Wie ein umgekehrtes Ghetto – In deutschen Städten gibt es Gegenden, die man als Jude nicht betreten sollte. Unsere jüdische Kolumnistin erklärt, wie sich das anfühlt – und unter welchen Umständen sie dann doch in die sogenannte No-go-Area geht. | SZ Magazin
Wenige Minuten Fußweg von meinem Elternhaus in der Kölner Nordstadt entfernt liegt ein türkisches Viertel. An der Hand meiner Mutter lief ich beinahe jeden Samstag durch die mittelalterliche Eigelsteintorburg über eine schmale Straße, die fast bis zum Dom führt, zur stadtbekannten Weidengasse. Wenige hundert Meter Bosporus, auf denen man Baklava, türkische Pizza, frisches Gemüse und Lammfleisch in sämtlichen Formen kaufen kann. Ich mochte die Ausflüge in die Weidengasse immer sehr, da sie mich an unsere Urlaube in Israel erinnerten, die Lebensart in der Weidengasse ähnelte jener, die wir auch zu Hause kultivierten. Orient trifft Okzident, Nutella trifft Fladenbrot, Kartoffelbrei trifft scharf gewürztes Fleisch. Wir sprachen zu Hause mit deutschen Vokabeln durchzogenes Hebräisch und liebten das mit slawischem Akzent gesprochene Deutsch meiner bulgarischen Großmutter, die immer nur Mark, nie Markt sagte. Komm, Linda, wir gehen zum Mark, und wir gingen auf den Markt. Einen Spruch wie »Deutschland den Deutschen«, über den die Nachrichten Anfang der Neunzigerjahre oft berichteten, hatte ich noch nie gehört.
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