Arno Lustiger fordert Bericht über Antisemitismus

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Arno Lustiger fordert Bericht über Antisemitismus

 
Alan Posener von Alan Posener, Kommentarchef der WELT am SONNTAG
 

Der große Historiker Arno Lustiger hat in einem Schreiben an die Mitglieder des Deutschen Bundestages seine Forderung nach einem jährlichen Bericht der Bundesregierung über den Antisemitismus und den Kampf dagegen erneuert. Ich gebe zu, dass ich zunächst skeptisch war, als ich von Klaus Faber darauf angesprochen wurde. Würde das nicht einfach noch ein Ritual werden, bei dem alle das Richtige sagen und sich am Ende dennoch nichts verändert? Doch sind Lustigers Argumente nicht von der Hand zu weisen. ich dokumentiere hier seinen Brief im Wortlaut.

An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
Frankfurt am Main, im September 2007

Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete,
sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter, 

im Februar dieses Jahres hatte ich mich mit einem Schreiben an Sie gewandt, mit dem der von Klaus Faber, Julius H. Schoeps und Sacha Stawski herausgegebene Sammelband „Neu-alter Judenhass – Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik“ vorgestellt wurde. Ich habe zur 2. Auflage dieses Buches, das Ihnen zugesandt worden ist, ein Geleitwort geschrieben. In meinem Schreiben vom Februar hatte ich auch die politische Forderung an die Bundesregierung unterstützt, in Anlehnung an das Vorgehen anderer Staaten einen jährlichen Bericht zur Antisemitismusbekämpfung herauszugeben. Der Bericht sollte, so meine Vorstellung, unter Beteiligung des Innenministeriums und des Auswärtigen Amtes über die Verbreitung antisemitischer Strömungen in allen Gesellschaftsteilen und -institutionen einschließlich der Medien Auskunft geben sowie darlegen, welche Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden. Es geht beim neu-alten Antisemitismus nicht nur um ein Problem im rechtsradikalen Milieu, sondern auch um eine Erscheinung, die unter unseren muslimischen Bürgerinnen und Bürgern und bis in die Mitte der Gesellschaft weit verbreitet ist.  Ein Zusammenwirken verschiedener Antisemitismusvarianten spielt dabei eine Rolle. Der deutsche Schuldabwehr-Antisemitismus, u. a. in der von vielen Deutschen geteilten Meinung zu erkennen, Israels Politik gegenüber den Palästinensern sei Hitlerdeutschlands Verbrechen an den Juden gleichzustellen, wird von der islamisch-arabischen Propaganda gefördert.

Israel ist, wie zum Teil auch der Mediendiskurs zeigt,  in mancher Hinsicht zum kollektiven Juden gemacht worden. Sehr häufig erleben wir die Verwendung doppelter Standards gegenüber Israel, wie sie etwa im Verhalten einer britischen Wissenschaftlervereinigung sichtbar werden, die einerseits zum akademischen antiisraelischen Boykott aufruft, andererseits aber zum Völkermord im Sudan schweigt. Zahlreiche ausgewiesene Experten ganz unterschiedlicher Herkunft und Orientierung – Wissenschaftler, Politiker und andere im Kampf gegen den Antisemitismus Engagierte, unter ihnen Christen, Muslime und Juden aus Deutschland, Österreich, Israel und den USA (u. a. Rabbi Andrew Baker vom American Jewish Committee und Abraham Foxman von der Anti-Diffamation League) – greifen in Beiträgen zu dem erwähnten Sammelband die antisemitische Israelfeindschaft und andere Fragen zum aktuellen Antisemitismus in Deutschland und Europa auf. Es müsste eigentlich überflüssig sein – ist es aber leider nicht -, hier zu betonen, dass selbstverständlich nicht jede Kritik an Israels Regierungen antisemitisch ist, wie z. B. Israels Presse in scharfen Auseinandersetzungen mit der Regierungspolitik fast täglich belegt. 

Die von mir erhobene Forderung nach einem Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung hat inzwischen u. a. durch den scheidenden israelischen Botschafter Shimon Stein, die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und den außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Prof. Gert Weisskirchen, der zugleich persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden für die Antisemitismusbekämpfung ist, Unterstützung gefunden. Die Berichterstattung von Prof. Gert Weisskirchen hat dabei deutlich gemacht, dass uns nicht nur in verschiedenen zentralen Bereichen u. a. Daten und Erhebungen in Deutschland fehlen, sondern darüber hinaus etwa zwei Drittel der OSZE-Staaten ihren Berichts- und Bestandsaufnahmepflichten nach den einschlägigen Forderungen von OSZE-Konferenzen bislang überhaupt nicht nachkommen. Bei diesem Stand wäre es außerordentlich wichtig, wenn Deutschland in Europa mit einem jährlichen Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung eine internationale Vorbildrolle spielen würde.

Zu meinem Erstaunen habe ich gehört, dass gegen die Berichtsforderung eingewandt worden ist, angesichts der Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder sei eine gesonderte Berichterstattung  der  Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung nicht erforderlich. Eine derartige Einschätzung kann nur auf großer Unkenntnis der Verhältnisse und der Optionen beruhen, die durch eine Berichterstattung über den Stand und die Handlungsoptionen eröffnet werden. Wie geschildert, gibt es für wichtige Gebiete, z. B. über den Antisemitismus von muslimischen Bürgerinnen und Bürgern und auch über den neuen israelfeindlichen Antisemitismus, noch keine ausreichenden Erhebungen. Außerdem liegt Antisemitismus ja nicht nur dort vor, wo Straftaten verfolgt werden. Ein Bericht der Bundesregierung müsste sich neben der Bestandsaufnahme auch mit der Antisemitismusbekämpfung selbst befassen, z. B. mit den Maßnahmen gegen die antisemitische Propaganda. aus arabischen und islamischen Ländern. Die ohne jeden Zweifel antisemitische Hisbollah ist in Deutschland z. B. noch immer nicht verboten. Eine jedes Jahr stattfindende öffentliche Debatte über einen Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung eröffnet zudem viele bislang nicht vorhandene Möglichkeiten für einen kritischen Diskurs. Eine weitere Behauptung, die gegen die Berichtsforderung vorgebracht worden ist, geht dahin, ein Bericht der  Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung könnte nach den Erfahrungen mit Regierungsberichten den wesentlichen Fragen ausweichen oder zumindest ungenau und unvollständig antworten. Auch dieser Gefahrenerwartung könnte aber eine jährliche kritische Diskussion durchaus entgegenwirken. Außerdem weigere ich mich, die Bundesregierung bei einem derartigen Thema von vorneherein unter Verdacht zu stellen. 

Ich freue mich, Ihnen in diesem Zusammenhang mitteilen zu können, dass 37 deutsche Nicht-Regierungsorganisationen sowie Institutionen und Personen, die in der Antisemitismusbekämpfung engagiert sind, am 18. Juni 2007 zu der Koordinierungstagung ,Gegen Antisemitismus in Deutschland und Europa‘ im Centrum Judaicum in Berlin zusammengekommen sind und durch eine dort beschlossene Resolution die Forderung an die Bundesregierung aufgenommen haben, einen jährlichen Bericht zur Antisemitismusbekämpfung herauszugeben und dem Bundestag zuzuleiten. Der Gesandte Ilan Mor der Botschaft des Staates Israel, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Petra Pau, Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bundestagsfraktionen, unter ihnen der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe Jerzy Montag (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Prof. Gert Weisskirchen, Gitta Connemann (CDU/CSU-Fraktion), Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, sowie (in Form eines schriftlichen Grußworts) der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Eckart von Klaeden und Markus Löhning aus der FDP-Fraktion, haben Grußworte zum Gelingen der Konferenz am 18. Juni 2007 übermittelt, sich zum Teil an der Diskussion beteiligt und in einigen Fällen, wie bereits erwähnt, ausdrücklich die Forderung nach einem Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung unterstützt. Über die Ergebnisse im Einzelnen unterrichtet Sie eine Presseerklärung des von der Konferenz eingesetzten Koordinierungsrates deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus, die ich zu Ihrer Information beigefügt habe. Die Konferenz hat den Koordinierungsrat am 18. Juni 2007 beauftragt, spätestens bis zum Sommer 2008 die 2. Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus erneut nach Berlin einzuberufen und dort über die bis dahin erzielten politischen Ergebnisse zu berichten.

In meinem Februar-Schreiben hatte ich Ihnen meine Auffassung mitgeteilt, dass der Antisemitismus, besonders dessen islamische Prägung, nicht alleine die Sorge der Juden sein sollte. Als Auschwitz-Überlebender und Schoa-Historiker bin ich der Meinung, dass die Erinnerung an den Holocaust uns alle verpflichtet.  

Für eine Unterstützung der Forderung nach einem Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung wäre ich Ihnen dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Arno Lustiger


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