Wie islamisch ist die iranische Staatsdoktrin?

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Wie islamisch ist die iranische Staatsdoktrin?

 
Wahied Wahdat-Hagh von Wahied Wahdat-Hagh, Kolumnist für WELT DEBATTE

 

Ahmad Qabel ist ein Schüler des am 19. Dezember 2009 verstorbenen Großayatollahs Montazeri. Qabel wurde am 20. Dezember in Mashad von khomeinistischen Geheimdienstagenten verhaftet. Jaras (Glocke), eine Nachrichtenagentur, die aus dem Exil betrieben wird, hatte mit Qabel vor seiner Verhaftung ein Interview geführt. Indessen hat der iranische Geheimdienst den Iranern verboten, mit Jaras zusammenzuarbeiten.

In einem Interview, das Jaras am 26.12.2009 veröffentlichte, ist Ahmad Qabel der Überzeugung, dass viele Schüler von Großayatollah Montazeri und von Ayatollah Khoi heute davon ausgehen, dass das politische Staatskonzept des Iran in der schiitischen Lehre „nicht nachweisbar“ existiere.
Ayatollah Khomeini hatte die absolute Herrschaft des Klerus angeordnet, bis der „verschwundene Imam“, der 12. Imam der Schiiten, wiedererscheine – so die Staatsdoktrin der „Islamischen Republik Iran“, die sich „Welayate Faqih“ nennt.

Qabel ist der Meinung, dass die Gegner des Konzepts der absoluten Herrschaft des Klerus in den religiösen Zentren der Schia täglich stärker würden. Es könne im islamischen Recht und in den religiösen Quellen nicht nachgewiesen werden, dass der Anspruch der absoluten Herrschaft des Klerus eine Gültigkeit habe. Qabel bezieht sich auch auf Ayatollah Araki, der der Meinung gewesen sei, dass jeder Mensch sein eigenes Schicksal bestimmen dürfe.

Das große „Unglück“ des schiitischen Klerus: Abhängigkeit vom Staat

Für Qabel ist die Abhängigkeit des schiitischen Klerus vom Staat nicht weniger als ein „Unglück“. Seit der Machtübernahme von Ayatollah Khamenei sei die Leitung der religiösen Zentren in Qom vom „Sicherheitsapparat“ übernommen worden. Sogar die Vergabe von Zeugnissen, die den religiösen Rang der Kleriker bestimmen, sei immer mehr von politischen Fragen, die der Staat definiert, abhängig geworden. Wer gegen die staatliche Einflussnahme der religiösen Ausbildung gewesen sei, soll Nachteile bekommen haben. Manchmal seien Kleriker sogar vor speziellen Gerichten, die für Kleriker einberufen wurden, zitiert und verurteilt worden.

Es sei so weit gekommen, dass heute die Leitung der religiösen Schulen in Qom und in anderen iranischen Städten nicht mehr von Geistlichen, sondern von „Herrn Khamenei“, dem iranischen Revolutionsführer, bestimmt und ernannt werde.

Im ersten Jahrzehnt nach der Revolution habe der Klerus in Qom noch seine Unabhängigkeit vom Staat bewahrt. In den letzten zwei Jahrzehnten aber sei der „schiitische Klerus immer mehr von der Herrschaftsmacht abhängig geworden.“

Gegenwärtig verfüge die Leitung der religiösen Zentren in Qom über ein staatliches Budget. Zudem „pumpe“ Herr Khamenei Sonderzahlungen an religiöse Schüler und „wissenschaftliche Institutionen“ in die religioesen Zentren. Somit wachse die Abhängigkeit mancher Kleriker von den finanziellen Mitteln des Staates.

Zu Lebzeiten von Großayatollah Montazeri seien manchmal Klerikerschüler von staatlicher Seite dazu aufgehetzt worden, die Häuser von Ayatollah Montazeri und von Ayatollah Sanei aus Protest zu stürmen. Ayatollah Sanei sei als ein „amerikanischer Kleriker“ bezeichnet worden.

Der schiitische Klerus und die Staatsmacht

Qabel meint, dass diese politischen Streitereien, die es seit der Revolution von 1979 gegeben habe, auf die „Vermischung des Staates und der Religion“ zurückzuführen seien.
Der schiitische Klerus sei im Jahre 1978-1979 gar nicht davon ausgegangen eines Tages den Sieg zu erringen. Deswegen habe der Klerus keineswegs einen Plan gehabt, wie ein Staat geführt werden sollte. Ayatollah Khomeini habe geschwind den Revolutionsrat gegründet. Binnen zehn Tagen sei dann der Schah gestürzt worden. Der schiitische Klerus wollte nach dem Sieg der islamischen Revolution die alleinige Macht übernehmen. Aber dem Klerus fehlte das Know How wie ein Staat verwaltet werden müsse. Mit der neuen islamischen Verfassung habe der Klerus endgültig seine Macht konsolidiert.

Gewalt und Klerus

Qabel gesteht, dass Ayatollah Khalkhali mit dem Einverständnis von Ayatollah Khomeini viele Persönlichkeiten des Schahregimes hinrichten ließ, weil Khalkhali, Khomeini und Millionen Iraner fälschlicherweise davon ausgingen, dass unter dem Schah 60.000 Oppositionelle hingerichtet worden seien. Später habe sich heruasgestellt, dass von 1961 bis 1979 nicht mehr als 3000 Menschen und keineswegs 60.000 Menschen hingerichtet worden waren. Aber die falschen Annahmen hätten zu Hassausbrüchen geführt. Viele Menschen seien kurz nach der Revolution hingerichtet worden, die vielleicht der Revolution hätten dienen können. Zumindest sei ihre Hinrichtung aus religiöser Perspektive nicht gerechtfertigt gewesen. Nach den Konflikten mit dem ersten nachrevolutionären Präsidenten Banisadr habe Khomeini „leider“ auch den Befehl erteilt, dass jeder, der eine Zeitung von den Volksmojahedin in der Hand halte, sofort hingerichtet werden sollte.

Die Judikative, die seit der Revolution von 1979 vom Klerus übernommen worden sei, habe bis heute nur sehr aggressive Menschen in den Apparat gehievt, sagt Ahmad Qabel, der Schüler von Ayatollah Montazeri.

Die Macht des Revolutionsführers

In der „Islamischen Republik Iran“ habe der Revolutionsführer das Recht über das Gesetz zu bestimmen, auch wenn manche hochrangige schiitische Geistliche die Meinung des „Führers“ nicht teilten. Dies habe viele Probleme mit sich gebracht, beispielsweise die Frage, ob alle Kleriker der Meinung des Revolutionsführers folgen müssen. Lange Zeit sei im Grunde ungeklärt gewesen, wie eigentlich der Meinungsstreit zwischen schiitischen Klerikern einer religiösen Schule in Qom und einem Staatskleriker zu lösen sei. Schließlich sei von Khomeini bei der Lösung der Frage, wer sein Nachfolger werden würde, ein Exempel statuiert worden. Nicht allein der religiöse Rang sei wichtig gewesen, weil der Revolutionsführer auch andere Eigenschaften haben sollte. Tatsächlich wurde nicht Großayatollah Montazeri „Führer“, sondern der Kleriker mit Erfahrungen an der Kriegsfront, „Herr Khamenei“, der noch nicht einmal ein einfacher Ayatollah war.

Qabel ist sich sicher, dass innerhalb des schiitischen Klerus ein Wandel der Meinungen zu beobachten sei: Der oberste Kleriker solle eher eine Beaufsichtigungsrolle übernehmen als die eines „Revolutionsführers“. Zumal es den religiösen Schülern in den religiösen Zentren wie in Qom sehr schlecht ginge. Über 80 Prozent der „Taleban“ würden faktisch jetzt schon unter dem Existenzminimum leben. Falls der Staat ihr Budget eines Tages streichen würde, sei diese Schicht nicht mehr lebensfähig. Manche der religiösen Schüler könnten noch nicht einmal ihre Stromkosten zahlen.

Mehdi Karroubi ist jedenfalls über die gegenwärtige Lage im Iran verzweifelt und sagt laut eines Artikels vom 6.1.2010: „Wir konnten es uns nicht vorstellen, dass die Islamische Republik eines Tages so weit kommt.“

Und abschließend die Moral der Geschichte: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Staatsklerus und Klerus. Auch wenn der schiitische Klerus nicht den Fortschritt im Iran repräsentiert.

Zudem gehören Karroubi und Moussawi zwar nicht mehr zum Zentrum der Macht. In einem freien Iran werden solche Politiker den Iranern dennnoch antworten müssen, welche Verantwortung sie für die staatlichen Verbrechen der letzten 30 Jahren bereit sind zu übernehmen.

 

 


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