Jerusalem, 21. März 2018 – In der Nacht zum Mittwoch (heute) hat Israel die Zerstörung einer geheimen Atomfabrik im Norden Syriens erstmals öffentlich eingestanden. Fast alle Einschränkungen der militärischen Pressezensur wurden aufgehoben. Viele der unmittelbar Beteiligten, darunter der damalige Verteidigungsminister Ehud Barak und die damalige Außenministerin Limor Livnat redeten im Rundfunk über die Planungen und Ausführung der „wichtigsten militärischen Aktion in der Geschichte Israels“.
Am 6. September 2007 stiegen in der Nacht vier israelische F-15 und vier F-16 Kampfflugzeuge von zwei Stützpunkten im Süden Israel auf. Sie flogen über Zypern in Richtung Osten zur syrisch türkischen Grenze. In großer Höhe steuerten sie das Ziel El Kibar in der Wüste nahe Deir A-Zour im Osten Syriens an und warfen 17 Tonnen Bomben ab. Mit dem Codewort „Arizona“ meldeten die Piloten die vollständige Zerstörung des im Bau befindlichen Atomreaktors an den „Bunker“ in Tel Aviv, wo Ministerpräsident Ehud Olmert, einige Minister und Spitzenmilitärs die Operation mitten in der Nacht verfolgten. Bis heute (Mittwoch) hatte Israel seine Beteiligung streng geheim gehalten und Veröffentlichungen im Ausland weder dementiert noch bestätigt.
Die israelische Regierung und der Geheimdienst hatten von dem Bau der syrischen Atom-Fabrik nur durch Zufall erfahren. Auch in Syrien wusste nur ein winziger Kreis von Vertrauten um Präsident Bashar Assad von den Plänen, mit Hilfe nordkoreanischer Wissenschaftler eine Atombombe zu bauen. Weder der syrische Verteidigungsminister noch andere Spitzenpolitiker waren eingeweiht.
Ende 2006 bemerkten die Israelis dank Satellitenaufklärung die Errichtung eines mysteriösen 20 Meter hohen Kubus in der Wüste, 450 Kilometer nördlich von Damaskus.
Auf die Spur des Reaktors waren die Israelis in Wien gekommen. Anfang März 2007 beteiligte sich Ibrahim Othman, Chef der syrischen Atomic Energy Commission, in Wien an Beratungen der Internationalen Agentur für Atom-Energie. Mitglieder der Keshet-Gruppe des Mossad brach in die geheime Wohnung ein, in der Othman übernachtete und „staubsaugte“ innerhalb weniger als einer Stunde aus seinem dort zurückgelassenen Laptop-Computer alle Informationen, darunter Fotos vom Innern des Kubus in der Wüste. Othman beteiligte sich währenddessen an den Beratungen der Atombehörde. Das Zurücklassen seines Laptops ohne Überwachung war wohl das schlimmste „Versehen“ in der Geschichte Syriens.
Die Israelis hatten nun Beweise in der Hand, dass die Syrer tatsächlich an einer Atombombe bastelten und bereiteten sich darauf vor, den Reaktor zu zerstören. Aus Aussagen der damaligen Verantwortlichen geht hervor, welche Hemmschuhe im Weg standen: Totale Geheimhaltung musste garantieren, dass die Vorbereitungen nicht an die Öffentlichkeit gerieten, weil Israel sonst an seinen Plänen gehindert worden wäre. Andererseits konnte Israels es nicht hinnehmen, dass ein unberechenbarer Nachbar im Besitz einer Atombombe sei. So übten Piloten monatelang den Angriff, ohne zu wissen, was sie da übten. Die Militärs wollten den Angriff nicht im Winter durchführen, wegen möglichen schlechten Wetters. Die Attacke musste geschehen, ehe der Reaktor fertig gestellt war und mit Uran geladen würde, damit es keine Strahlungs-Verseuchung entlang des Euphrates gebe. Ebenso wollten die Israelis sicherstellen, dass Syrien den Luftangriff nicht als „Kriegserklärung“ auffasste und Krieg gegen Israel startete.
Am Abend vor dem Angriff besuchte Ministerpräsident Ehud Olmert als Ablenkungsmanöver eine Hochzeit, damit niemand Verdacht schöpfe.
Trotz einer kleinen Panne verlief das Bombardement erfolgreich. Die syrische Luftabwehr war offenbar elektronisch lahmgelegt. Dass Israelis da herumgeflogen waren, bemerkte ein türkischer Bauer nahe der Grenze zu Syrien. Er fand er einen abgeworfenen Benzintank mit hebräischer Aufschrift auf seinem Feld. So war schon kurz nach dem Angriff klar, dass israelische Kampfflugzeuge an einem ansonsten „unbekannten“ Ereignis in der syrischen Wüste beteiligt waren.
Assad konnte nicht eingestehen, dass Syrien den Bau einer Atombombe plante, weil das zur internationalen Ächtung seines Landes geführt hätte. Deshalb behauptete er nach dem „Vorfall“, dass „Unbekannte“ nahe einer landwirtschaftlichen Versuchsfarm ein „Loch in die Wüste“ gebohrt hätten. Diese Erklärung bewahrte ihn vor der Notwendigkeit, einen möglicherweise verheerenden Krieg gegen Israel führen zu müssen. Damals, vor Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011, verfügte Assad noch über eine relativ starke Armee und vor allem über Raketen, mit denen er jeden Punkt im jüdischen Staat hätte treffen können. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass Israel die Fähigkeit hatte, Syrien komplett zu zerstören. Zwischen beiden Ländern funktionierte seit dem letzten Nahostkrieg 1973 eine gegenseitige Abschreckung. Deshalb hielten die Syrer ihre Grenze zu Israel auf den Golanhöhen hermetisch verschlossen und ließen keine Terroristen, Freiheitskämpfer oder andere Provokateure durch. Weil die Israelis zu dem Angriff eisern schwiegen, könnte Assad das „Gesicht wahren“ und auf eine Reaktion verzichten.
Im Rundfunk erzählte Außenministerin Limor Livnat, dass im Rahmen der Vorbereitungen zu dem Angriff an alle israelischen Botschaften „verschlossene Umschläge“ mit Geheimdienstmaterial zu den syrischen Atomplänen geschickt worden waren, um im Falle einer Panne bereit zu sein. Die Amerikaner seien heimlich informiert worden. Sie versprachen, „nicht einzugreifen“ und gaben so „grünes Licht“.
Unklar und deshalb Anlass für Spekulationen ist der Zeitpunkt, weshalb ausgerechnet jetzt die Zensur beschlossen hat, (fast) alle Informationen zu dem Angriff freizugeben. Der ehemalige UNO-Botschafter Ron Prosor, der als Generaldirektor des israelischen Außenministeriums in die Vorbereitungen eingeweiht war, verriet, dass die jetzigen Veröffentlichungen auch eine Botschaft an den Iran sein könnten. Die Amerikaner hätten damals „skeptisch“ reagiert, weil sie nach dem Debakel der vermeintlichen chemischen Waffen im Irak unter Saddam Hussein übervorsichtig geworden seien. Sie hätten den israelischen Entdeckungen nur bedingt getraut, weil ihr eigener Geheimdienst über keinerlei eigene Informationen zu den syrischen Atomplänen verfügte.
Sacha Stawski
https://www.timesofisrael.com/ending-a-decade-of-silence-israel-reveals-it-blew-up-assads-nuclear-reactor/