Israelischer Ex-Botschafter attackiert Vatikan

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Jerusalem, 14. November 2008 – „Juden sollte es gleichgültig sein, wen die katholische Kirche heilig spricht“ meint Sergio Minerbi, israelischer Diplomat, Vatikan-Experte und Politologe. Eine Ausnahme bilde jedoch Papst Pius XII. Während des Holocaust war er Kirchenoberhaupt.
In der israelischen Zeitung Haaretz veröffentlichte Minerbi einen scharfen Artikel gegen die Absichten des Vatikans, den „Holocaust-Papst“ Pius XII selig zu sprechen. Anders als andere jüdische oder israelische Kritiker des „Stellvertreters“, wie Hochhut den „schweigenden Papst“ in seinem Theaterstück bezeichnet, bringt Minerbi Argumente, die schwer zu widerlegen sein dürften. Minerbi ist ein intimer Kenner der Vorgänge in Rom während der deutschen Besatzung, da er selber dort den Holocaust überlebt hat, bei einem Katholiken versteckt.
Minerbi bezichtigt Papst Pius XII (1939 bis 1958), die Kirche als „Opfer der Nazis“ dargestellt zu haben, um den Holocaust zu christianisieren. Papst Johannes Paul II habe von „sechs Millionen“ Polen geredet, die während des Holocaust ermordet worden seien. Sein Nachfolger Benedikt XVI habe das Zitat in Auschwitz am 28. Mai 2006 verwendet, später aber wegen öffentlicher Kritik korrigiert, dass Juden gemeint waren.
Schlimmer noch. Pius XII habe den Holocaust als modernen Leidensweg der Christen bezeichnet, als „Golgatha der modernen Welt“. Golgatha ist der Hügel in Jerusalem, wo der Jude Jesus von Nazareth von römischen Legionären hingerichtet wurde und nach christlicher Auffassung die Welt von ihren Sünden erlöste. Minerbi fragt zynisch, ob die Ermordung von sechs Millionen Juden durch deutsche Nazis nach Auffassung der katholischen Kirche ebenfalls der Erlösung der Menschheit diente. Auschwitz als „Golgatha“ zu beizeichnen, sei ein Versuch der katholischen Kirche, sich den Holocaust als Teil der christlichen Heilsgeschichte anzueignen, behauptet Minerbi.
Bei den Diskussionen um die Seligsprechung von Pius XII hieß es zunächst, dass der umstrittene Papst nichts von der Massenvernichtung von Juden gewusst habe. Als sich dies als falsch herausstellte, änderte laut Minerbi der Vatikan seine Politik und behauptete, dass Tausende Juden „durch den Vatikan“ gerettet worden seien. Sie seien zwischen 1943 und 1944 in römischen Klöstern versteckt worden. Das habe nur durch Direktiven des Papstes geschehen können. Dem widerspricht Minerbi. Allein ein Bischof von Assisi habe auf Anweisung des Papstes gehandelt. Kein anderer Priester in der Welt habe je behauptet, auf Geheiß des Papstes Juden versteckt und gerettet zu haben. Minerbi behauptet, dass katholische Geistliche in Europa ihrem Gewissen und nicht Befehlen der Kirche gefolgt seien.
Minerbi schreibt weiter, dass die Geheimarchive des Vatikans nicht geöffnet werden müssten, um festzustellen, dass Papst Pius XII niemals das Wort „Juden“ in den Mund genommen habe, weder während des Zweiten Weltkriegs noch danach. Stets habe er von „armen Leuten“ gesprochen, die wegen ihrer Rasse oder Herkunft litten.
Minerbi erwähnt eine Studie über den 16. Oktober 1943, als die Nazis in Rom etwa 1200 Juden in Rom eingesammelt und 1024 zwecks Vernichtung nach Auschwitz geschickt hätten. Nur 15 hätten überlebt. Damals habe der Vatikan über Vatikan-Botschafter Ernst von Weizsäcker mit dem Deutschen Reich verhandelt. Außenminister Joachim von Ribbentrop, habe der „Neutralität des Vatikans“ zugestimmt, falls der Heilige Stuhl den deutschen Truppen in Rom „gutes Benehmen“ bestätige. Am 29. Oktober 1943 veröffentlichte das offiziöse Blatt das Vatikans, „Osservatore Romano“, dass deutsche Truppen die römische Kurie und Vatikan-Stadt respektiert hätten. Minerbi fragt, ob die Deportation von über tausend Juden nach Auschwitz und deren Ermordung der Preis für diese Nazi-freundliche Erklärung des Vatikans gewesen sei. Drei Tage nach der Deportation empfing Papst  Pius XII laut Minerbi den amerikanischen Vatikan-Botschafter Harold H. Tittman. Dabei sei nur die Verteidigung Roms vor kommunistischen Attacken zur Sprache gekommen, nicht aber die Ermordung der Juden. Und selbst nach dem Verschwinden der Nazigefahr, so Minerbi, habe es der Vatikan Nazi-Verbrechern geholfen nach Argentinien zu emigrieren, darunter Kriegsverbrechern wie Mitglieder der kroatischen Ustasha und ihres Anführers Ante Pavelic.
Nach dem Krieg sei Papst Pius XII gebeten worden, jüdische Kinder, die in katholischen Einrichtungen versteckt und deren Eltern ermordet worden waren, an ihre Familien zurückzugeben. Der Vatikan sandte eine Antwort an den damaligen Nuntius Roncalli in Paris, dem späteren Papst Johannes Paul XXIII. Papst Pius XII verfügte, jene Kinder, die ohne Wissen und Einverständnis ihrer ermordeten Eltern getauft worden seien, nicht an ihre jüdischen Angehörigen auszuliefern. So verlor das jüdische Volk weitere Mitglieder, obgleich sie den Massenmord durch die Nazis überlebt hatten.

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