Lars Rensmann: Israelbezogener Antisemitismus Formen, Geschichte, empirische Befunde – Was genau ist israelbezogener Antisemitismus, wie lässt er sich von nicht-antisemitischen Äußerungen zu Israel unterscheiden? Welche Geschichte und historischen Vorläufer hat er und wie manifestiert sich das Phänomen in der Gegenwart? | bpb.de
So wie in anderen Bereichen die Idee von einer „Stunde Null“ im Jahr 1945 ein gesellschaftlicher Mythos war, so war auch der Antisemitismus nach dem Holocaust und dem Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft nicht aus der deutschen Gesellschaft verschwunden. Demokratisierungsprozesse erzielten in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Zweifel signifikante politisch-kulturelle Wirkungen. Öffentliche Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit und mühsam durch Konflikte etablierte diskursive Grenzziehungen sowie teils rechtliche Sanktionen haben zudem dafür gesorgt, dass offen antisemitische Rede mit der Zeit an Gesellschaftsfähigkeit verlor; Judenfeindschaft wurde dergestalt öffentlich zurückgedrängt (Bergmann 1997). Indes haben in den letzten 20 Jahren antisemitische Ressentiments, die teils als Unterströmung in der Gesellschaft fortlebten, im öffentlichen Raum erneut an Legitimität und Akzeptanz gewinnen können: die „Grenzen des Sagbaren“ haben sich wieder erweitert (Rensmann 2004; Rensmann 2020). Zudem ist Antisemitismus seit Beginn des Jahrtausends in Deutschland und Europa erneut zunehmend Gegenstand (partei-)politischer Mobilisierungen geworden, und dies nicht nur im rechtsextremen und neo-nazistischen Spektrum. Selbst offener Verbalantisemitismus floriert gerade in den letzten Jahren unter Nutzung neuer sozialer Medien und „alternativer“ digitaler Desinformationsmedien (Nagle 2018; Schwarz-Friesel 2019).
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