Früher klingelten „Vertreter“ an der Haustür und überredeten die überraschten Bewohner, unnützes Zeug zu kaufen. Heute klingelt das Telefon. Da hagelt es dann „Umfragen“ oder einen Redeschwall zu Versicherungen, politischen Parteien oder anderen irrelevanten Themen. Noch schlimmer ist es im Internet. Wer einmal etwas erworben hat, wird dank der „Cookies“ zielgerichtete Reklame zu diesem oder ähnlichen Produkten auf allen angeklickten Seiten vorfinden. Man kann sich kaum gegen diese Überschwemmung schützen oder sie abstellen. Gegen dieses Vorgehen scheint niemand Einwände zu haben, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht.
Jeder und jede Firma kann einen zielgerichteten Kundenkreis finden. Bei der Telefonauskunft oder im Internet findet man mühelos alle Telefonnummern der Klempner, Glaser oder anderer Berufe aufgelistet, dazu ihre Wohngebiete und jegliche andere „Profile“. Das ist alles legitim und öffentlich.
Die Namen, Kontaktdaten und Telefonnummern der Corona-Patienten sind nur beim Gesundheitsamt gespeichert. Nun hat man in Israel den Geheimdienst beauftragt, mit den Telefonnummern der Corona-Infizierten zu ermitteln, welche andere Menschen sich in deren Nähe aufgehalten haben und ob sie mit dem Bus oder mit der Eisenbahn durch das Land gefahren sind. Dank der Smartphone-Technologie lassen sich die Aufenthaltsorte auch rückwirkend erkunden und die Telefonnummern jener Smartphone-Besitzer, die sich in dessen Nähe aufgehalten haben.
Israels Geheimdienst nutzte dieses Wissen, um Terroristen und deren Bekanntenkreis auszukundschaften. Doch jetzt, wo diese Methode bei unbescholtenen Corona-Kranken angewendet werden soll, um potentiell angesteckte Menschen zu finden, um sie in die Quarantäne zu schicken – zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz der Mitmenschen – gibt es einen Aufschrei wegen unerlaubtem Eindringens in die Privatsphäre. Israel werde so zu einem diktatorischen Überwachungsstaat.
Ist diese Kritik wirklich berechtigt oder entspringt sie eher einer mythischen Angst vor den unheimlichen Machenschaften der Geheimdienste? Niemand weiß, wer all jene im Klub, Konzert, Park oder Bus waren, denen er begegnet ist und die er vielleicht angesteckt hat. Was ist schlimm daran, wenn nun die potenziell Angesteckten per Anruf aufgefordert werden, sich in ihrem Heim aufzuhalten und ihre Umgebung vor weiterer Ansteckung zu schützen?
Das scheint eine moderne und effektive Methode zu sein, die unkontrolliert grassierende Virus-Pandemie in den Griff zu bekommen. Ist es wirklich ein Eingriff in meine Privatsphäre, wenn man mir telefonisch mitteilt, möglicherweise angesteckt zu sein, um mich und meine Familie schützen zu können. Oder sollte ich lieber frei herumlaufen, die Großeltern, Kinder und besten Freunde zu gefährden und im schlimmsten Fall sogar ihren Tod herbeizuführen?
Das ist, als wollte man die Polizei daran hindern, Unfälle auf der Autobahn oder Baustellen großräumig abzusperren, um weitere Unfälle zu vermeiden. Da könnte man genauso einwenden, dass unsere hochheilige Bewegungsfreiheit in unerträglicher Weise eingeschränkt wird.
Wir teilen freiwillig alle unsere Daten den Fluggesellschaften, dem Reisebüro oder Amazon mit. Mit diesem Wissen wird bewusst Schindluder betrieben, aber es dient auch dazu, uns zu identifizieren, falls das Flugzeug abstürzt. Und ausgerechnet jetzt, wo die „Überwachung“ lebensrettend sein kann, wird der „Überwachungsstaat“ angeprangert, nur weil jene Behörde beauftragt wird, die schon Erfahrung mit solchen Bewegungsprotokollen von Smartphones gesammelt hat.
- 22.03.2020
- Ulrich W. Sahm
- 10 comments
ULRICH W. SAHM – Kommentar zur Virus-Überwachung in Israel
You might also like
10 comments
-
-
Gerhard Gaußling
Log in to ReplyGanz wichtig wird sein dem nach der Epidemie einen rigorosen Riegel vorzuschieben. Das muss unabhängig kontrolliert werden, falls es so weit kommen sollte. Damit keine Begehrlichkeiten geschaffen werden.
-
Gerhard K. Nagel
Log in to ReplyGerhard Gaußling Lies mal, was ich etwas weiter unten (im Hauptfaden) gepostet habe…..Machen kann man viel. Aber ob solches Vorgehen letztlich verfassungsrechtlich haltbar ist, ist äußerst fraglich. Der Schutz der Persönlichkeit (zum dem ja auch das Thema “personenbezogene Daten” gehört) setzt da mit guten Grund hohe verfassungsrechtliche Hürden.
-
Gerhard Gaußling
Log in to ReplyIch bin mir unklar. Gerade weil einfaches social distancing allein nicht ausreichend sein wird und man es mit containment verbinden muss.
Korea hat bisher neben China, trotz großem Ausbruch sehr viel richtig gemacht, und zwar ohne die offene Gesellschaft zu sehr zu belasten.
Dazu gehörte sehr früh, sehr viel und kostenlos zu testen. Psitive dann in Quarantäne zu stellen und eben leider auch die Handyüberwachung mit selbstkontrolle durch eine geeignete App.
-
Gerhard K. Nagel
Log in to ReplyKönnen: Grundsätzlich: Ja. Aber, wer das in Deutschland tut, bewegt sich außerhalb der entsprechenden gesetzlichen Regelungen (primär: Das Datenschutzgesetz) und kann daher rechtlich zur Verantwortung geziogen werden. Ich gehe davon aus, dass das in Israel, von der rechtlichen Seite her, ähnlich aussieht.
-
-
Gabi Shenkman
Log in to ReplyGerhard K. Nagel Können sie das nicht längst ohne unser Wissen und unsere Zustimmung?
-
-
Gerhard K. Nagel
Log in to ReplyZu Deutschland: “Sebastian Golla, Datenschutzexperte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, betont, dass auch im Krisenfall “hohe verfassungsrechtliche Hürden” bestünden, um eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die solche Eingriffe “…….” Für den Datenschutzexperten Thilo Weichert ist es “mehr als fraglich, wie eine derartige Ortung von Infizierten gesetzlich erlaubt werden könnte, da ein solches Gesetz erforderlich, geeignet und angemessen, also insgesamt verhältnismäßig sein müsste.” https://www.heise.de/newsticker/meldung/Coronavirus-Epidemie-Bundesregierung-will-Handyortung-von-Kontaktpersonen-4687661.html?utm_source=pocket-newtab
-
Gerhard Gaußling
Log in to ReplyDas RKI konnte nun anhand der *anonymisierten* Daten schon vermelden, dass die Mobilität bereits zurückgegangen ist. Die Beschränkungen also bereits eingehalten werden.
Dadurch wird eine drastische Ausgangssperre unwahrscheinlicher.
Ich möchte weiter allein im Wald spazieren gehen können, ohne ein Strafgeld erwarten zu müssen.
-
Gerhard K. Nagel
Log in to ReplyUnd ich möchte, dass der Staat – auch in einer Kriesensituation persönliche Freiheitsrechte im Übermaß und in Kollison mit den Grundwerten, die eine freiheitliche Gesellschaft ausmachen – aushebelt. Wäre das einmal getan, bestünde eine solche Regelung auch nach Überwindung der Kriese fort. Die Beschränkungen, die bislang getroffen wurden finde ich angemessen und OK und das ist wohl (ich bin kein Jurist) auch für angemessen und rechtlich vertretbar. Aber ein solcher Ansatz, wie er in Israel und in Deutschland angepeilt wird, halte ich für äußerst problematisch. Und wie ich mit dem Posting gezeigt habe, stehe ich mit dieser Auffassung beileibe nicht allein….. Grundsätzlich besteht in Kriwesensituationen die Gefahr auf demokratischem Weg freiheitliche Gesellschaften auszuhebeln. Dazu gibt aktuell gerade auch Ungarn ein deutliches Beispiel (Orban, der mittels Dekreten regieren will.) Das ist aber eine etwas andere Fragestellung, wie die in diesem Faden.
-
Leave a Reply Cancel Reply
You must belogged in to post a comment.
Gerhard K. Nagel
Von Freund zu Freund, Ulrich: Ich war früher als Berater und Senior Consulter in einem Bereich tätig, welcher sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat und weiß, dass man mit der Erfassung solcherlei Art von Daten Persönlichkeitsprofile von den Betroffenen erstellen kann und ganz ehrlich, das möchte ich nicht, das ist ein massiver Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte. In Deutschland gibt es im Ansatz ähnliche Überlegungen, nämlichn dass die Provider dem RKI solcherlei Bewegungsdaten zu Verfügung stellen sollen. Auch da – wo ich ja direkt betroffen bin – gilt ein klares NEIN fvon meiner Seite. Wenn solche Konstruktionern einmal freigegeben wurden, ist esd höchst unwahrscheinlich, dass maqn sie nach der gegenwärtigen Situation wieder rückgängig macht. Ich möchte nicht, dass irendwelche Institutionen sich auf den Weg machen, gläsener Menschen zu schaffen. Das ist eine Hoororvorstellung, die mich an Orwell und “1984” erinnert. Ich hoffe, dass sich die Zivilgesellschaft in Israel und die in Deutschland gegen solche Konstruktionen – unterstützt von Datenschützern vehement gegen solche Konstruktionen erfolgreich zur Wehr setzt.