Fehler passieren, vollkommene Ausgewogenheit ist nicht möglich und Vereinfachungen sind nötig, insbesondere bei kurzen Texten. Was sich aber ARD und SWR aktuell im Kontext der Ankündigung des Dokumentarfilms „Lea Tsemel, Anwältin“ an Einseitigkeiten und Zerrbildern geleistet haben, widerspricht sicherlich ihrem professionellen Anspruch – und ging immer zu Lasten Israels.
Am 10. Juli sendete die ARD spätabends den Dokumentarfilm, an dem der SWR direkt beteiligt ist, und stellte ihn zudem auch in der Mediathek zur Verfügung (verfügbar bis 17.07.2019)[1]. Dieser Film, in dem Attentate von Palästinensern als „Widerstand“ gegen Israel bezeichnet werden und israelische Opfer fast gar nicht thematisiert werden, bietet einigen Anlass für kritische Anmerkungen[2] – auch angesichts folgender Falschbehauptung im knapp eineinhalbminütigen Intro des Films:
„Seit 1967 dehnt Israel sein Gebiet um das Dreifache aus, besetzt den Osten Jerusalems, die Golanhöhen, den Gazastreifen, das Westjordanland; Gebiete, die die Palästinenser für sich beanspruchen.“
Diese genannten Gebiete entsprechen bei weitem nicht der Größenordnung einer Erweiterung „um das Dreifache“. Zudem hat sich Israel aus dem Gazastreifen wieder zurückgezogen, was im Intro nicht erwähnt wird. Die Golanhöhen gelten gar nicht als Gebiete, die von Palästinensern beansprucht werden. Die Sinai-Halbinsel, die von Israel 1967 erobert wurde und im Rahmen des Friedensabkommens mit Ägypten wieder geräumt wurde, wird im Intro gar nicht erwähnt. Ein Hinweis an die Online-Redaktion der ARD am 11. Juli wurde „an die produzierende Landesrundfunkanstalt“ weitergegeben, blieb ansonsten aber bislang unbeantwortet und der Film ist weiterhin unverändert und ohne Anmerkung oder Faktencheck veröffentlicht (Stand 14.07.2019)[3].
Und auch die kurzen Hintergrundinformationen zum israelisch-palästinensischen Konflikt, wie sie in den Programmankündigungen bei ARD und SWR gebracht wurden, boten Anlass zur Kritik. Der Text zum Dokumentarfilm auf der ARD-Website enthielt gleich zu Beginn folgende Passage:
“Israels Besatzung palästinensischer Gebiete führt seit Generationen zu blutigen Auseinandersetzungen. Auf palästinensischen Widerstand folgt israelische Expansion, eine friedliche Lösung des Konflikts ist in weite Ferne gerückt.”
Diese Darstellung, die alleinig Israel die Verantwortung und Schuld gibt und simplifizierend israelische „Expansion“ und palästinensischen „Widerstand“ gegenüberstellt, wurde u.a. auch von Uwe Becker, Bürgermeister der Stadt Frankfurt am Main und Antisemitismusbeauftragter des Landes Hessen, als „absolut einseitig gegen Israel gerichtetes Bild“ kritisiert: „Einseitiger als mit den ersten beiden Zeilen […] kann man die Komplexität des Nahost-Konfliktes kaum verkürzt und damit verfälscht dem Publikum nahebringen“[4].
Die ARD änderte später den Text der Programmankündigung (ohne auf die Änderung hinzuweisen) und formulierte diese Passage nun entsprechend dem Filmhinweis beim SWR[5]:
„Seit über 50 Jahren führt Israels Siedlungspolitik auf der einen und die Forderung der Palästinenser nach einem eigenen, offiziell anerkannten Staat auf der anderen Seite zu blutigen Auseinandersetzungen.“[6]
Auch wenn diese Formulierung scheinbar ausgewogener ist („auf der einen“ / „auf der anderen Seite“) als der vorherige Text auf der ARD-Website, so ist sie immer noch einseitig zuungunsten Israels (wer macht den Palästinensern schon einen Vorwurf, dass sie einen eigenen Staat fordern?).
Und dann wurde es noch interessanter: Bei der Recherche stellte sich heraus, dass diese von der ARD übernommene Formulierung des SWR[7] in einer früheren SWR-Pressemitteilung vom 5. Juni 2019[8] noch anders formuliert war:
„Seit über 50 Jahren führt Israels Siedlungspolitik auf der einen und die Weigerung der Palästinenser Israel als Staat anzuerkennen auf der anderen Seite zu blutigen Auseinandersetzungen.“
Aus der „Weigerung der Palästinenser, Israel als Staat anzuerkennen“, wurde also beim SWR-Text später „die Forderung der Palästinenser nach einem eigenen, offiziell anerkannten Staat“. Die Kritik an Israel blieb also im Text unverändert bestehen, aber Kritik an den Palästinensern, wie sie in der früheren Version durchklingt, wurde nun herausgenommen[9]. Aufgrund der kritischen Nachfragen passte der SWR dann die frühere Pressemitteilung entsprechend der aktuellen Textversion nachträglich an (ohne dies zu vermerken[10]). Auf die Frage, warum der Text inhaltlich geändert und zugunsten der Palästinenser massiv abgeschwächt wurde, ging der SWR bislang nicht ein (Stand 14.07.2019), es gab lediglich folgende Rückmeldung:
„Vielen Dank für Ihre Nachfragen. Bei dem älteren Pressetext handelte es sich um eine Entwurfsversion, die wir aktualisiert haben. Textaktualisierungen werden von der SWR Programmpresse in Absprache mit der verantwortlichen Redaktion koordiniert.“[11]
ARD und SWR sollten dringend klären, wieso solche Zerrbilder und Einseitigkeiten zu Lasten Israels in dieser Weise passiert sind, und die betreffenden Formulierungen korrigieren.
Jörg Gehrke
[1] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/lea-tsemel-anwaeltin-video-100.html
[2] https://www1.wdr.de/radio/cosmo/magazin/netzwelt/lea-tsemel-anwaeltin-100.html
[3] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/lea-tsemel-anwaeltin-video-100.html
[4] https://www.facebook.com/uwe.becker.545/posts/10219484580572988
[5] https://twitter.com/JoergMGehrke/status/1149726776798711808
[6] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/lea-tsemel-anwaeltin-100.html
[7] https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/pressemeldungen/Dokumentarfilm-im-Ersten-Advokat-AT,daserste-advokat-106.html
[8] http://web.archive.org/web/20190605132653/https://www.presseportal.de/pm/75892/4289405
[9] https://twitter.com/JoergMGehrke/status/1149628200353316865
[10] https://www.presseportal.de/pm/75892/4289405
[11] https://twitter.com/SWRpresse/status/1149673416368300032
Holger Rösler
Ich habe dazu eine Meinung. Aber ich möchte nicht ausfallend werden. Das sind doch keine Zufälle.