He Found One of Stalin’s Mass Graves. Now He’s in Jail. – The discovery by Yuri Dmitriev, after years of searching, “has clearly made some people very uncomfortable,” his daughter says. | Nytimes

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1 Kommentar
  • Joachim Kretschmann

    Die Inhaftierung und wiederholte Denunziation von Yuri Dmitriev hat Methode, denn anders als in Deutschland „schwächelt“ gelinde ausgedrückt die historische Aufarbeitung Russlands bezüglich seiner Kriegsverbrechen. Sie werden unter Putin als „Abfolge heroischer Opfer und Taten“ umgedeutet! Heute ist in der russischen Schulerziehung im besonderen und in der Öffentlichkeit ganz allgemein die patriotische Umerziehung im vollen Gange, immer öfter auch begleitet von militaristischen Sondershows für den ganz jungen zukünftigen Soldatennachwuchs und dem „Besuch“ blutjunger Armee-Offiziere im Unterricht als patriotische Anheizer.
    Diese verklärende Darstellung der eigenen blutigen Geschichte – vor, während und nach dem sog. „Großen Vaterländischen Krieg“ – könnte überraschend schnell Argumente für Gebietsansprüche liefern, z.B. dass die russische Bevölkerung, die in Russlands Nachbarstaaten lebt, wie „schon damals bedroht sei und geschützt werden müsse“. So stellt Russland seit ein paar Jahren schon allen seinen „Landsleuten“ in diesen Periphäriestaaten bereitwillig russische Pässe aus, wie z.B. ganz massiv in der Ostukraine geschehen. Nach Putins Ansicht scheint jedes Mittel recht, um die „Sicherheit Russlands und seiner Bevölkerung zu gewährleisten“, was immer er darunter auch verstehen mag.
    Ist es vor diesem Hintergrund denn so schwer vorstellbar, dass Putin nicht allein „Beschuldigungen“ wie jene gegen Yuri Dmitriev sondern am Ende gar fingierte „antirussische“ Demonstrationen mit gewalttätigen Übergriffen auf russisch stämmige Mitbürger oder Anschläge auf russische Einrichtungen im Baltikum oder Polen „in Auftrag gibt“, um ein „Eingreifen zur Sicherheit russischer Bürger“ zu rechtfertigen? Seit kurzem erscheinen sogar Zeitschriften und Bücher, welche ganz offen (und ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen) die Aufteilung Polens und die Besetzung der baltischen Staaten durch Stalin legitimieren wollen. Putin selbst vertritt sogar die Auffassung, Polen wäre nach seiner eigenen Besetzung von tschechischem Territorium ja schließlich selbst schuld an seiner Teilung gewesen. Und was die Annektion der Krim betrifft, so sei diese vormalige „Riviera des Ostens“ ja nur durch eine Entscheidung Nikita Chruschtschows im Jahre 1954 als im Krieg schwer zerstörte Halbinsel an die Ukraine gefallen (wahrscheinlich als „späte Wiedergutmachung“ für die Entsendung von 100000 ukrainischen Arbeitern zum Wiederaufbau des zerstörten Russlands gegen Ende des Zweiten Weltkriegs), weshalb diese Fehlentscheidung nun korrigiert und dieses in Wahrheit russische Territorium wieder „Heim geholt“ werden musste. Man sieht also, für einen Angriff lassen sich vielerlei Rechtfertigungen zusammen basteln.

    Auch auf medialer Ebene, allem voran in den sozialen Netzwerken wird schon seit einiger Zeit Front gegen „Russlands Feinde“ in diesen Periphäriestaaten gemacht durch sog. „Trolle“, eigens dafür ausgebildete und abgestellte prorussische Internet-Blogger und Forumsmitglieder, die in den Sozialen Medien gezielte Falschmeldungen verbreiten, oft auch noch ausgeschmückt mit manipulierten Fotos, die den Eindruck erwecken sollen, die Sicherheit russischer Bürger in den betreffenden Ländern sei je länger je mehr in Gefahr. Schon bald könnten darum, wie oben schon angedeutet, prorussische Demonstrationen stattfinden oder gar Anschläge durch eingereiste Schlägertrupps aus Putins Kaderschmiede ausgeführt werden, um schließlich antirussische Gegenreaktionen mit „Übergriffen auf die russische Bevölkerung“ zu provozieren, die wiederum ein „Eingreifen der russischen Streitkräfte zum Schutz von Russlands Töchtern und Söhnen“ legitimieren würden … darum haben es sich die sog. „Elfen“ z.B. in den Baltischen Staaten zur Aufgabe gemacht, solchen Bestrebungen entgegen zu wirken, indem sie in eben jenen sozialen Netzwerken den Falschmeldungen mit Tatsachen und Aufdeckung der Lügen begegnen, auch wenn diese mehr als lobenswerten Anstrengungen fast aussichtslos erscheinen.

    Ich frage mich: Würde die NATO im Ernstfall tatsächlich zögern, für eine relativ „kleine Fläche“ gleich einen Atomkrieg zu riskieren (mit dem möglicherweise unumgänglichen Einsatz ihrer Luft- und See gestützten Atomwaffensysteme) und deshalb gegenüber der Aggression Russlands nach- und z.B. Lettland oder Ost-Polen preisgeben? Dies jedoch würde das sog. Beistandsversprechen in Frage stellen und den Zusammenhalt der NATO noch weiter erschüttern. Russland wäre somit einem seiner Hauptziele ein gutes Stück näher gekommen, dem Zerfall der westlichen Bündnisse und ebenso der Destabilisierung ihrer Regierungen, was sich ja schon in den zahlreichen Beeinflussungsbemühungen der Putin-Regierung nicht nur bei den Präsidentschaftswahlen in den USA wieder spiegelte.

    Aber vielleicht bin ich ja einfach nur zu ängstlich und alles ist am Ende gar nicht so schlimm …

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