Redebeitrag von S.E. Botschafter Shimon Stein auf der Koordinierungstagung deutscher NGOs gegen Antisemitismus in Deutschland und Europa*

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Redebeitrag von S.E. Botschafter Shimon Stein auf der Koordinierungstagung deutscher NGOs gegen Antisemitismus in Deutschland und Europa*


 

18. Juni 2007, Centrum Judaicum

 

 

Verehrte Gäste[1],

 

Seit 59 Jahren gibt es den Staat Israel. Noch immer ist er gefährdet, bangt um seine Existenz und in Umfragen, welches Land der größte Feind des Friedens sei, wird Israel gemeinsam mit den USA auf den vordersten Plätzen genannt. Mit Abstand vor Ländern wie dem Iran oder Nordkorea. Das stimmt mich traurig.

 

Der Antisemitismus ist ein aktuelles wie klassisches Thema. Und ich begrüße es außerordentlich, daß heute dieses Koordinationstreffen von Nicht-Regierungsorganisationen stattfindet, um die Relevanz dieses Themas weiter in die Gesellschaft hinauszutragen und sich darüber Gedanken zu machen, was wir tun können.

 

Der Antisemitismus wird tiefgründig erforscht, seine Erkenntnisse sind aktuell wie nie. Angesichts der weltweiten Migrationsprozesse laufen vor unseren Augen Konflikte ab, die wir aus der Geschichte des Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden kennen.

 

Gibt man das Wort „Antisemitismus“ in die Suchmaschine Google ein, erhält man binnen 0,3 Sekunden ungefähr 2.610.000 relevante Ergebnisse:

Wir lesen von Alt-Neu-Haß, von einer konstanten Ideologie, jüdischem Streben nach Weltherrschaft, von Holocaust ebenso wie von „Raketen gegen steinewerfende Kinder“, wir lesen von einem weltweiten Zivilisationsproblem oder treffen auf bloße, vulgäre Ressentiments.

 

Der Antisemitismus ist Tatsache, er ist so alt wie das Judentum selbst.

 

Sartre bemerkte in seinen „Überlegungen zur Judenfrage“ sarkastisch: „Existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden“[2].

Diese Fremdenfeindlichkeit ist mehr als ein soziales oder religiöses Vorurteil. Antisemitismus ist eine antimoderne Weltanschauung, die in der Existenz der Juden die Ursache aller Probleme sieht und bis heute in vielen Staaten gegenwärtig ist: in unterschiedlicher Färbung, Intensität und gesellschaftlicher Wirksamkeit.

 

So werden wir beinahe täglich Zeugen von besorgniserregenden Entwicklungen in Europa – dem Kontinent, der die Vernichtung von zwei Dritteln seiner jüdischen Bevölkerung miterlebte. 

 

Als jüngstes Beispiel für Antisemitismus möchte ich die schockierende Initiative der größten britischen Hochschulgewerkschaft anführen, die zum Boykott israelischer Hochschulen und Wissenschaftler aufforderte und damit auch einen entscheidenden Angriff auf die akademische Freiheit unternahm. Israel wird diesen Boykott auf jeder Ebene bekämpfen, da er die Werte der freien Welt bedroht und falsche Schlußfolgerungen zieht.

 

Das Phänomen des neu aufflackernden Antisemitismus – und hier möchte ich Wolfgang Benz zitieren- „… speist sich besonders in Deutschland aus Gefühlen der Scham und Schuldabwehr: Nicht trotz – sondern gerade wegen Auschwitz – werden Ressentiments gegen Juden mobilisiert, die sich nicht allein an Entschädigungsleistungen und Wiedergutmachung polarisieren. Wie lange man noch büßen müsse, ob auch die unschuldigen Enkel für den Holocaust zahlten sollten, lauten die Schlachtrufe.“[3]

 

Der Historiker Daniel Goldhagen liefert hierzu eine Erklärung, mit der wir gefährliche Klischees umgehen und die uns die Richtung weisen soll:

„Antisemitismus verrät uns nichts über Juden, aber eine Menge über Antisemiten und über die Kultur, die sie hervorbringt. … Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Merkmale, Vergehen und Fähigkeiten, die Antisemiten im Laufe der Geschichte den Juden zugeschrieben haben … zeigt, daß sich der Antisemitismus in erster Linie aus kulturellen Quellen speist, die unabhängig von Wesen und Handlungen der Juden sind. Die Juden werden definiert, indem man kulturell abgeleitete Vorstellungen auf sie projiziert.“[4]

 

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel formulierte davon unabhängig: „Wir wissen, welche Rolle Juden seit 1945 in der Bundesrepublik inne haben: Wir waren und sind der Test für die deutsche Demokratie. Am Umgang mit uns Juden konnte, mußte sich jede Regierung bewähren. Ging man gut mit den Juden um, dann sah es gut aus mit der Demokratie in Nachkriegsdeutschland.“[5]

 

Und es stellt sich die Frage: Gilt dieser Test auch heute noch?

Immer, wenn in Deutschland Rechtsradikalität und Antisemitismus ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken, sind es zuerst die Juden, die nach ihrer Meinung befragt werden. Dabei ist es doch die deutsche Zivilgesellschaft, die in erster Linie gefordert ist zu handeln und zu reagieren.

 

Es steht außer Zweifel, daß in der Bundesrepublik Deutschland geeignete juristische Maßnahmen ergriffen werden, um Antisemitismus wie rechtsradikales Gedankengut prinzipiell zu bekämpfen. Werden Ergebnisse von aktuellen Studien zum Rechtsradikalismus angesprochen, ist dennoch zu beobachten, daß bei so manchem ein Abwehrmechanismus einsetzt:

Oft wird Kritik an Methodik und Fragestellung geübt, obwohl diese über mehrere Jahre geführten Studien einen eindeutigen Trend zum latenten Antisemitismus verzeichnen, der zudem offen zu Tage tritt. So bezeichnete 2005 die NPD im Sächsischen Landtag die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte als „Bomben-Holocaust“.

 

Im Alltag äußert sich dieser neue Antisemitismus, oft verpackt als Israelkritik oder als Wunsch, „mit der Vergangenheit abzuschließen“. Oder wie Henryk M. Broder feststellte: „Der moderne Antisemit leugnet nicht den Holocaust, sondern benutzt ihn als Argument gegen die Juden.“

 

Hier ist die Gesellschaft in all ihren Gremien aufgefordert, eine umfassende Aufklärungsarbeit zu leisten und offene wie nach allen Seiten kritische Diskussionen zu führen. „Ich höre nicht hinter jeder Kritik einen antisemitischen Klang. Konstruktive Kritik hinterfragt Verhalten und Tatsachen. Der Kritik an Israel, dem kollektiven Juden der internationalen Politik, fehlt aber bewußt oft gerade diese wichtige Dimension.“

 

Darum ist jede Initiative begrüßenswert, die zu einer kritischeren Debatte beiträgt, denn nicht alle Ziele sind durch Bundestagsresolutionen erreichbar. Jede Organisation, jede Partei, aber auch jeder einzelne hat dazu Möglichkeiten.

 

Der Antisemitismus stellt für uns alle eine enorme Herausforderung dar, deshalb sind wir verpflichtet, alle Kräfte zu bündeln, die es sich zum Ziel gesetzt haben, gemeinsam zu arbeiten. Wir sind zu wenige, um uns in verschiedene Richtungen aufzuspalten. Daher mein Appell, geschlossen und entschlossen alle Kräfte zu vereinen, die bereit sind, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen.

 

Arno Lustiger hat gefordert, einer Berichterstattung über den Antisemitismus einen festen Sendeplatz in den Medien zu geben – diese Forderung begrüße ich sehr. Eine solche Berichterstattung kann erheblich der Aufklärung und der gesellschaftlichen Debatte dienen, denn viel zu wenig wissen wir beispielsweise über die Parallelen, die zwischen dem Antisemitismus der Linksradikalen, der Rechtsradikalen und islamischen Radikalen bestehen.

 

Gerade vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den radikalen islamistischen Terrorismus ist es wichtig, durch internationale Organisationen auf allen Ebenen für ein aufgeklärtes und informiertes Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden zu sorgen.

 

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat mit seiner jüngsten Äußerung, der Countdown für die Vernichtung Israels laufe, weltweit für Empörung gesorgt und in Israel zu Angst und Schrecken. Israel hofft, daß sich der UN-Sicherheitsrat zu einer Verurteilung der Äußerung durchringen möge.

 

Es bedarf entschiedenen Engagements gegen Extremismus, gleich aus welchem politischen oder religiösen Lager er kommen mag. Aus dem  Jahresbericht von „Human Rights First“ ging Anfang Juni hervor, daß Übergriffe gegen Juden in Europa oftmals durch Kritik an Israel gerechtfertigt würden. Während eine Anzahl von Regierungen Schritte unternehme, stehe die Mehrheit der europäischen Regierungen dem Phänomen gleichgültig gegenüber.

 

Meine Damen und Herren,

„Antisemitismus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist und bleibt die Verpflichtung aller Staaten, ihn in allen Formen gesellschaftlich zu ächten und mit der Härte des Gesetzes zu verfolgen.“[6]

Doch die Härte des Gesetzes allein kann nicht die Lösung sein, es geht auch um Bewußtsein, Geschichtsverständnis, soziale Verantwortung. Dafür sollten wir vor allem auch die nachfolgenden Generationen sensibilisieren, wobei die  Maßnahmen der Aufklärung und Vermittlung umfassend sein müssen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Initiative und wünsche eine erfolgreiche Tagung.

 

*Aufgrund eines Terminengpasses war Botschafter Stein kurzfristig gezwungen sich durch den Gesandten Ilan Mor vertreten zu lassen, der die Rede von Botschafter Stein dankenswerter Weise in dessen Auftrag verlas und durch einige seiner eigenen Worte ergänzte und unterstrich.

 



[1] Aufgrund des Tagungscharakters würde ich auf eine Begrüßung einzelner Personen verzichten.

[2] Jean Paul Sartre: Überlegungen zur Judenfrage, 1945

[3] Benz, Wolfgang: Antisemitismus ohne Antisemiten? Anmerkungen zur Möllemann-Affäre, 2002, Tribüne 2002, S. 89

[4] Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker, Siedler Verlag, 1996, S. 59

[5] Spiegel, Paul: Rede vor dem Jugendkongreß 2002 am 03.10.2002

[6] Hildegard Müller „Perspektiven“, S. 311 in „Neu-alter Judenhass“ Berlin Brandenburg Verlag 2007



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