Seine Eminenz, dem Hochwürdigsten Herrn
Kardinal Kurt Koch
Commissione per i rapporti religiosi con l’Ebraismo
Via della Conciliazione, 5
00120 Città del Vaticano
VATIKANSTADT
02.08.2018
כא אב ה’תשע”ח 21 Av 5778
Eminenz, sehr geehrter Herr Kardinal Koch,
als orthodoxe Rabbiner sind wir bemüht um einen partnerschaftlichen Dialog mit unseren katholischen Brüdern und Schwestern und möchten diesen Dialog und unsere Partnerschaft mit der Kirche vertiefen, um unser gegenseitiges Verständnis zu fördern, den Herausforderungen der zunehmend säkularen Gesellschaften wirksam zu begegnen und fundamentale ethisch-moralische Prinzipien in unserer Welt zu verankern. Wir suchen nach Wegen, die es uns ermöglichen, gemeinsam die Welt zu verbessern. Unsere Überlegungen zu den jüdisch-christlichen Beziehungen haben wir ausführlich in unserer Erklärung „Zwischen Jerusalem und Rom“ dargelegt, die wir auch mit Ihrer Hilfe, verehrter Herr Kardinal, Papst Franziskus in einer Audienz am 31. August 2017 übergeben konnten.
Wie wir in dieser Erklärung ausgeführt haben, sind wir bewegt und dankbar über die Schritte der Umkehr, die insbesondere die Katholische Kirche in den Jahren seit „Nostra aetate“ gegangen ist. Wir anerkennen die fast revolutionären, theologischen Veränderungen in Bezug auf die Juden und das Judentum der Katholischen Kirche, die sicherlich nicht immer leicht waren, die es aber erst ermöglicht haben, Vertrauen und Zuversicht zwischen unseren jeweiligen Glaubensgemeinschaften zu entwickeln und stetig zu stärken.
Gerade auch Papst Benedikt XVI. steht für die Kontinuität dieser positiven Entwicklung. Dafür zeugen seine Ansprachen etwa in der römischen Hauptsynagoge am 17. Januar 2010 und nicht zuletzt auch seine klare und unzweideutige Ablehnung des Vorwurfs des „Gottesmordes“ und der jüdischen Kollektivschuld am Tod Jesu im zweiten Band seines Jesus-Buches (2011).
Auch Sie, verehrter Herr Kardinal, und die Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, die Sie leiten, haben mit den Reflexionen „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29) zum 50-jährigen Jubiläums von „Nostra aetate“ (Nr. 4) einen beeindruckenden und sehr geschätzten Beitrag für die Verbesserung unserer Beziehungen geleistet.
Angesichts dieser so positiven Entwicklung der jüdisch-katholischen Beziehungen hat uns die jüngste Veröffentlichung in der Zeitschrift Communio von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. mit dem Titel „Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat ‚De Iudaeis’“ und auch Ihr Geleitwort dazu verwundert. Warum meinen Sie, wie Sie im Geleitwort zu diesem Text schreiben, der von seinem Autor nicht zur Veröffentlichung bestimmt war und nur für den internen Gebrauch in der von Ihnen geleiteten Kommission verfasst wurde, dass diese „theologischen Reflexionen in das künftige Gespräch zwischen Kirche und Israel eingebracht werden sollten“ und „der vorliegende Beitrag das jüdisch-katholische Gespräch bereichern wird“? Für uns stellen sich damit mehr Fragen und Zweifel als positive, zukunftsgerichtete Denkanstöße.
Uns ist bewusst, dass der in der Zeitschrift Communio veröffentliche Aufsatz kein lehramtlicher Text ist, dessen Aussagen unsere katholischen Gesprächspartner binden. Doch die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Text durch die Autorität seines Autors als emeritierter Papst sicher ist, lässt es uns notwendig erscheinen, Ihnen als dem für die Beziehungen zum Judentum zuständigen Kurienkardinal unsere Fragen und Zweifel mitzuteilen.
Papst Benedikt XVI. beginnt seine Ausführungen mit einem kurzen Abriss dessen, was als „parting of the ways“ von Judentum und Christentum in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bezeichnet wird. Man erwartet nun Überlegungen zum Verhältnis von Christentum und rabbinischem Judentum und zum gegenwärtigen Dialog von Juden und Christen. Stattdessen aber konzentriert sich der emeritierte Papst auf die christlich-theologischen Grundlagen des Dialogs, nämlich die Absage an die so genannte Substitutionslehre, derzufolge die Kirche Israel als Bundespartner des Ewigen abgelöst habe, und die Lehre vom ungekündigten Bund mit dem Volk Israel.
Wir wissen, dass nach christlicher Auffassung der so genannte „Alte Bund“ seine „Erfüllung“ im „Neuen Bund“ findet. Diese christliche Lehre ist jedoch nicht selten in der Kirchengeschichte so verstanden worden, dass das Volk Israel zugunsten der Kirche verworfen wurde. Obwohl Papst Benedikt XVI. bestreitet, dass es eine Substitutionstheologie vor dem II. Vatikanischen Konzil gegeben hat, muss er doch zugestehen, dass „der Gedanke der Verwerfung Israels die Vorstellung von seiner Funktion in der gegenwärtigen Heilsgeschichte weitgehend prägte“ (S. 321). Diese vermeintliche „Verwerfung Israels“ ist bis in die christliche Ikonographie (blinde Synagoge und triumphierende Kirche, Judensaudarstellungen an Kirchen usw.) vorgedrungen und hat das christliche Bewusstsein lange Zeit bestimmt. Nicht zuletzt diente sie in Zeiten sozialer Krisen als religiöse Begründung für die Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung unserer Vorfahren. Deshalb geht es uns weniger um die einzelnen Punkte, die Benedikt XVI. behandelt (Tempelkult, Recht, Messias) – obwohl dazu aus jüdischer Sicht manches anzumerken wäre –, als vielmehr um die sehr grundsätzliche Frage, ob die katholische Kirche das gegenwärtige Judentum wertschätzen kann und worin sich diese Wertschätzung theologisch ausdrückt.
In den jüngeren kirchlichen Dokumenten kommt die Wertschätzung des Judentums nicht zuletzt in der Lehre vom „ungekündigten Alten Bund“ zum Ausdruck (vgl. z.B. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 121). Diese hält Papst Benedikt XVI. auf Dauer nicht für tauglich (vgl. S. 335). Doch was soll an ihre Stelle treten? In seinem Aufsatz lesen wir etwas über eine “Umstiftung des Sinai-Bundes in den neuen Bund im Blute Jesu“ (S. 334), aber leider nichts über das „heutige Volk des mit Mose geschlossenen Bundes“ (Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache am 17. November 1980 in Mainz). Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Papst Benedikt XVI. in seinen theologischen Überlegungen für eine religiöse Wertschätzung des heutigen Judentums und einen darauf gegründeten Dialog wenig Platz lässt.
Dies zeigt sich exemplarisch an seinen ausführlichen Überlegungen zur Landverheißung (S. 328 – 331). Papst Benedikt XVI. stellt apodiktisch fest, eine theologische Deutung des Staates Israel, die die Staatsgründung in Bezug zur biblischen Landverheißung setzt, nach christlichem Verständnis unmöglich ist. Er leugnet zwar keineswegs das Existenzrecht Israels, erweckt aber den Eindruck, dass der Staat Israel sich eher historisch zufällig auf seinem heutigen Territorium befindet. Wäre es nicht sinnvoller, im Dialog mit jüdischen Positionen, wie sie etwa Rabbiner Joseph B. Soloveitchik in seinem Aufsatz „Kol dodi dofek“ (1956) entfaltet hat, zu überlegen, was die religiöse Verbundenheit des jüdischen Volkes mit dem Staat Israel für Christen bedeuten kann? Könnte die im Aufsatz isolierte Bemerkung, dass der Staat Israel „die Treue Gottes zum Volk Israel ausdrücken darf“(S. 330), nicht ein Gedanke sein, den man weiterentwickeln könnte?
Wir können nicht beurteilen, ob der Aufsatz von Papst Benedikt XVI. für die internen Überlegungen in der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum von Bedeutung ist. Doch wir fragen uns, inwiefern dieser Aufsatz das jüdisch-christliche Gespräch bereichern soll. Wir fragen uns auch, wie die Überlegungen des emeritierten Papstes in Einklang mit den Aussagen von Papst Franziskus stehen, wie sie z.B. im Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (2013) formuliert sind: „Gott wirkt weiterhin im Volk des Alten Bundes und lässt einen Weisheitsschatz entstehen, der aus der Begegnung mit dem göttlichen Wort entspringt. Darum ist es auch für die Kirche eine Bereicherung, wenn sie die Werte des Judentums aufnimmt.“ (Nr. 249)
Wir wären Ihnen, verehrter Herr Kardinal, sehr dankbar, wenn Sie uns dabei helfen könnten, Antworten auf unsere Fragen und Zweifel zu finden, die auch von vielen unserer katholischen Gesprächspartner geteilt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland
Rabbiner Avichai Apel Rabbiner Mordechai Eliezer Balla Rabbiner Yehuda Pushkin
Rabbiner Avraham Radbil Rabbiner Jehoshua Ahrens Rabbiner Arie Folger
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