Verschwörungsmythen und Antisemitismus | APuZ | bpb.de
Verschwörungsmythen zielen darauf, politische und gesellschaftliche Entwicklungen der rationalen Betrachtung zu entziehen und stattdessen die Emotionalität und Affekthaftigkeit des Politischen zu steigern. Ihr Grundmotiv besteht darin, hinter politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unbekannte, unfassbare, omnipotente Mächte zu vermuten, die stets im Verborgenen agieren und die Agenden der sichtbaren politischen Akteure insgeheim steuern.[1] Die konkreten Verschwörungsmythen werden dabei fast so schnell produziert, wie die Ereignisse stattfinden, die den Anlass – oder besser gesagt: den Vorwand – für ihre Formulierung bilden. Dass die Mythenbildung nahezu in Echtzeit erfolgt, hat mit der Logik der Verschwörungsfantasie selbst zu tun: Sie bedarf keiner Fakten, keiner Wirklichkeit außer ihrer selbst, um zu funktionieren. Es bedarf nur eines Anlasses, aber keiner Ursache, damit Verschwörungsfantasien formuliert werden. Die hermeneutische Struktur von Verschwörungsmythen basiert dabei auf einem Muster, in dem ein abstraktes Ereignis nicht verstanden wird, eine konkrete Verantwortlichkeit zur Simplifizierung abstrakter Prozesse erfunden wird, auf die aggressive und destruktive Affekte projiziert werden. Deren Ziel ist es, das eigene Ohnmachtsgefühl, das aus intellektueller Unfähigkeit und/oder dem Unwillen, abstrakte Herausforderungen zu ertragen, resultiert, zu kompensieren und zugleich dem Individuum ein Allmachtsgefühl zu verschaffen. Die jeweils eigene hermetische Verschwörungsweltsicht funktioniert in ihrer Struktur unabhängig von der Wirklichkeit, da sie nicht an empirische oder historische Fakten gebunden ist, sondern lediglich mit einem Fantasieweltbild korrespondiert, das nicht nur jederzeit reproduzierbar, sondern auch jederzeit reformulierbar und damit in jeweils passender Variation abrufbar ist.[2]
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