Stellungnahme von Stephan J. Kramer, Generalsekretär Zentralrat der Juden K.d.ö.R.

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Innenausschuss: Öffentliche Anhörung von Sachverständigen am Montag, dem 16. Juni 2008 zum Thema „Antisemitismus in Deutschland“

 

Stellungnahme von:
Stephan J. Kramer,
Generalsekretär Zentralrat der Juden K.d.ö.R.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
Sehr geehrte Frau Köhler,
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Dank!

Beispiel 1

Von: wolfgang steiger [mailto: steigerwolfgang@hotmail.com ]
Gesendet:
Donnerstag, 5. Juni 2008 13:32
An:
Calik, Kemal
Cc:
kemal.calik@gmx.de; SPIEGEL, Leserbriefe; sekretariat@zentralrat.de
Betreff: „DER SPIEGEL“ 17/2008 „WIE TICKEN DIE DEUTSCHEN?“ IHR LESERBRIEF IN“DER SPIEGEL“ 18/2008, S. 6

Efendi Calik:

Wie, vor allem, die „neu“ deutsche Generation und alle, die sich neuerdings für Deutsche halten, ticken, frage ich mich in letzter Zeit immer öfter. Ich will Ihnen auch erklären, warum:

O. e. SPIEGEL-Artikel wurde mir erst jetzt von deutsch gesinnten Landsleuten zugeschickt. Unter Landsleuten verstehe ich dabei ausschließlich Angehörige meines eigenen Volkes, deren Vorfahren nachweislich schon seit Jahrhunderten in Deutschland ansässig waren, d.h. keine von irgendwoher Dahergelaufenen bzw. sog. „Passdeutsche“, denen man schon an ihren krummen Nasen ansieht, woher sie kommen, und denen durch die mir vollkommen unverständliche Gewährung dieses Dokumentes doch bestimmt nicht automatisch auch noch deutsche Gene zuwachsen!
Ihre Freude darüber, dass einige „Deutsche“ auf dem von Ihnen „cover“
genannten Titelbild
gar nicht so „deutsch“ aussehen, kann ich ganz und gar nicht teilen.

Am Ende Ihres Leserbriefe jedoch von „WIR Durchschnittsgermanen“ zu faseln, schlägt dem Fass den Boden aus und stellt eine nicht zu überbietende Anmaßung, Frechheit und Provokation jedes echten Deutschen dar! In Ihrem (soweit vorhanden!) Hirn hat wohl jemand seine Fäkalien abgeladen ¿!?¡

Was glauben Sie eigentlich, wer und was Sie in den Augen von uns Deutschen sind? Es ist doch immer wieder dasselbe mit Euch rotzfrechen Mittelmeeranwohnern, ob Ihr nun Juden, Katalanen, Südfranzosen, Sizilianer, Türken oder sonstwas seid!

Es dürfte Ihnen doch inzwischen klar geworden sein, dass die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes 90% der Ausländer nur äußerst widerwillig duldet und die zunehmende Überfremdung immer mehr ablehnt.

Es ist doch noch gar nicht so lange her, dass Zuwanderern aus dem Morgenland, die durch Aussehen, Habitus und Weltanschauung absolut nicht zu uns Deutschen passten, auf z.T. sehr drastische Weise, die ich keineswegs billige, klar gemacht wurde, dass sie besser dort geblieben wären, wo sie hergekommen waren. Kein vernünftiger Mensch in unserem Vaterland kann wollen, dass dieses in ein bis zwei Generationen erneut vor den gehabten Problemen steht…

Ich gehöre zu einem Kreis deutschstämmiger Führungskräfte, welcher (die ältesten unter uns seit 1945!) die Exportinteressen seines Heimatlandes jahrzehntelang in Spanien und Portugal bzw. in Lateinamerika an vorderster Front verteidigt und wesentlich zur industriellen Entwicklung unserer Gastländer beigetragen hat.

Viele von uns stellen sich die Frage, ob sie, nach Erreichung der Altersgrenze, ihren wohlverdienten Ruhestand ganz oder zumindest teilweise in ihrem Vaterland verbringen sollen.

Auf sporadischen Reisen nach Deutschland, die sich aus geschäftlichen Gründen nicht immer vermeiden ließen, haben wir aber leider jedesmal feststellen müssen, dass unser Heimatland sich in den letzten Jahren in vielen Dingen sehr negativ verändert hat und teilweise nicht mehr wiederzuerkennen ist.

Unsere schönen deutschen Städte und Landschaften werden zunehmend von Kopftuch, Kaftan und sonstige Verkleidungen tragende „Neubürgern“ sowie in vielen Fällen auch durch Moscheen verschandelt, die einfach nicht in unser Städte- bzw.
Landschaftsbild passen.

Zudem machen sich Päderasten, Schwule, Lesben, Emanzen, Piercing-Träger beiderlei Geschlechts, Männer (?) mit Pferdeschwänzen auf dem Kopf (wohl mangels anderer vorzeigbarer Attribute!) und anderes Geschmeiß in einer nie dagewesenen Art breit, und vielen von ihnen wird sogar von den Behörden gestattet, ihre Abartigkeit auf sogenannten „Paraden“ in provozierender, schamloser und unverschämter Weise zur Schau zu stellen.

Viele von uns liebäugeln daher inzwischen schon mit Liechtenstein, wo so mancher sein Geld liegen hat, bzw. mit Österreich oder der Schweiz, wo es noch einige unverseuchte Gegenden geben soll.

Wir werden allerdings dann zur Stelle sein, wenn der hoffentlich nicht mehr ferne Tag kommen wird, an dem ein für alle Mal mit diesem Spuk in unserer Heimat aufgeräumt wird.

Mit auslandsdeutschem Gruss!

Wolfgang Steiger

Beispiel 2

„Sehr geehrter Herr Spiegel, wer sich in Deutschland aufhält, hat die Gefühle und die Grundzüge unserer Demokratie zu achten. Wer diese verletzt, das betrifft nicht nur Ausländer, muss sich nicht wundern, wenn Intellektuelle sich offen oder anonym gegen Sie wenden. Was das Judentum angeht, zeigt es doch das arrogante Verhalten (z.B. Das perverse religiös nicht vorgeschriebene Schächten anderer Lebewesen und die Anzeigenflut gegen Kritiker sowie die Erpressung des Staates durch permanente Antisemitismus Aufschreie) wie uneinsichtig Sie mit der Vergangenheit umgehen. Man kann sich einfach des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie das Unrecht, das die Juden schon immer (weshalb eigentlich??) erlitten, schamlos für ihre Zwecke ausnutzen. Wie ist es sonst zu verstehen, wenn Sie frech und wie selbstverständlich eine stärkere finanzielle Unterstützung der jüdischen Gemeinden fordern. Wir Christen müssen auch Steuern zahlen und privat für unsere Gemeinden aufkommen.“

Beispiel 3

Der Verleger Hans Jürgen Wolf schreibt am 11.05.2004 und veröffentlicht seinen Briefwechsel im Internet:
„ Ich kenne sowohl die künstlich hochgehaltene Holocaust-Literatur, doch auch die präzisere der Revisionisten. Ich selbst beziehe einen neutralen Standpunkt. ….Wird deutlicher, dass während des Nazi-Regiments hohe zionistische Kreise mit der GESTAPO zusammengearbeitet haben. Nach Prof. Lang war es eine aufeinander abgestimmte zielorientierte „Realpolitik“…..Von A.H. lässt sich selbst kein Führerbefehl nachweisen, der die Ausrottung der Juden anordnet. Nach den Recherchen von Roland Bohlinger u.a. ist nachgewiesen dass Teile der sog. Wannsee-Konferenz gefälscht wurden. Hitler ging es um die Ausgliederung in den Osten.“

Beispiel 4

Herr Alexander Müller aus Hannover schreibt am 31.08.2004:
„Herr Spiegel, warum erzählen Sie den Menschen nicht, dass die jüdische Warburg Bank Hitler-Schickelgruber finanziert hat und heute Bush finanziert? Warum verschweigen Sie, dass Hitlers Führung aus Juden bestand, sollen wieder Lampenschirme a la Eva Braun gefertigt werden?“

Beispiel 5

Herr Reinhard Heydritz, Heidelberg schreibt an den Geschäftsführer der HUMANA GmbH in Herford im November 2003:
„Sehr geehrter Herr Frie, die Nachricht, dass Ihr Produkt in Israel dafür sorgen konnte, dass – wenn auch nur – zwei Individuen der jüdischen Brut vernichtet wurden, hat mich mit großer Befriedigung erfüllt. Ich möchte Ihrer Firma hierfür meine Anerkennung aussprechen, denn es war dem Firmennamen entsprechend, eine wahrhaft humane Aktion in Bezug auf die Leiden des palästinensischen Volkes. Denn es sind nur zwei Israelis weniger, die sich als Erwachsene am Völkermord gegen die Palästinenser beteiligen können.
Es wären viele der Brut gewesen, die man mit Super Soya hätte austilgen können – eine phantastische Vision: nicht Hinzufügen, sondern einfach durch Weglassen einer Substanz diese Wirkung erzielen – es ist kein Vergiften; Ihrer Firma lässt sich nichts vorwerfen.“

ENDE Beispiele

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die von mir soeben vorgelesenen Zuschriften sind ein kleiner Ausschnitt der täglich eingehenden E-mails, Faxe und Briefsendungen. Wir haben längst aufgehört die Zuschriften zu zählen. Eine Auswahl haben wir vor einigen Jahren dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der Universität Berlin zur Verfügung gestellt und auch an der Universität Jena, bei Professor Friesel, werden die Zuschriften wissenschaftlich aufgearbeitet. Es gab sogar eine Ausstellung, die auf großes Interesse gestoßen ist und manche Zeitgenossen erstaunte, die uns „Berufsjuden“ im Zusammenhang mit unseren Warnungen vor zunehmendem Antisemitismus gerne Paranoia oder überzogene Panikmache unterstellen.

Antisemitismus, also der Hass auf die Juden, ist mehr als 2000 Jahre alt und zunächst religiös begründet, bevor im 19. Jahrhundert die „rassistische“ Komponente dazu kam. Nicht erst Martin Luther gibt in seinem Buch „Von den Juden und ihren Lügen“ aus dem Jahr 1562, seinem letzten von acht Büchern, ein gutes Beispiel:

„Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie vierzehnhundert Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind – wir haben rechte Teufel an Ihnen (…) Man sollte ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken (…) unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit G’tt sehe, dass wir Christen seien (…) ihre Häuser desgleichen zerbrechen und zerstören“.

Dies ist nur ein Beispiel der Masse von Luthers Hetzreden. Weitere Beispiele finden sich beim Propheten Jesaja und später beim Apostel Paulus.

Viele Generationen von Forschern haben mit der Untersuchung des Antisemitismus und der Forschung nach den Ursachen und möglichen Heilmitteln ihren Lebensunterhalt verdient, ohne jedoch zu einem konkreten Ergebnis gekommen zu sein. Bis heute wurde keine wirksame Therapie entwickelt mit der diese vermeintliche „Krankheit“ bekämpft werden könnte.

Zuweilen wird das Thema Antisemitismus dadurch verniedlicht, dass man von „Wiederauflebendem oder Neuem Antisemitismus“ spricht. Selbiges würde aber voraussetzen, dass der Antisemitismus – wenigstens für eine gewisse Zeit – verschwunden gewesen wäre. Dies ist nicht der Fall. Lediglich das Gesicht des Antisemitismus hat sich den jeweiligen Epochen angepasst. Der Antisemitismus gehört in diesen Tagen wieder längst zum guten Ton auf – fast – allen Partys – auch der gehobenen Klassen. Die Enthemmung mit der die Fratze des Antisemitismus öffentlich wird, ist immer häufiger und ungenierter zu erkennen.

Erkennen wir aber wirklich die Fratze des Antisemitismus immer oder zumindest fast immer? Wie kommt es dazu, dass die einen Möllemanns antiisraelischen Wahlkampfflyer oder Martin Hohmanns Rede nicht als antisemitisch erkennen, während andere sehr wohl zu dem Schluss kommen, dass es sich um Auswüchse des Antisemitismus handelt?

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Erkennen, ist das Verstehen. Nach meinem Eindruck darf man heute getrost davon ausgehen, dass die Mehrheit auch der Gutwilligen, die sich bemühen den Antisemitismus zu bekämpfen, selten wirklich verstanden haben, was Antisemitismus eigentlich ist.

Keine Angst, ich werde bestimmt nicht versuchen, die gesamte Bandbreite der Wurzeln des Antisemitismus hier und heute darzustellen. Da gibt es einschlägige Fachliteratur, die dies wesentlich genauer d.h. wissenschaftlich fundierter als ich und besser tun kann. Aber einige Beispiele will ich hier darlegen, deren Parallelen bis in die Gegenwart vielleicht Aufmerksamkeit bei Ihnen erregen.

Der Hass gegen die Juden steht in der Antike anfangs in einem allgemeineren Zusammenhang. Animositäten, die bis zu Hass, Verfolgung und Pogromen führen konnten, waren gegen jene gerichtet, die nicht so lebten wie man selbst, die sich als identifizierbare Gruppe absonderten. Geradezu sprichwörtlich wurde das im Sammelbegriff der „Barbaren“. Hier handelte es sich dann allgemein um Fremdenhass, um die sogenannte Xenophobie.

Da aus der Sicht der nicht-jüdischen Bevölkerung die Andersartigkeit in der Lebensweise bis in den Kult hinein besonders deutlich sichtbar überall außerhalb der jüdischen Kernlande auf die Juden und ihre Lebensweise zutraf – wozu Dinge gehörten, die kein anderes Volk charakterisierten, namentlich die als Zeichen des G’ttesbundes obligatorische Beschneidung (während allgemein die Beschneidung durchaus auch für andere antike Völker bezeugt ist), die Sabbatruhe, die Speisevorschriften (Kashrut) und die kompromisslose Ablehnung aller anderen Gottheiten, konnte sich das besondere Bild des Hasses gegen das jüdische Volk entwickeln.

Die Unkenntnis und das Unverständnis über die jüdischen Religionsgrundsätze herrschen auch heute noch in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung vor und führen in einigen Formen zur Angst und schließlich dem Hass gegenüber dem Fremden und damit den Juden.
An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass aktuelle Versuche durch gesetzliche Bemühungen, das Tragen des Kopftuches zu verbieten, aber christliche und jüdische Symbole zu bevorzugen, dass Schächten zu verbieten oder die Beschneidung von Jungen als Körperverletzung strafrechtlich zu verfolgen einen bitteren Beigeschmack für uns hinterlassen. Sowohl, wenn man unter der Hand diese Aktionen als gegen die Muslime allein gerichtet verkauft, als auch in der Sache selbst.

Es bedeutet sicherlich auch keine Verbesserung des Erkenntniszustands über den Antisemitismus, wenn wir den im 19. Jahrhundert begründeten „rassistischen Hass“ also den eigentlichen Antisemitismus vom Antijudaismus, also der religiös begründeten Feindschaft zu trennen versuchen. Und es führt auch kaum zu einer Bereinigung der Missverständnisse, wenn der Begriff des Antisemitismus so gedeutet würde als bezeichne er „eigentlich“ die Feindschaft gegen alle semitischen Völker, also auch gegen Araber, und dürfte daher nicht allein für den Hass gegen die Juden benutzt werden. Philologen weisen zu Recht darauf hin, dass es keine semitischen Völker, sondern nur semitische Sprachen gibt.

Auch ist es für eine seriöse Debatte um die Wurzeln des Antisemitismus und dem interreligiösen Dialog nicht gedient, wenn man einerseits auf die vorgeblich antijüdischen Passagen des Neuen Testaments oder die Feststellung weiter Teile der katholischen Kirche bis zum Papst, dass die Juden, da sie Jesus Christus nicht als den Messias anerkennen, heute immer noch vor dem Tor der Erkenntnis stehen (Bsp. Tridentinische Messe), eingeht, die verbindlichen Lehrgrundlagen des Islam, also den Koran, und seine zur Verfolgung, Bekämpfung und Vernichtung der Juden bis in die heutige Zeit aufrufenden Suren, aber unberücksichtigt lässt.

Nach meinem kurzen und nicht umfassenden Exkurs in die Welt der historischen Ursprünge und Begriffsdefinitionen des Antisemitismus möchte ich mich der aktuellen „Fratze“ des Antisemitismus in der heutigen Zeit zuwenden.

Nach aktuellen Erhebungen sind zwischen 15% und 20% der bundesdeutschen Bevölkerung latent antisemitisch eingestellt. Die Zahlen schwanken je nach Auftraggeber der Umfrage mehr nach oben oder unten. Dies ist im internationalen Vergleich nicht weniger oder mehr als in den Staaten des benachbarten europäischen Auslands. Also kein Grund zur Sorge – oder etwa doch? Man kann die Situation in Deutschland aufgrund der historischen Ereignisse zwischen 1933 und 45 eben doch nicht beruhigt zu den Akten legen auch deswegen nicht, weil angesichts der vorbildlichen Bildungsprogramme und Gesetze gegen Volksverhetzung etc. eigentlich die Situation in Deutschland entscheidend besser sein müsste, als sie es tatsächlich ist.

Der Präsident des Zentralrats Paul Spiegel hat die besondere Situation Deutschlands einmal mit einem Patienten verglichen, der einmal eine Lungenentzündung hatte. Wenn ein solcher Patient später einen Husten bekommt, wird jeder Arzt sehr aufmerksam. Der Husten hat sich in den letzten Monaten und Jahren zu einer kräftigen Bronchitis ausgeweitet, um bei der medizinischen Bildersprache zu bleiben.

In der stets aktuellen deutschen Medienauseinandersetzung im Nah-Ost-Konflikt werden zum einen Hitlers Kriegspolitik und israelische Antiterrorkampf mit positivem Ergebnis miteinander verglichen. Noch deutlicher wird es, wenn selbst in Intellektuellen und politischen Kreisen von der israelischen „Ausrottungspolitik“ die Rede ist oder vom israelischen „Vernichtungskrieg“ gesprochen wird.

Schließlich werden die USA als jüdisch „beherrschte Macht“ angegriffen.
Antiamerikanismus und Antisemitismus werden zuweilen als synonym gebraucht. Die „amerikanische Ostküste“ steht hier für eine jüdische Weltherrschaft, die Globalisierung wird als Strategie eines amerikanisch-jüdischen Finanzkapitals zur Knechtung der Völker diffamiert.
Das alte antisemitische Klischee von der „jüdischen Weltverschwörung“ feiert fröhliche Auferstehung.
Ganz wohlmeinende Zeitgeister versteigen sich zu der Behauptung, die israelische Regierungspolitik, ja die Existenz des Staates Israel und schließlich die solidarische Haltung der jüdischen Diaspora wäre nicht nur für den wachsenden Antisemitismus, sondern für den ebenso bedrohlich wachsenden Islamismus auch in und gegen Deutschland gerichtet, verantwortlich.

Diese Behauptungen sind nicht nur absurd und historisch falsch, sondern bedienen antisemitische Klischees, wie sie seit Jahrhunderten existieren. Ursache und Wirkung werden bewusst vertauscht, in der Hoffnung mit diesen Sündenbocktheorien eigene Defizite zu kaschieren.

Damit wir uns nicht missverstehen, Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist auch für Deutsche ebenso wie alle anderen Europäer ja generell kein Sakrileg und ohne Frage nicht gleich per se antisemitisch. Immer öfter aber frage ich mich, ob es tatsächlich um Kritik in der Sache mit fundierten Argumenten unter Anerkennung historischer Fakten oder die Begleichung alter – antisemitischer – Rechnungen geht.

Zur Seriosität der europäischen Politik trägt sicherlich auch nicht bei, dass bei einer Umfrage nach den friedensgefährdenden Ländern zwar Israel, nicht aber die Palästinenser aufgeführt werden. Auch die Unterdrückung einer Studie des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung über die Antisemitismuswelle in Europa im Frühjahr 2002 mit fadenscheinigen Argumenten bestätigt das gewonnene Misstrauen gegenüber der vermeintlichen Objektivität auf europäischer Administrationsebene.

Ein weiteres Thema bei dem antisemitische Feindbilder in zunehmendem Maße Verwendung finden, ist die Shoa, der nationalsozialistische Holocaust und die Problematik der adäquaten Erinnerung. Untersuchungen seit 1952 haben gezeigt, dass es sowohl erhebliche Vorbehalte und Widerstände der Bevölkerung gegen Zahlungen an Opfer des Nationalsozialismus als auch eine breite Zustimmung für die Forderung nach einem Schlussstrich unter die Debatte um die „Vergangenheitsbewältigung“ gibt. Der moderne Antisemitismus versucht unter Verwendung antisemitischer Stereotypen die Juden als ewige Verfolger darzustellen. Insbesondere Deutschland wird dadurch an der Entwicklung einer „normalen“ nationalen Identität gehindert, so die Argumentation.
Im 1986 von Ernst Nolte, durch die Veröffentlichung eines Aufsatzes begonnenen sog. Historikerstreit, stellte dieser die These auf, dass Hitlers Verbrechen eine Folge vorhergegangener Verbrechen waren. Es gäbe eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Archipel Gulag und Ausschwitz: „War nicht der „Klassenmord“ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des „Rassenmords“ der Nationalsozialisten?“ „Mit Noltes Thesen wird die Judenvernichtung als das bedauerliche Ergebnis einer immerhin verständlichen Reaktion auf das, was Hitler als Vernichtungsdrohung empfinden musste dargestellt“, so Jürgen Habermas damals. Parallelen zur Hohmann-Rede am 3. Oktober 2003 oder einschlägigen Diskussionsbeiträgen bei rechtsextremen Versammlungen und Publikationen heute sind wahrscheinlich rein zufällig.

Im April 2001 schrieb Horst Mahler in einem offenen Brief an den amerikanischen Politologen Goldhagen: „Das jüdische Volk (…) hat weltgeschichtlich die eindrucksvollsten Zeugnisse seiner völkermörderischen Tradition hinterlassen. Und es empfindet keine Scham.
Wie wollen Sie – wie Ihr Volk – begründen, dass wir Deutschen uns zu schämen hätten? Wozu also das Schandmal im Zentrum unserer Reichshauptstadt der Deutschen? Auch hier sind die Parallelen zur Rede des Bundestagsabgeordneten Hohmann wahrscheinlich – rein zufällig.

Eine weitere Momentaufnahme gestaltet sich im Walserschen Vorwurf, „Repression und Geistesterror in Form von der Holocaust-Keule verhindern eine tabufreie Debatte über die deutsche Geschichte“. Hiermit sollen politisch und gesellschaftlich verankerte Werte ausgehebelt und der Weg für eine Neubewertung nationalsozialistischer Politik geebnet werden.

Schließlich wird in der Zwischenzeit auch die lange Zeit vermutete Liaison zwischen Islamisten und Rechtsextremisten zähneknirschend anerkannt. Antijüdische Ausschreitungen im Zusammenhang mit propalästinensischen Solidaritätsdemonstrationen gehören zum immer wiederkehrenden Alltag. Die Basis für diese unheimliche Koalition bildet ein verschwörungstheoretischer Antisemitismus, der in den Juden die Drahtzieher einer völkermörderischen Weltherrschaft und in Amerika deren willigen Vollstrecker sieht. In einer Fernsehdokumentation erklärte der bekannte NPD-Aktivist und Anwalt Horst Mahler öffentlich, die „jüdische amerikanische Ostküste und Israel bildeten heute die Herrschaftszentren der Welt. Das deutsche und das palästinensische Volk seien die bevorzugten Opfer der völkervernichtenden Machenschaften dieser geheimen Weltregierung.“ Der Bundestagsabgeordnete Hohmann sprach im Zusammenhang mit den Verhandlungen für die Zwangsarbeiterentschädigung von einer „Bedrohung Deutschlands durch die amerikanisch-jüdische Weltverschwörung“.

Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt von einem Anstieg der gewalttätigen Aktivitäten antisemitisch eingestellter Personen. Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und Friedhöfe, wie auch Angriffe gegen Personen nahmen in den letzten Jahren stetig zu. Der eliminatorische Antisemitismus ist ein fester Bestandteil der Kameradschafts- und Skinhead-Szene. Die Rechtsextremisten haben ihre antisemitische Agitation ausgeweitet und inhaltlich verschärft. Sie nutzen dazu verstärkt das Internet (Beispiel Plattform YouTube), sowie das Medium der Hass-Musik. Offensiver und aggressiver als in den vergangenen Jahren, werden antisemitische Klischees gebraucht. Dies gilt auch immer häufiger für öffentliche Demonstrationen, wo im Schutz der sogenannten „Meinungsfreiheit“ zumeist braune Kameraden mit „höchstrichterlichem Segen“ marschieren können. Nach Auffassung des Schweriner Verwaltungsgerichts und des Mecklenburgischen Oberverwaltungsgerichts, darf man von den „Demonstranten der NPD rechtstreues Verhalten erwarten, „da diese sich den Auflagen stets beugen und ihre Versammlungen ohne größeren Widerstand verlegen“. „Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit geht eher von den gewaltbereiten Gegendemonstranten aus“, so die grundsätzliche Auffassung der Gerichtsbarkeit. (Kommentar überflüssig!)

Gerade am Beispiel der Neonazis wird deutlich, dass es sich beim Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus nicht allein um ein juristisches Problem handelt. Zur Lektüre empfehle ich Ihnen das Buch von Andrea Röpke und Andreas Speit, Braune Kameradschaften. Vieler Orts kämpfen Staatsanwälte, Polizisten und Staatsschützer erfolgreich und energisch gegen diese Szene. Vor allem ist es aber ein gesellschaftspolitisches Problem. „Um tolerant zu sein“ führte Umberto Eco schon 1993 in der Zeit aus, „muss man die Grenzen, was nicht tolerierbar ist, festlegen“ und ich füge hinzu, den Bürgern in dieser Gesellschaft auch nachhaltig vermitteln. Diese Grenze, meine Damen und Herren, sollte nicht erst beim militanten Neonazismus liegen, sondern bei den rechten und zum Teil auch linken Ressentiments und Vorurteilen, dem Abwerten und Ausgrenzen von Flüchtlingen, Behinderten, Homosexuellen, Obdachlosen, Muslimen und Juden, um nur einige wenige Zielgruppen zu nennen.

Durch die gestiegene gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft, fühlen sich die Rechten aber auch Extreme im linken Lager (Bsp.: O. Lafontaine und seine „Fremdarbeiteraussage“), als die wahren Volksvertreter bestätigt und angespornt, weiter für Volk und Vaterland oder ihre Klasse zu marschieren. Die NPD engagiert sich heute für die vermeintlichen Wendeverlierer, frustrierte Hartz IV Empfänger, Arbeitslose und die Familien- und Umweltpolitik. Der Zuspruch auf kommunaler Ebene macht deutlich, dass die Protestwähler längst zu Stammwählern geworden sind.

Nicht nur moralische Appelle, sondern ständiger und öffentlicher Widerspruch gegen rechte und linke Alltäglichkeiten und die inhaltlich Auseinandersetzung damit sind notwendig. Gegen diese Ressentiments und für ein größeres zivilgesellschaftliches Engagement versuchen verschiedene Bildungsträger und Selbsthilfeinitiativen zu sensibilisieren, ja gegen den Trend anzukämpfen. Doch die unterschiedlichen Träger dieser Aktivitäten, ebenso wie die wenigen Hilfsorganisationen für Opfer rassistischer und neonazistischer Gewalt, können kaum eine nachhaltige Wirkung entfalten, da sie stetig um ihre Finanzierung bangen müssen.

Auch die neuen Finanzierungsstrukturen kranken an denselben Defiziten wie die alten Programme: Statt lokale Ideen und Projekte aktiv und unbürokratisch zu unterstützen, werden nachweislich verknöcherte, uneffiziente und überholte Strukturen alimentiert. Es geht mehr darum Besitzstände zu sichern als neue Wege zu gehen.

Die Verdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger im Land wird immer größer. Den Volksparteien laufen die Mitglieder und viel schlimmer, die Wähler davon. Dies wäre an sich noch nicht so schlimm, würde damit nicht eine stetig steigende Demokratieverdrossenheit einhergehen. Wer sich von den großen Parteien abwendet, der bleibt Nichtwähler oder landet bei den populistischen Rändern, für die auch der offene Antisemitismus zum täglichen Argumentationsmuster gehört. Was ist aus den demokratischen Ideen und Idealen unserer Gesellschaft geworden. Wer verkörpert diese demokratischen Ideale auf allen Ebenen der Gesellschaft angesichts vermeintlich populistischer und extremistischer Heilsbringer?

In der Öffentlichkeit wird das enge Zusammenwirken von NPD und Kameradschaften nur allmählich wahrgenommen. Aber längst bilden NPD und „Freie Kameradschaften“, deren Aktivisten nicht vor kriminellen Aktionen zurückschrecken, eine gefährliche Allianz. Der Schatten der NPD verdeckt oft das Netzwerk der Kameradschaften. Von den Misserfolgen der NPD bei Bundestagswahlen kann aber nicht auf den Zustand der gesamten Bewegung geschlossen werden. Ein Blick auf die sächsische Kommunalwahl zeigt einen gefährlichen Trend! Meine Damen und Herren, die Rechten sind nicht erst eine Gefahr für die offene Gesellschaft, wenn sie in den Parlamenten sitzen. Die „freien Kameradschaften“ führen vor allem im außerparlamentarischen Raum den Kampf um die Straße und die Köpfe und bereiten so den Boden für die offizielle parlamentarische Arbeit der Nationalisten.

Die Geschichte hat gezeigt, dass sich der Antisemitismus nie hat völlig auslöschen lassen. Die entscheidende Frage für uns ist, wie wir den Prozentsatz der „Infizierten“ so klein wie möglich halten können. Nachdenklich stimmen mich Meinungsumfragen in Deutschland: 22% der Deutschen haben die Auffassung dass Juden in Deutschland zuviel Einfluss haben. Fast jeder Fünfte (17%) sagt, dass die Juden Mitschuld an ihrer Verfolgung haben und jeder Zweite (52%) ist der Ansicht, dass viele Juden versuchen aus dem Holocaust Vorteile zu ziehen und dass sie die Deutschen für die Vergangenheit zahlen ließen. Es tröstet mich wenig, wenn dieselben Umfragen zu dem abschließenden Ergebnis kommen, das 68% der Deutschen es begrüßen, dass heute wieder mehr Juden in Deutschland leben.

Ignatz Bubis sel. A. hat zum Thema Antisemitismus einmal gesagt: „Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind sich teilweise auch insoweit ähnlich, als für die Mehrheit unserer Gesellschaft in Deutschland Juden als Fremde gelten. In Wirklichkeit sind alle diese Erscheinungen nichts anderes als Menschenfeindlichkeit. So wie man Menschenfeindlichkeit nicht begründen kann, lassen sich Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus bis auf Ressentiments und Vorurteile ebenfalls nicht begründen.“

Diesen Worten ist angesichts der Aktualität heute nichts hinzuzufügen.

Wunschzettel / Forderungskatalog

· Berufung einer/eines Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung

· Jährlicher Bericht dazu im Deutschen Bundestag

· Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit

· „Produkthaftung“ für Betreiber von Internetplattformen (YouTube…)

· Überarbeitung der Vergabestrukturen bei den Bundesfonds gegen Extremismus und für Demokratie

· Aktive Bekämpfung der Demokratieverdrossenheit durch intensive Werbung für die Werte und Ideale unserer Verfassung (Einrichtung eines Verfassungstages….)

 

 

 


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