„Gedankliche Versteinerung“ – Israels Parlamentarier untersuchen Libanonkrieg von 2006

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Jerusalem, 31. Dezember 2007 – „Wo bleibt die Verantwortung der Politiker? Was bringt es, alle Schuld nur den Torwärtern der Armee zuzuschieben?“ Aufgebracht unterbrach immer wieder der berühmteste israelische Held des Libanonkrieges vom Sommer 2006 die Verlesung der Untersuchungsergebnisse des parlamentarischen Außen- und Sicherheitsausschusses durch den Abgeordneten Zachi Hanegbi.
Der Soldat Tomer Bohadana, der als Reservist die Erläuterungen im Saal des Ausschusses mitverfolgte, war im Südlibanon schwer verletzt worden. Als er in den Operationssaal des Rambam-Hospitals in Haifa geschoben wurde, erhob er seine Hand und machte mit zwei Fingern das „V“ Zeichen. Wegen dieser Geste wurde er zum Volkshelden des umstrittenen Krieges. „Olmert sollte zurücktreten. Warum übernimmt niemand die Verantwortung für diese Schande des gescheiterten Krieges“, rief der Reservist noch, ehe Hanegbi unbeirrt fortfuhr.
Weil alle Politiker, also auch die Abgeordneten, den Krieg gutgeheißen hatten und deshalb „befangen“ waren, habe die Mehrheit des Ausschusses beschlossen, sich nur auf das Vorgehen der Armee zu konzentrieren. Ein Votum über die Politiker werde die unabhängige Winograd-Kommission fällen. Ihr Report soll nach der Abreise von US-Präsident George W. Bush in etwa zwei Wochen veröffentlicht werden.
Der Knesset-Report enthält eine Mischung aus Selbstbeweihräucherung und heftiger Kritik. Die Bevölkerung habe wegen dieses Krieges in einer „tiefen Depression“ gesteckt. Im Vorwort zu dem 159 Seiten langen Report heißt es, dass der „Zweite Libanonkrieg“ als „harte und präzedenzlose israelische Reaktion auf eine Tötungs- und Entführungstat der Hisbollah im souveränen Gebiet des Staates Israel“ ausgebrochen sei. Die Hisbollah reagierte mit Raketensalven auf das zivile Hinterland im Norden Israels. „Das war keine Überraschung. Jeder wusste von der Aufrüstung der Hisbollah im Südlibanon.“ Also hätten Regierung und Armee diesen Raketenbeschuss in Kauf nehmen und sich darauf vorbereiten müssen, ihn sofort zu stoppen. Dieses Ziel sei bis zum letzten Tag des 34-tägigen Krieges nicht erreicht worden, weil Israel irrtümlich glaubte, die Bedrohung auszuschalten, indem es Hisbollah-Zentralen und „am Rande auch die libanesische Regierung“ mit Luftangriffen unter Druck setzte. Dieses „Konzept der Effekte“ unterstellte, dass die Hisbollah in Not geraten und daraufhin die Raketenattacken aufgäbe. Der Beschuss der Kurzstreckenraketen hätte gleich zu Beginn des Krieges durch eine Bodeninvasion unterbunden werden müssen. Die schlecht vorbereitete Armee habe unter einer „gedanklichen Versteinerung“ gelitten, keine ordentlichen Angriffpläne ausgearbeitet. Die Befehlshaber hätten sich von modernen elektronischen Kampfmitteln „verführen“ lassen und „klassische Kampfmethoden“ vernachlässigt. „Aber dieser Krieg bewies, dass solche Überlegenheit nur in der Theorie besteht. Eine exakte Zerstörung von feindlichen Zielen bedeutet keine Garantie für einen mentalen Zusammenbruch des Gegners.“ Das „Effekten-Konzept“ funktioniere nicht bei einem Feind wie der Hisbollah. Die nehme nur wenig Rücksicht auf die eigene Bevölkerung und kümmere sich nicht um Schaden an der politischen Infrastruktur (des Libanons). Zum Glück habe sich das Scheitern dieses Konzepts bei einem Krieg gegen eine „relativ kleine Guerilla-Organisation“ herausgestellt und nicht bei einem konventionellen Krieg gegen eine richtige Armee.
Auf drei Seiten fassten die Abgeordneten die „Erfolge“ des Krieges zusammen. So habe Israel die „Abschreckung der Hisbollah“ zerbrochen und die Spielregeln geändert, zumal Israel seit dem Rückzug aus Südlibanon, sechs Jahre zuvor, zurückgehalten habe nach Angriffen der Hisbollah. Die internationale Gemeinschaft und die arabische Liga hätten Israels Vorgehen unterstützt und moralisch mitgetragen. Die Welt sei durch den Krieg auf die gefährliche Rolle des Iran aufmerksam geworden und eine breite Front gegen Iran geschmiedet. Israels überraschende Reaktion habe die Hisbollah gezwungen, ihre von Iran gelieferten Raketen vorzeitig einzusetzen. Die UNO-Resolution 1701 und der Einzug von 25.000 Unifil Soldaten anstelle der Hisbollah-Guerillas im Südlibanon sehen die Abgeordneten als „Errungenschaft Israels“. Israel habe seine Abschreckungskraft zurückgewonnen, indem es alle strategischen Raketen der Hisbollah und deren Abschussrampen zerstören konnte, deren Befehlszentralen im Süden Beiruts zerbombt und der Hisbollah schwere Verluste beigefügt habe: zwischen 550 und 650 getötete Hisbollah-Kämpfer. Israel hatte 119 tote Soldaten und 40 Zivilisten zu beklagen.

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