Niebel verärgert über Israel

  • 0

Jerusalem, 20.6. 2010  – „Manchmal macht es die israelische Regierung ihren Freunden nicht einfach zu erklären, wieso sie so handelt, wie sie es tut“, sagte Entwicklungshilfemi nister Dirk Niebel (FDP), obgleich ihm schon vor seiner Abreise nach Israel mitgeteilt worden war, dass er nicht über den Erez-Grenzübergang in den Gazastreifen einreisen dürfe. Niebel ist freilich nicht der erste ausländische Politiker, dem Israel einen Besuch im Gazastreifen verwehrt. Visiten im Gazastreifen kämen einer politischen Aufwertung der von EU und USA als „Terrororganisation“ definierten radikal-islamischen Hamas gleich.
Die Hamas hat im Juli 2007 gegen die Autonomiebehö rde mit Sitz in Ramallah im Westjordanland geputscht, etwa 500 Anhänger der rivalisierenden Fatah-Partei des Präsidenten Mahmoud Abbas ermordet, etwa 2000 durch Knieschüsse zu Krüppeln gemacht und viele in die Flucht ausgerechnet nach Israel gejagt. So hat die Hamas auch eigenhändig die Blockade des Gazastreifens geschaffen, indem sie alle aus Anlass des Rückzugs Israels im August 2005 getroffenen Abmachungen physisch zertrümmerte: Die Fatah-Elitesoldaten der Präsidentenwache wurden vom Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen verjagt. Die israelischen Überwachungskameras und Computer mitsamt Durchleuchtungsmasc hinen wurden zerstört. Die europäischen Beobachter, darunter deutsche Zöllner, die den geordneten Grenzverkehr garantieren und überwachen sollten, flohen nach Israel. Ägypten hatte sich gegenüber Israel verpflichtet, diese Abmachungen einzuhalten. Deshalb konnten sie ihrerseits die Grenze nicht mehr öffnen, ohne gegenüber Israel vertragsbrüchig zu werden und den Friedensvertrag mit Israel zu gefährden.
Auch die Seegrenze steht unter israelischer Verantwortung, gemäß den im Völkerrecht verankerten „Osloer Verträgen“ zwischen Israel und der PLO, 1993 von Jassir Arafat und Jitzhak Rabin unterzeichnet. Darin übergab Israel den Palästinensern nur eine Selbstverwaltung, während die Kontrolle der Außengrenzen voll bei Israel blieb. Zwar hat sich Israel 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen, aber UNO und IKRK (Rotes Kreuz) bestehen darauf, dass Israel weiterhin Besatzer und deshalb Verantwortung für das Wohl der rund 1,5 Millionen Menschen in dem schmalen Küstenstreifen trage. Genau aus diesem liefert Israel neben Strom und Wasser auch wöchentlich rund 200 Lastwagen voll mit Hilfsgütern, trotz Raketenbeschuss und Attacken „bewaffneter Gruppen“ auf israelische Grenzpatrouillen. Alles zusammengezählt erhielt jeder Palästinenser allein im Jahr 2009 rund eine Tonne Hilfsgüter: Windeln, Trockenmilch, Rindfleisch, Gemüse, Lämmer während des Ramadan, Schulbücher, Waffeln, Kinderspielzeug und vieles mehr. Nur Zement und Metalle sowie Kunstdünger, aus dem Sprengstoff hergestellt werden kann, wurden nicht in den Gazastreifen geliefert, um die Hamas daran zu hindern, ihre militärische Infrastruktur auszubauen. Auch wenn Niebel sich nur von Vertretern der UNO führen lässt und keine Treffen mit der Hamas plant, hätte sein Besuch politisch bedeutet, dass ein deutscher Minister die Herrschaft der Hamas in diesem Gebiet anerkennt. Ob die Einreiseverweigerun g tatsächlich ein „großer außenpolitischer Fehler der israelischen Regierung“ ist, wie der FDP-Politiker über seine israelischen Gastgeber der „Leipziger Volkszeitung“ sagte, mag vom politischen Standpunkt abhängen. In jedem Fall hätte Niebel das schon vor seiner Abreise mit den Israelis klären können, es sei denn, er wollte diese vorhersehbare Provokation herbeiführen.
Auch das Klärwerk, das er besuchen wollte, hat eine etwas eigentümliche Vorgeschichte. Es sollte die Abwässer aus den Ortschaften im Norden des Gazastreifens säubern, und nicht nur die Umwelt im palästinensischen Gebiet schützen. Das Schmutzwasser sollte auch geklärt werden, damit die Saugrohre der größten israelischen Entsalzungsanlage bei Aschkelon, wenige Kilometer nördlich des Gazastreifens, nicht verstopfen. Das Klärwerk wäre unter normalen Umständen ein Friedenprojekt und von Bedeutung für alle Beteiligten.
Der Baubeginn fiel auf den Höhepunkt der im Herbst 2000 ausgebrochenen El-Aksa-Intifada. Vom Norden des Gazastreifens, also genau dort, wo Deutschland Millionen Euro in den Sand setzen wollte, schossen die Hamas und andere radikale Gruppen ihre Raketen auf israelische Städte wie Sderot jenseits der Grenzlinie ab. Die Israelis wiederum schossen zurück, vermutlich ohne große Rücksicht auf das Bauprojekt zu nehmen.
Michael Berger, damals deutscher „Botschafter“ der diplomatischen Vertretung in Ramallah sagte, dass das Gebiet tatsächlich so gefährlich sei, dass die deutschen Ingenieure jeden Tag von Israel aus mit gepanzerten Fahrzeugen anreisen müssten. Weiter sagte er, dass Deutschland die komplette Finanzierung des Klärwerks übernehme, obgleich sonst bei Entwicklungsprojekt en, etwa in Afrika, die Empfängerländer die Hälfte selber zahlen müssten. In diesem Fall habe sich aber Deutschland auf die Versprechen der palästinensischen Partner verlassen, das Klärwerk betreiben und instand zu halten. Diese Abmachungen wurden freilich mit der Autonomiebehö rde in Ramallah getroffen und nicht mit der heute in Gaza herrschenden Hamas getroffen. Mit der redet die deutsche Regierung zumindest offiziell nicht.
Dem Gesundheitsminister der Hamas, Bassem Naim, wurde kürzlich sogar das Einreisevisa nach Deutschland verweigert, als ihn die evangelische Akademie in Bad Boll zu einem „Friedensdialog“ einladen wollte. Allein wegen dieser Visumsverweigerung hätte Niebel wissen müssen, dass seine eigene Regierung keine Öffnung zur Hamas will. Gleichwohl machte Niebel im ZDF den Israelis Vorwürfe:  „Ich hätte mir gewünscht, dass hier ein klares politisches Signal für eine Öffnung und für Transparenz gesetzt worden wäre.“ 
 
Niebel, der Israel gut kennt, im Kibbuz gearbeitet hat, ein wenig Hebräisch spricht und gelegentlich sogar privaten Urlaub in Israel verbringt, ging in seiner Kritik noch einen Schritt weiter und prophezeite das Ende des jüdischen Staates: „Es ist für Israel fünf Minuten vor Zwölf.“ Israel sollte jetzt jede Chance nutzen, „um die Uhr noch anzuhalten“.

Hinterlasse eine Antwort