlen uns Gesichter.
Zahlen sind anonym.
Viele meiner Generation haben noch nicht einmal ein Bild von den ermordeten Familienangehörigen.
Ich möchte Hier und Heute stellvertretend für alle Ermordeten das Bild meines Onkel Chiel Moderchai Juszkiewicz zeigen. Chiel war der Bruder meines Vaters.
Ich habe ein Bild von meinem Onkel 2012 zufällig im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz entdeckt und an das Archiv geschrieben. Und dann diese drei Bilder erhalten.
Mein Onkel kam Anfang Mai 1942 nach Auschwitz und zu diesem Zeitpunkt wurden
diese Bilder aufgenommen. Vergast wurde er am 28. Juli 1942 [PAUSE]
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit.
Es war eine Befreiung aus der Hölle. Aber wenn wir von Befreiung sprechen, so bedeutet das, dass keine eine Befreiung wie wir sie uns vorstellen. Das mit der Befreiung alles vorbei war. Nein, so eine Befreiung gab es nicht. Die, die diese Hölle überlebt hatten, waren niemals wirklich frei. Denn das, was sie erlebt hatten verfolgte sie ihr Leben lang.
Davon konnte man sich nicht einfach befreien. Das war schlichtweg unmöglich
Auch die nachfolgenden Generationen derer, die überlebt haben sind nicht wirklich frei.
Wie auch, das Geschehene ist nicht einfach auszulöschen und man kann auch nicht zur
Tagesordnung übergehen. Auschwitz wurde 27. Januar befreit, aber der Tag war nicht das Ende des Holocaust. Der 27. Januar ist ein Symbol wie Auschwitz ein Symbol für Massenmord und Rassenwahn ist.
Es wird geschätzt, dass ca. 1,3 Millionen Menschen in Auschwitz ermordet wurden.
Mindestens 1,1 Millionen davon waren Juden.
Zum Zeitpunkt der Befreiung befanden sich noch über 7.000 Häftlinge im Lager.
Man hatte die zurückgelassen, die halbtot waren.
Eigentlich wollte man alle eliminieren, aber dazu reichte die Zeit nicht
Einige Tage vor der Befreiung von Auschwitz begannen die Todesmärsche.
Man kann sich das gar nicht vorstellen.
Alleine in Auschwitz wurden fast 60.000 menschliche Skelette gezwungen, auf den
Todesmarsch nach Wodzislaw Richtung Oberschlesien zu gehen, um dann in
Lager deportiert zu werden, die noch „in Betrieb“ waren.
Mehr als 15.000 Häftlinge starben alleine während der Todesmärsche von Auschwitz
ausgehend. SS-Wachmannschaften erschossen jeden, der hinfiel, nicht mehr weiterkonnte oder einfach nur zu langsam ging. Kälte und Hunger waren unerträglich.
Mit nichts, außer dem Häftlingsanzug am Leib bei hohen Minusgraden.
Manche von ihnen liefen ohne Schuhe durch die Kälte.
Es waren menschliche Skelette, die sich durch halb Europa im Winter zu Fuß in Richtung Nirgendwo auf den Weg machten. Die Wege der Todesmärsche waren mit Blut getränkt und wie viele Tote es auf den Märschen gab, kann man gar nicht genau sagen.
Genau sagen kann man aber, dass zwischen dem 27. Januar und dem 9. Mai 1945, dem
Tag der bedingungslosen Kapitulation die Maschinerie des Massenmordes auf
Hochtouren lief. So viele Juden wie möglich umzubringen war die Devise.
Der jüdische Historiker Simon Dubnow, rief angesichts seiner bevorstehende
Ermordung durch Erschießen im Ghetto von Riga, den anderen Juden zu:
„Schreibt alles auf meine Brüder, schreibt es auf“.
Der 9. Mai 45 markiert dann das Ende dieser Hölle datumstechnisch.
Wie kann man angemessen gedenken? Geht das überhaupt?
Die Kultur des Gedenkens hat sich in den letzten Jahren verändert und wird sich weiter verändern.
Die Generation der Zeitzeugen, der Überlebenden wird irgendwann nicht mehr da sein und es wird an uns, der Zweiten Generation sein, den Ermordeten eine Stimme zu geben und Ihrer zu gedenken.
Jeder gedenkt auf seine eigene Weise.
Für mich persönlich gehört zum Gedenken an die toten Juden auch das Bekenntnis zu den Lebenden und zum Staat Israel
Gedenken bedeutet aber auch, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen,
sich gleichzeitig selbst zu hinterfragen
und sich mit dem aktuellen Antisemitismus zu beschäftigen und eben nicht zu schweigen,
sondern sich klar zu positionieren nämlich zu den lebenden Jüdinnen und Juden zu und auch zum Staat Israel.
Und diese Haltung darf nicht nur in Worten Ausdruck finden, sondern den Worten muss aktives Handeln folgen.
Die jüdische Gemeinschaft hat sich hierzulande leider an viel zu gewöhnt.
Wir hören die Dinge und anstatt dass wir unsere Stimme erheben, schweigen wir viel zu oft.
Ich habe mich entschlossen nicht mehr zu „Schweigenden“ zu gehören.
Ich bin in Deutschland aufgewachsen, gehe mittlerweile regelmäßig hier in Frankfurt in die Fachhochschule, um über das Trauma der zweiten Generation, den Antisemitismus und um über Israel zu sprechen und ich werde aktiv, wenn ich gerade auch in Bezug auf Israel so viele Unwahrheiten höre und diese stets ihren Weg in die deutsche Medienlandschaft finden. Ich werde auch aktiv, wenn ich sehe wie Menschen generell diskriminiert werden, weil anderen ihr Gesicht, Religion oder Hautfarben nicht passt. Das alles gehört für mich zum Gedenken dazu. Ich habe meinen Weg im Umgang mit dem Trauma meines Vaters gesucht, nur so richtig finden werde ich diesen Weg wohl nie.
Meine Damen und Herren,
Auschwitz begann nicht in Auschwitz!
Auschwitz begann lange vor den brennenden Öfen.
Es begann mit dem Wegschauen, der Gleichgültigkeit, der Respektlosigkeit und der Intoleranz gegenüber dem nächsten Nachbarn.
Auch die Zeichen auf dem Weg zu den Öfen wurden nicht erkannt oder ausgeblendet.
Bücher brannten und alle jubelten.
Jüdische Geschäfte und Synagogen brannten und alle jubelten.
Menschen verschwanden einfach und keinen kümmerte es.
Wie kann es heute wieder passieren, dass jüdische Menschen Angst haben, als solche erkannt zu werden?
Durch die Machtergreifung der Nazis wurde die Menschenwürde in Deutschland unter großem Jubel zu Grabe getragen.
Die Wegseher und Schweiger feierten diese Beerdigung genauso wie die aktiven Täter.
Und 12 lange Jahre war die Würde des Menschen in Deutschland begraben.
Und nur wenige kümmerte es.
Das darf sich nie wiederholen
Wir müssen die Stimme derer sein, die keine Stimme mehr haben oder nie eine hatten, weil die ganze Familie ermordet wurde.
Wer vergessen ist, war nie da – und das darf den Opfern des Holocaust nicht geschehen.
Denn sie alle waren da, sie haben gelebt.
Wir sind nur ein Glied in einer langen Kette von Generationen vor uns.
Eine Sicherheit haben wir Juden heute, die die jüdischen Menschen 1933 nicht hatten – Heute gibt es Israel, die Lebensversicherung aller Juden auf der ganzen Welt.
Israel entstand aus Ozeanen von Blut und Tränen.
Der Kampf gegen den Antisemitismus kann und darf keine jüdische Angelegenheit sein,
Dieser Kampf geht uns alle an und wir können ihn auch nur alle gemeinsam führen.
Denn wir sind die Hand, die den Stift führt mit dem in das Heft der Erinnerung im Heute und Jetzt für die Zukunft geschrieben wird.
Und es ist an uns allen, was geschrieben wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
(Copyright 2020 by Simone Hofmann,
veröffentlicht nur mit Genehmigung der Autorin,
deren Name unter jeder Veröffentlichung stehen muss)
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