Die Anti-Antisemiten

  • 0

Die Anti-Antisemiten

 

Henryk M. Broder

Die Weltwoche, Ausgabe 05/08

 

Es ist schon eine Weile her, dass Karl Kraus über einen Kongress zur Bekämpfung der Prostitution schrieb: „Die Herren berieten, wie sie der Prostitution und den Prostituierten zugleich auf den Leib rücken könnten.“ Seit die Prostitution weitgehend legalisiert wurde, finden solche Exerzitien nicht mehr statt; das Bedürfnis allerdings, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, gibt es nach wie vor, es artikuliert sich nur anders.

Ende letzter Woche kamen im Deutschen Bundestag über 1oo Fachleute aus aller Welt zusammen, um sich gegenseitig auf den letzten Stand in Sachen „Judenhass“ zu bringen und über geeignete Strategien zur Bekämpfung antisemitischer Strömungen zu beraten.

Eingeladen zu der Konferenz hatte der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen. Es war nicht das erste Treffen dieser Art, das von dem  Kulturwissenschaftler organisiert wurde, neben vielen anderen Ehrenämtern dient er auch dem OSZE-Vorsitzenden als „Persönlicher Beauftragter zur Bekämpfung des Antisemitismus“. Zu seinen Aufgaben gehört es, sich darüber Gedanken zu machen, wie man dem Antisemitismus und den Antisemiten zugleich auf den Leib rücken könnte. Das ist nicht immer einfach. Bei einem „öffentlichen Expertengespräch“ Ende 2oo4 wollte einer der Teilnehmer unbedingt über „israelische Kriegsverbrechen“ sprechen, die für den aktuellen Antisemitismus ursächlich wären. Das wiederum fanden andere Teilnehmer unpassend.

Dieses Jahr freilich gab es keine Dissonanzen. Die Sitzung verlief so harmonisch, dass ein aus den USA angereister Gast, Rabbiner Andrew Baker, etwa zur Halbzeit in einen Tiefschlaf fiel, aus dem erst aufwachte, als alles vorbei war. Denn alles, worüber geredet wurde, war längst bekannt und vielfach durchgekaut. Man war sich einig, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft kommen und dass gute Worte allein nicht genug sind, um mit solchen Erscheinungen fertig zu werden.  Zu den Beispielen, die den Ernst der Lage belegen sollten, gehörte auch „Antisemitismus auf dem Fußballplatz“. Die Spieler des jüdischen Vereins TuS Makkabi Deutschland sind antisemitischen Pöbeleien seitens ihrer Gegner und deren Fans ausgesetzt, einmal musste sogar ein Spiel abgebrochen werden.  „Antijüdische Gesänge“ gehören in den Stadien zur Tagesordnung.

Ein anderes Thema, das ebenfalls ausführlich behandelt wurde, waren Schändungen jüdischer Friedhöfe. Seit Jahren werde „Woche für Woche“ irgendwo ein jüdischer Friedhof verwüstet, berichtete die Abgeordnete Petra Pau zum Entsetzen der Zuhörer, ohne dass irgendetwas dagegen unternommen werde, die Regierung wolle „das Problem lieber wegdrücken“, erklärte die Abgeordnete der Linksfraktion.

So richtete man sich im Gruselkabinett des Antisemitismus gemütlich ein, denn alles, was beredet wurde, war konsensfähig. Es war, als würden High-Tech-Experten darüber diskutieren, wie man die Sicherheit bei Reisen mit Pferdefuhrwerken verbessern könnte. Alles, was für den Judenhass von heute charakteristisch und relevant ist, wurde beschwiegen: der linke und der liberale Antisemitismus, der im Gewand des Antizionismus auftritt, die Aufrufe zum Boykott israelischer wissenschaftlicher Einrichtungen durch fortschrittliche europäische Akademiker, der islamische Antisemitismus, dessen Repräsentanten nach A-Waffen und einer „World Without Zionismus“  streben. Statt dessen regte man sich lieber engagiert über Friedhofs-schändungen und antisemitische Pöbeleien auf Sportplätzen auf. Ein junger deutscher Politologe, der als einziger aus der Reihe tanzte und das Kind beim Namen nannte, wurde mit Nichtachtung bestraft.

Die Abgeordnete Petra Pau, die sich um die Totenruhe auf jüdischen Friedhöfe sorgt, hätte nur einen Blick in die Aussendungen ihres Kollegen und Parteifreundes Norman Paech werfen müssen, um zu begreifen, dass es Schlimmeres gibt als umgeworfene Grabsteine. Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, sein Hobby ist die Lage im Nahen Osten – aus der Sicht der Palästinenser betrachtet. Zum Beschuss israelischer Orte mit Raketen aus dem Gaza-Streifen meinte der konvertierte Sozialdemokrat, erst die „Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates“ werde solche „Gefahren für die israelische Bevölkerung“ beseitigen. Und  nachdem Aktivisten der Hamas mit schwerem Gerät die Grenze zu Ägypten platt gemacht hatten, schrieb Paech, die Menschen in Gaza hätten „in  größter menschlicher Verzweiflung“ ein paar „Löcher in die Grenzanlagen“ gesprengt. Denn: „Der Gaza-Streifen ist vollständig in der Hand Israels. Als Besatzungsmacht kontrolliert Israel das Leben der Palästinenser…“

Paech weiß es natürlich besser. Er weiß,  dass die Räumung des Gaza-Streifens durch die Israelis die militanten Palästinenser nicht friedlicher sondern aggressiver gemacht hat. Dass sie nicht für einen palästinensischen Staat neben sondern anstelle von Israel kämpfen. Und dass die Kassam-Raketen nicht in den besetzten Gebieten sondern im israelischen Kernland einschlagen. Aber darauf kommt es nicht an. Das Einzige, worauf es ankommt, ist: Der Jud ist schuld.

Und nun zurück zu den schlimmen Antisemiten auf den Fußballplätzen.

HMB, Bln, 27.1.08

 

 


Hinterlasse eine Antwort