Samuel Salzborn: Die Lüge von der Aufarbeitung – Antisemitismus macht sich wieder breit in Deutschland. Das hat auch mit dem Glauben zu tun, die Bürger hätten sich vorbildlich mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Das stimmt leider nicht. | DER SPIEGEL
Es ist die größte Lebenslüge der Bundesrepublik: der Glaube an eine tatsächliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Eine kleine, gebildete, linksliberale Elite hält etwas für ein gesellschaftliches Phänomen, das zwar im intellektuellen Diskurs tatsächlich existiert, aber im gesamtgesellschaftlichen Raum nur rudimentär verankert ist und zunehmend abgewehrt wird: die ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, den Abschied vom eigenen Opfermythos und die Auseinandersetzung mit der antisemitischen Täterschaft in den meisten Familiengeschichten. Laut einer Studie des Jüdischen Weltkongresses Ende 2019 sind 41 Prozent der Deutschen der Auffassung, Juden sprächen zu viel über den Holocaust. Das »kollektiv getragene und komplizenhafte Verschweigen der Verbrechen durch weite Teile der Nachkriegsgesellschaft«, von dem der Psychoanalytiker Wolfgang Hegener spricht, wirkt weiter fort, als es die aufgeklärten Eliten in Politik, Kultur und Medien wahrhaben wollen. Man hält die eigenen Positionen für gesellschaftliche Realität und übersieht, dass sie nur die einer kleinen Elite sind.
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