Kommentar von Honestly Concerned
Thomas Osten Sacken: "So treffend habe ich es selten gelesen. Denn genau so ist es ... und erst, wenn man versteht, was es bedeutet, dass einem nichts gehört, versteht man, wie diese ganzen Diktaturen funktionieren und wie sie die Menschen deformieren:
"All das trug nicht dazu bei, dass wir unsere Schulen als etwas betrachteten, das der Allgemeinheit gehörte. Wir ritzten mit jedem nur erdenklichen spitzen Gegenstand in das Holz der Stühle: unsere Namen, Herzchen, gelegentlich auch Obszönitäten und erotische Kritzeleien, wie sie auf den Wänden und Türen der Schultoiletten zu finden waren. Wir hatten dabei nie das Gefühl, etwas Falsches zu tun. Selbst wenn wir morgens in die Klasse kamen und sahen, wie einige Stühle zertrümmert waren und wüste Kritzeleien und Kraftausdrücke Wände und Tafeln "zierten", lachten wir insgeheim darüber. Wir hatten keinerlei Unrechtsbewusstsein. Es waren ja nicht unsere Stühle, und es war auch nicht unsere Schule.
Genau so wenig, wie uns die Straßen gehörten, die wir also auch ohne Bedenken zumüllen konnten. Genauso wie die öffentlichen Einrichtungen, die Gehwege, die Parks, ja sogar die Bäume – das alles gehörte nicht uns. Wir hatten das unbewusste, aber gleichzeitig tiefsitzende Gefühl, dass uns unsere Stadt nicht gehörte, dass nichts in ihr unser gemeinsames Eigentum war. Dass wir lediglich Gäste waren in einem Land, das sich im Privatbesitz des "Vaters und Führers" und seiner Partei befand.""
Vor Kurzem bin ich auf eine seltsame Fotografie gestoßen, die sich zwischen meinen persönlichen Erinnerungsfotos versteckt hatte: Das Bild stammt aus meiner Schulzeit und zeigt mich inmitten meiner Klasse, wie wir mit einem fast schon befremdlichem Enthusiasmus im Kreis Dabke tanzen. Über uns prangt ein großes weißes Transparent, auf dem mit roter Schrift geschrieben steht: „Jahrestag der ruhmreichen Korrekturbewegung unter Führung unseres Kampfgenossen Hafiz al-Assad“.
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